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News: Gehirn im Rausch

Dass Nebengeräusche die Wahrnehmung stören, erscheint uns zunächst einsichtig - es ist nur falsch, wie Forscher jetzt herausfanden. Hintergrundrauschen kann, ihnen zufolge, schwache Signale sogar durchaus verstärken. Schärft Rauschen also die Sinne?
Ein Surren des Computerlüfters im Büro, das undeutliche Gemurmel eines Werbespots aus dem Radio im Nebenzimmer – die meisten konzentriert arbeitenden Menschen würden solche Nebengeräusche als störend bezeichnen. Auch in der Natur außerhalb unserer künstlich geschaffenen Umwelt ist derartiges Hintergrundrauschen aber alltäglich, und so ist es auch kaum überraschend, dass sich die Sinnesorgane von Mensch und Tier im Laufe der Evolution an diese natürlichen Gegebenheiten anpassten.

Tatsächlich wurden in den letzten Jahren – von den Haarzellen der Flusskrebse bis zum Tastsinn des Menschen – in immer mehr biologischen Systemen sensorische Tricks zur Wahrnehmung auch schwacher Signale vor dem alltäglichen Hintergrundrauschen enthüllt. Sie beruhen auf der biologischen Umsetzung eines physikalischen Prinzips – der stochastischen Resonanz. Darunter versteht man ein Phänomen, bei dem ein schwacher Reiz durch ein überlagertes zufälliges, also stochastisches, Rauschen verstärkt wird. Eine maximale Signalverstärkung wird dann bei einer bestimmten Rauschintensität erreicht – ganz ähnlich wie bei einem Resonanzeffekt.

Gröber veranschaulicht wird das Prinzip mit Eierkartons und Murmeln: Rollt eine Murmel in einer der Mulden eines Eierkartons nur sanft hin und her, so wird sie nicht in die nächste Mulde gelangen können. Das ändert sich erst, wenn die Eigenbewegung der Murmel überlagert wird durch ein ungesteuertes und zufälliges Ruckeln. Jetzt kann die Murmel zufällig bis in die nächste Eierkartonmulde beschleunigt werden – dann, wenn das Ruckeln und die ursprüngliche Kugelbewegung zufällig zu einem bestimmten Zeitpunkt gemeinsam in die gleiche Richtung wirken und sich daher gegenseitig verstärken.

Toshio Mori und Shoichi Kai von der Kyushu University wollten nun untersuchen, ob mit Hilfe von stochastischer Resonanz auch komplexere neuronale Netzwerke wie das menschliche Gehirn Signale verstärken. Dazu untersuchten die Forscher das Alpha-Gehirnwellenmuster freiwilliger menschlicher Testteilnehmer.

Alpha-Wellen, Gehirnwellen mit Frequenzen zwischen 8 und 13 Hertz, produziert das menschliche Gehirn besonders in entspannten Ruhesituationen – beispielsweise kurz vor dem Einschlafen. Durch bestimmte regelmäßige Lichtreize kann das Gehirn auch von außen dazu angeregt werden, Alpha-Wellen zu bilden, deren Frequenz wird dann durch die Frequenz des anregenden Signals bestimmt.

Mori und Kai lösten gezielt Alpha-Wellen durch blinkende Lichtreize einer bestimmten Frequenz aus und bestimmten eine Reizschwelle, unterhalb der die auslösenden Signale nicht mehr wahrgenommen wurden – also auch keine Alpha-Wellen-Reaktion auf die stimulierenden Lichtblitze mehr produziert wurden.

Überlagerten die Forscher aber ein schwaches, nicht mehr wahrnehmbares Signal mit einem chaotischen Rauschen von Lichtblitzen, so verzeichneten sie plötzlich wieder ein regelmäßiges Alpha-Wellen-Muster. Offenbar verstärkte das Rauschen das Ursprungssignal wieder über die Wahrnehmungsschwelle hinaus. Die Stärke der gemessenen Alpha-Ströme stieg mit der Stärke des Rauschens, bis ein Schwellenwert, der Resonanzpunkt, erreicht wurde.

Der Resonanzeffekt könnte nun im Auge selbst oder erst nach der Weiterleitung der Nervenimpulse im Gehirn ausgelöst worden sein. Um dies entscheiden zu können, reizten die Wissenschaftler nur eines der beiden Augen mit einem gerade nicht mehr wahrnehmbaren Signal. Das andere stimulierten sie gleichzeitig mit dem verstärkenden Rauschen.

Nur wenn beide Augen auf diese Weise gereizt wurden, waren auch Alpha-Wellen nachweisbar. Da die Informationen beider Augen aber erst im visuellen Cortex des Gehirns zusammengeführt werden, muss die Resonanzauslösung auch dort ihre Grundlage haben – der erste Beweis dafür, dass stochastische Resonanzeffekte auch im Gehirn bei der Verstärkung schwacher Signale eine Rolle spielen.

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