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Robotik: Gefühlvoll

In der Medizin ist oft Gespür gefragt. Daher ist das Vertrauensverhältnis zum Hausarzt so wichtig. Nun schicken sich Wissenschaftler an, Geräte ein ähnliches Feingefühl entfalten zu lassen.
Münze unter Druck
Die Krebsvorsorgeuntersuchung, zu der jeder Erwachsene spätestens ab dem 45. Lebensjahr regelmäßig gehen sollte, ist weder für den Arzt noch für den Patienten eine angenehme Sache. Beim Mann fühlt der mit einem Gummihandschuh geschützte Doktor beispielsweise mit einem Finger, ob sich im Unterleib des zu Untersuchenden eventuell verdächtige Verhärtungen gebildet haben.

Möglicherweise kann sich zumindest der Mann in Weiß künftig dieser peinlichen Prozedur entziehen und sie von einem Roboter durchführen lassen. Das mögen sich Vivek Maheshwari von der Universität von Nebraska in Lincoln und Ravi Saraf vom Edward-Via-Virginia-College für Osteopathische Medizin in Blacksburg überlegt haben: Sie entwickelten eine hauchdünne Folie, die künstlichen Wesen so etwas wie Fingerspitzengefühl vermitteln soll.

Eine diffizille Aufgabe, denn die Sensibilität, mit der unsere Greifwerkzeuge Unebenheiten ertasten können, ist erstaunlich: Riefen, Rillen oder Rauheiten auf einer glatten Fläche lassen sich noch bis zu einer Größenordnung von wenigen Tausendstel Millimeter ertasten. Das ist deutlich geringer als die Dicke der feinsten Flaumhaare eines Kleinkindes. Bislang scheiterten die Versuche der Techniker und Ingenieure, diesen Spürsinn mit technischen Hilfsmitteln zu erreichen – mit der Folge, dass sie zwar in der Lage sind, Greifarme für Roboter zu konzipieren, die eventuell sogar mit rohen Eiern hantieren können. Fängt der so umklammerte Gegenstand aber langsam zu rutschen an und droht dem künstlichen Wesen durch die Zangen zu flutschen, bekommt die Maschine das normalerweise erst mit, wenn der Gegendruck vom Gegenstand, den es festzuhalten gilt, von einer Sekunde auf die nächste verschwindet. Dann ist es aber zu spät.

Rupie unter Druck | Druck erzeugt in einer Folie elektrische Signale, die sie gleichzeitig zum Leuchten anregen. Damit ließ sich ein Abdruck der indischen Fünf-Rupien-Münze erzeugen. Mit Hilfe der Folie wollen die beiden indischstämmigen Wissenschaftler Vivek Maheshwari und Ravi Saraf Maschinen einen Tastsinn vermitteln.
Daher haben sich die beiden Wissenschaftler aus den amerikanischen Forschungseinrichtungen eine dünne Folie einfallen lassen, die nicht nur sehr sensibel auf Druckunterschiede reagiert, sondern sich zugleich über einen Metallfinger ziehen lässt, um ihn so mit einer Art Tastsinn auszustatten. Die Folie besteht aus abwechselnden Lagen von nur wenige Nanometern großen Kügelchen aus Gold und Kadmiumsulfid, die durch ebenso dünne organische Zwischenschichten voneinander getrennt sind. Die oberste Gold-Elektrode ist zudem mit einer flexiblen Plastikfolie abgedeckt. Zwischen ihr und der unteren Elektrode aus transparentem Indium-Zinn-Oxid, die für die Laborexperimente auf einem Glasträger aufgebracht wurde, lässt sich eine Spannung von wenigen Volt anlegen.

Presst man nun einen gemusterten Gegenstand von oben auf die Folie, so bewirken die Unebenheiten winzige, lokale Ströme, die durch die jeweiligen Schichten fließen: Je höher der Druck, desto mehr Strom fließt. Dieser bringt das Kadmiumsulfid zum Leuchten – ein Phänomen, dass Physiker als Elektrolumineszenz bezeichnen. Je höher der Strom, desto heller das Licht. Das Bild, das auf diese Weise entsteht, lässt sich mit einer CCD-Kamera, die ähnlich funktioniert wie eine Digitalkamera, auf einen Monitor übertragen oder gleich elektrisch weiterverarbeiten.

US-Cent unter Druck | Abraham Lincoln ziert die US-amerikanische Ein-Cent-Münze (links). Rechts ist das auf Folie gepresste Konterfei des Präsidenten zu erkennen.
Um sich von der Sensibilität ihrer Erfindung zu überzeugen, haben die Entwickler beispielsweise eine Ein-Cent-Münze mit dem Konterfei von Abraham Lincoln auf ihre Folie gepresst. Zu ihrer Freude konnten sie selbst die Falten auf dem Umhang des abgebildeten, ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten nachweisen.

Obgleich es kaum möglich sein wird, diesen Prototypen eines optischen Tastfingers auf einen Greifarm zu übertragen – die Kamera würde zu viel Platz beanspruchen –, sind sich die beiden Wissenschaftler sicher, dass sie mit dieser Technik einen feinfühligen Automaten konstruieren können. Dazu müssen sie die elektrischen Signale lediglich direkt an ein Elektronenhirn weiterleiten. Die Technik dafür steht schon bereit, auch wenn sich die damit erzielbare Auflösung wahrscheinlich verschlechtert, weil selbst ein noch so feines Verdrahten mehr Platz beansprucht als ein optisches Auslesen.

Nun sollte aber niemand warten, bis diese sanften Gliedmaßen zum Arzt in die Praxis kommen. Das kann noch einige Zeit dauern. Solange sollte man sich jedenfalls – trotz der Unannehmlichkeiten – mit der nächsten Krebsvorsorgeuntersuchung nicht gedulden. Bis dahin geschieht die Untersuchung auf die herkömmliche Art, in dem man dem Mediziner seinen Allerwertesten entgegenreckt.

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