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News: Geheimnisvolles Wasser

Wasser ist eine der wenigen Substanzen, deren chemische Summenformel jedes Kind kennt. Trotz des einfachen Aufbaus jedes einzelnen Moleküls zeigt eine größere Ansammlung von Wassermolekülen erstaunliche Eigenschaften, die nur mit komplizierten theoretischen Konzepten erklärt werden können. Dazu gehört die Überlegung, warum fettliebende Stoffe sich schlecht in Wasser lösen. Diese Frage ist von besonderer Bedeutung bei der Faltung von Proteinen und der Bildung von Membranen in biologischen Zellen. Nach neuesten Erkenntnissen ist die alte Antwort aus dem Lehrbuch anscheinend falsch.
Es ist eine altbekannte Tatsache: Fettliebende Substanzen oder Atomgruppen wenden sich vom Wasser ab und verklumpen miteinander. Das läßt sich leicht zu Hause beobachten, wenn man versucht, Öl in Wasser zu verrühren. Ebenso entstehen Seifenblasen, weil die Seifenmoleküle zweigeteilt aufgebaut sind: aus einem wasserliebenden (hydrophilen) "Kopfteil" und einem fettliebenden (lipophilen oder hydrophoben) "Schwanzteil". In einer großen Menge Wasser versuchen die Schwanzteile, dem Wasser zu entgehen, indem sie sich zusammenschließen. Dabei bilden sie kleine Kügelchen, die mehr oder minder große luftgefüllte Hohlräume umschließen. Die hydrophilen Köpfchen weisen nach außen. Zwei solche Schichten aus Seifenmolekülen können sich so übereinanderlegen, daß die lipophilen Schwanzteile zusammenkommen. Die so gebildete Membran erinnert dann an ein Sandwich: hydrophiler Kopf – lipophiler Schwanz – lipophiler Schwanz – hydrophiler Kopf. Links und rechts davon befindet sich Wasser. Aus solchen Doppelschichten bestehen biologische Membranen, die verhindern, daß der Zellinhalt in die Umgebung fließt und umgekehrt alle Stoffe ungehindert in die Zelle gelangen.

Die gleiche "Kraft", die bewirkt, daß sich aus den richtigen Molekülen spontan Membranen bilden, sind auch entscheidend an der korrekten Faltung von Proteinen beteiligt. Proteine bestehen im wesentlichen aus langen Ketten von Aminosäuren. Diese tragen chemische Gruppen, die ebenfalls hydrophil oder lipophil sein können. Das Protein faltet sich grundsätzlich so, daß die lipophilen Bereiche sich entweder im Proteininneren zusammenfinden oder sich an ebenfalls lipophilen Regionen weiterer Moleküle lagern. Nach außen und damit zum Wasser weisen nur die hydrophilen Gruppen. Es scheint, als gäbe es zwischen den wasserunlöslichen Teilen der Moleküle eine Anziehungskraft, die als hydrophobe Wechselwirkung bezeichnet wird.

Doch bei genauerer Betrachtung erweist sich diese Annahme als zu stark vereinfacht. Wasserabweisende Gruppen bestehen häufig aus reinen Kohlenwasserstoffgruppen. Nun lösen sich aber kleine Kohlenwasserstoffmoleküle zu einem gewissen Grad durchaus in Wasser, wobei Energie frei wird. Die Mischung ist damit thermodynamisch günstiger und stabiler als die Trennung in Kohlenwasserstoffe und Wasser.

1945 lieferten Henry Frank und M. W. Evans eine Erklärung, warum trotzdem eine hydrophobe Kraft zu existieren scheint. Ihrer Ansicht nach liegt es an der seltsamen Natur des Wassers selbst. Zwischen den Wassermolekülen bestehen die relativ schwachen Wasserstoffbrückenbindungen – eine Form der elektrostatischen Anziehung. Ein Glas Wasser ist theoretisch ein gigantisches, unordentliches Netzwerk aus miteinander verbundenen Molekülen, wobei ständig durch die Wärmebewegung Bindungen aufgebrochen und neu ausgebildet werden. Diese Netzwerkstruktur macht Wasser zur seltsamsten Flüssigkeit auf der Erde.

Gerät ein Molekül wie zum Beispiel ein Kohlenwasserstoff in das Netzwerk, so droht es die Wasserstoffbrückenbindungen in seiner Nähe zu sprengen. Frank und Evans schlugen deshalb vor, daß als Reaktion darauf alle Wassermoleküle um den Eindringling herum diesem den 'Rücken zukehren' und so eine Art Käfig um ihn bilden. Das Wasser gibt damit aber lokal einen Großteil seiner Bewegungsfähigkeit auf. Es erscheint um das gelöste Molekül mehr wie ein geordneter Kristall als wie eine Flüssigkeit. Nun ist eine geordnete Flüssigkeit aber thermodynamisch ungünstiger als die ungeordnete Variante. Wenn sich jedoch mehrere der lipophilen Moleküle zu einem Klumpen zusammenballen, so sind weniger Wassermoleküle notwendig, um die "Störenfriede" zu umschließen, als wenn jedes einzelne Kohlenwasserstoffmolekül für sich in einen Käfig gesperrt würde. Das Ausmaß der zusätzlichen Ordnung ist also geringer, wenn die lipophilen Gruppen sich zusammenlagern. Dies, so Frank und Evans, ist die Ursache für die mysteriöse hydrophobe Kraft.

Daniel T. Bowron und seine Kollegen vom University College London testeten diese Idee mit Hilfe einer Technik, die es ihnen erlaubte, die lokale Struktur des Wassers um ein wasserunlösliches Molekül zu betrachten (Physical Review Letters vom 9. November 1998, Abstract). Sie arbeiteten mit einem einzelnen Atom des Edelgases Krypton, das einen ähnlichen Effekt auslösen sollte wie Kohlenwasserstoff. Indem sie untersuchten, wie vom Kryptonatom abgegebene Röntgenstrahlen durch Wechselwirkungen mit den umgebenden Wassermolekülen Energie verloren, konnten sie herausfinden, wie die Wassermoleküle geordnet waren. Die Forscher verglichen die Meßergebnisse von Krypton in flüssigem Wasser mit Krypton in Eis. In auskristallisiertem Wasser liegt das Edelgas in einem sogenannten 'Clathrathydrat' vor, in dem wohlgeordnete Wassermoleküle das Kryptonatom umgeben. Wenn dasselbe auch für das Krypton im flüssigen Wasser zuträfe, dann sollte das Röntgensignal in beiden Fällen ziemlich ähnlich sein.

War es jedoch nicht. Die Experimente zeigten, daß die Wassermoleküle um das Krypton in der Flüssigkeit weit weniger geordnet sind, als in den Clathrathydrat-Kristallen. Das bedeutet, daß die von Frank und Evans aufgestellte These nicht stimmen kann. – Mit anderen Worten, wir wissen immer noch nicht, was Proteine und Membranen in die richtige Form bringt. Dabei sieht Wasser doch so schön einfach aus.

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