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News: Gefühlte Schnellschüsse

Spielernaturen sind auch nach Verlusten stets davon überzeugt, ihr "unfehlbares System" würde ihnen einen großen Gewinn bescheren, wenn sie es jetzt "nur noch einmal" versuchen würden. Statistiker erklären ihnen dann meist, dass dies nicht funktionieren kann. Jetzt haben Neurowissenschaftler eine Region im Gehirn untersucht, die blitzschnell zwischen Gefühlen und Vernunft vermittelt - und vielleicht mitverantwortlich dafür ist, dass die Spielernaturen selten auf die Statistiker hören wollen.
Viele Situationen im Leben fordern von uns sehr schnelle Reaktionen, und falsche Entscheidungen, ob im Straßenverkehr oder an der Wertpapierbörse, können gegebenenfalls schwerwiegende Folgen haben. Oft heißt es, solche Entscheidungen würden "ohne nachzudenken aus dem Bauch heraus" getroffen.

Dass Emotionen eine wichtige Grundlage unserer Entscheidungsfindung darstellen, war mithin schon lange bekannt. Anatomisch konkret vermutet man diese entscheidende Verbindungstelle zum limbischen System, das unsere Gefühlswelten verwaltet, in einer zentralen Region zwischen den beiden Hirnhälften.

William Gehring und Adrian Willoughby von der Michigan University haben jetzt genauer untersucht, wie diese Gehirnregion schnelle menschliche Entscheidungen beeinflusst – noch in der Sekunde, in der sie getroffen werden müssen. Sie ließen zu diesem Zweck freiwillige Versuchspersonen ein Glücksspiel spielen und zeichneten währenddessen deren Gehirnaktivitäten mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms auf. Die Spieler sollten zwischen zwei auf einem Bildschirm gezeigten Vierecken wählen, von denen das eine mit dem Wert fünf Cent, das andere mit 25 Cent gekennzeichnet war. Nach einer kurzen Zeitspanne änderte sich die Farbe der Vierecke: grün bedeutete einen Gewinn, rot einen Verlust des angezeigten Betrags für den Spieler.

Die Forscher stellten fest, dass der so genannte mediale frontale Cortex (MFC) des Gehirns offenbar zwischen Sieg und Niederlage entscheidet: Innerhalb einer Viertelsekunde nach der Farbänderung der Versuchsvierecke sendete diese Region stets ein Neurosignal – und zwar nur nach Verlusten. Zudem wurde auch die Serie vorangegangener Ereignisse mitberücksichtigt, denn der Nervenimpuls wurde um so deutlicher, je länger eine Pechsträhne andauerte. Das Signal beeinflusste scheinbar auch die Entscheidungen der Spieler, denn je stärker es ausfiel, desto risikoreicher wurden deren Entscheidungen, und die Tendenz, auf die 25-Cent-Vierecke zu setzen, stieg an.

Der MFC ist demnach offenbar eine Art allgemeiner "Negativitäts-Sensor", der nicht unbedingt strikt logisch arbeitet: Auch eine Situation, bei der beide Vierecke rot leuchteten, der Kandidat aber zuvor fünf Cent statt 25 gesetzt und somit den Schaden begrenzt hatte, löste eine ärgerliche Reaktion des Sensors aus.

Ein niedriger Gewinn statt eines bei anderer Auswahl möglichen höheren ließ den MFC dagegen kalt. "Die beobachtete Reaktionsgeschwindigkeit erlaubt kein vorhergehendes, bewusstes Abwägen", meint der Psychologe Gehring, "es handelt sich vielmehr um einen raschen Input in die spätere emotionale und rationale Verarbeitung".

Ein Emotions-Sensor mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn im übrigen, denn nach Niederlagen fordert er scheinbar den Glauben an folgende Gewinne: "Das Gehirn nimmt an, dass sich alles ausgleicht", sagt Gehring. Eine Spielernatur würde dem sicher zustimmen.

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