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News: Gehauchte Löchlein

Manchmal nimmt die Natur Wissenschaftlern einen gehörigen Teil Arbeit ab. Wie Forscher nun herausfanden, ist es dank einer recht einfachen, natürlichen Technik gar nicht schwer, eine regelmäßige, gitterartige Struktur einem Material einzuimpfen. Im Prinzip reicht es sogar, nur kurz über eine spezielle Lösung zu hauchen, um ein Polymer mit vielen kleinen, ordentlich aneinander gereihten Luftbläschen zu erzeugen. Diese könnten sich in Zukunft bestens für Anwendung in der Photonik eignen.
Selbstorganisation ist eine feine Sache: Man gibt der Natur ein paar Bedingungen und ein geeignetes Material vor, und sie erschafft daraus selbstständig ein Produkt, das sich manuell nur auf komplizierte Art und Weise, oder häufig genug auch gar nicht herstellen ließe. So eine Methode eignet sich beispielsweise zur Herstellung von so genannten photonischen Kristallen – speziellen Materialien, die mit Licht so umgehen können, wie es Halbleiter mit Ladungsträgern tun. Diese optischen Tausendsassa könnten in Zukunft Herzstück neuartiger Technik in der Photonik sein, bei der eben Licht und Photonen schalten und regeln anstelle von elektrischen Strömen.

Mohan Srinivasarao und seine Kollegen von der School of Textile and Fiber Engineering am Georgia Institute of Technology haben nun ein sehr einfaches Verfahren entwickelt, selbstorganisiert Polymerfilme mit unzähligen kleinen Luftbläschen zu erzeugen, die unter anderem auch als photonische Kristalle wirken können. Dabei lösen die Forscher zunächst ringförmige Polymere – wie beispielsweise Polystyrol – in leicht flüchtigen Lösungsmitteln, wie Toluol und Benzol. Die Lösung mit etwa 0,1 bis 5 Gewichtsprozent Polymeren wird auf einer Glasfläche aufgetragen, über die ein warmer, feuchter Luftzug streicht.

Da das Lösungsmittel leicht verdunstet, nimmt die Temperatur der Lösung schnell um bis zu 25 Grad Celsius ab. Infolge dessen kondensiert Feuchtigkeit aus der warmen Luft auf der Oberfläche des Films und bildet dort eine Lage gleich geformter Tröpfchen – dicht zusammengepackt, wie Billard-Kugeln. Da das Wasser dichter als das Lösungsmittel ist, sinkt es tiefer in die Schicht und schafft so Platz für eine neue Lage Wassertröpfchen. Der Prozess wiederholt sich mehrmals innerhalb von ein bis zwei Minuten, bis das Lösungsmittel komplett verdunstet ist und ein dreidimensionales Muster aus dicht aneinander gereihten Wassertröpfchen im Polymerfilm zurückbleibt.

Schließlich verdunstet auch das Wasser in den einzelnen Lagen und hinterlässt ein Netzwerk aus miteinander verbundenen Luftblasen. Die einzelnen Bläschen sind dabei einheitlich in ihrer Größe und je nach Prozessbedingung zwischen 0,2 und 20 Mikrometern groß. Sie bilden in dem 30 bis 40 Mikrometer dicken Film eine perfekte, hexagonale Gitterstruktur aus.

Andrew Lovinger von der National Science Foundation schwärmt: "Die Schönheit des Verfahrens liegt in seiner Einfachheit. Man lässt einfach das Lösungsmittel bei Raumtemperatur verdunsten, und in ein paar Minuten hat man diese wunderschöne Wabenstruktur im Polymerfilm." Im einfachsten Fall reicht es sogar, wenn jemand über die Polymerlösung haucht.

Wenngleich der Prozess einfach aussieht, so hängt er doch von einem ungewöhnlichen Phänomen ab: der Bereitschaft der kleinen Wasserströpfchen, getrennt ihr Dasein zu fristen und sich nicht zu einem großen Tropfen zusammen zu schließen. Der Grund, weshalb sich die Tröpfchen so verhalten, ist noch nicht vollends verstanden, obwohl John William Rayleigh bereits vor hundert Jahren ähnliches beobachtete.

Srinivasarao vermutet, dass die große Temperaturdifferenz zwischen warmer, feuchter Luft und kalter Lösung die Tröpfchen zu Drehungen anregt, die Luft mitreißen. Die Luft wiederum wirkt als Puffer zwischen ihnen und hält sie davon ab, sich zusammenschließen. Eventuell lässt der rapide Temperaturabfall die Wassertröpfchen sogar gefrieren.

Der Forscher fand jedenfalls heraus, dass der Tröpfchendurchmesser stark von der Geschwindigkeit des Luftzugs über die Polymerlösung abhängt. Nimmt er von 30 auf 300 Meter pro Minute zu, so schrumpfen die Wassertröpfchen von 6 auf 0,2 Mikrometer. Srinivasarao geht davon aus, dass noch höhere Geschwindigkeiten sogar 50 Nanometer große Strukturen erschaffen könnten. Ein weiterer wichtiger Prozessfaktor ist die Luftfeuchtigkeit, die mindestens 30 Prozent betragen muss. Außerdem fanden die Wissenschaftler heraus, dass dem Prozess auch zwei andere Polymere und mehrere verschiedene Lösungsmittel zugänglich sind. Allerdings muss letzteres weniger dicht als Wasser sein, damit die Tröpfchen absinken.

Die ersten Anwendungen für die neuen Strukturen liegen vermutlich im Bereich optischer Materialien. So könnten sie als photonische Kristalle dienen und Licht-steuernde Bauelemente ermöglichen. Eventuell ließen sich auch Blasen ohne Verbindung untereinander herstellen und so klitzekleine Becher mit einem Fassungsvermögen von etwa zehn Pikolitern verwirklichen.

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