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Meeresbiologie: Gegen den Strom

Winziges Getier in mächtiger Strömung klingt nach wenig Chancen auf selbstbestimmte Fortbewegung. Von wegen: Wer eifrig genug strampelt, bleibt, wo er bleiben will - siehe Zooplankton.
Golf von Akaba
Der erste Blick von einem Boot ins Wasser des freien Ozeans mag enttäuschend sein: von Leben, so scheint es, keine oder zumindest kaum eine Spur. Erst der zweite, am besten mikroskopunterstützte Blick offenbart ein reiches Gewimmel vielgestaltiger Formen aus allen Lebewelten – von Bakterien und Pilzen über Pflanzen bis hin zu Tieren. Kaum wenige Millimeter groß, meist beinahe durchsichtig, fristen sie ihr Dasein in den obersten Wasserschichten und füllen die Mägen all jener, die etwas größer sind.

Wer so klein ist, der dürfte willenloses Spielmaterial seiner bewegten Umgebung sein. Deshalb sammelt sich pflanzliches Plankton und nicht lebendes Driftmaterial in bestimmten Regionen – dort, wo horizontale und vertikale Strömungen aufeinander treffen. Während dann die Wassermassen absinken, bleibt ihre Fracht an der Oberfläche und bildet ganze Planktonteppiche.

Auch Zooplankton findet sich in solchen Gruppen zusammen – allerdings nicht an der Oberfläche, sondern meist etwas tiefer, und das zudem auch in Regionen, in denen die Strömung aufwärts gerichtet ist. Und da die Tiere wenn auch mit kurzen, so doch strampelfähigen Beinen ausgestattet sind, spekulierte schon der Meeresbiologe Alister Hardy im Jahr 1936, dass dahinter eine aktive Schwimmbewegung stecken müsste. Allein: Es fehlte bislang an der Technik, diese Meisterleistung in natura zu bestätigen.

Fish-TV | Der Schallsender von Fish-TV steht auf einem Dreibein auf dem Ozeanboden. Indem gleichzeitig mehrere Strahlen von Schallwellen ausgesendet werden, lässt sich ein dreidimensionales Bild des Geschehens ermitteln.
Doch gibt es seit Kurzem Fish-TV: ein Echolot oder Sonar, bei dem mehrere Strahlen von Schallwellen mit einer Frequenz von 1,6 Megahertz gleichzeitig ausgesendet werden. Aus den eingefangenen Reflexionen lassen sich dreidimensionale Bilder erstellen – und das sogar bei einem Objekt von wenigen Millimetern Größe.

Mit diesem Unterwasserspäher konnten Amatzia Genin von der Hebräischen Universität in Eilat und seine Kollegen von der Scripps Institution of Oceanography und dem Zentrum für Marine Tropenökologie in Bremen über 375 000 Zooplankter im Golf von Akaba verfolgen – und sie als begnadete Wassertreter entlarven.

Auch hier treffen horizontale und vertikale Strömungen aufeinander, und je nach Erwärmung der Wassermassen ist der wässrige Fahrstuhl mal aufwärts und mal abwärts unterwegs. Für die winzigen Tiere – überwiegend Ruderfußkrebse – kein Problem: Sie bleiben stur im selben Stockwerk. Um das gegen die Strömung zu erreichen, müssen sie umgerechnet pro Sekunde das Zehnfache ihrer eigenen Körperlänge zurücklegen. Zum Vergleich: Ein menschlicher Rekordschwimmer schafft in derselben Zeit gerade einmal die eigene Körperlänge.

Horizontal allerdings lassen sie sich treiben. Und das erklärt, wie es zu Zooplankton-Teppichen kommt: Da die Strömung quasi "von der Seite" ständig neue Organismen heranschwemmt, die dann aber auch den Fahrstuhl verweigern und sich auf selber Höhe halten, sammeln sich immer mehr Ruderfußkrebse und Co in der Front zwischen den beiden Strömungen.

Wie allerdings die Tiere ihren aktuellen Wasserstand feststellen, bleibt rätselhaft. Da ihnen das Schwimmkunststück auch im Dunkeln gelingt, fällt Licht als Indikator aus. Vielleicht besitzen sie Sensoren für den Wasserdruck, vermuten die Forscher. Schließlich gibt es bei Copepoden Organe auf der Vorderseite, deren Funktion noch unbekannt ist.

Warum die Zooplankter bestimmte Wasserstockwerke bevorzugen, lässt sich dagegen einfacher beantworten: Sei es, weil sich hier gerade eine nahrungsreiche Schicht findet, oder aber auch, weil das Gruppendasein das Aufspüren eines Paarungspartners erleichtert. Denn diese Suche ließe sich sonst in den wüsten Weiten des Ozeans für solche Winzlinge wohl kaum bewältigen.

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