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Magnetspeicher-Technologie: Gekühlt kolossal feinfühlig

Festplatten und Speichermedien sind wie Automodelle und Waschmittel - was gerade noch topmodern, schnell und sparsam war, ist bald schon überholt von "der besten Generation, die es je gab". Zur Produktpflege der Zukunft beschreiten Ingenieure dabei auch exotische neue Wege - was heute ein Labor in Erstaunen versetzt, kann schließlich übermorgen auch mal Standard werden.
Hören Sie's? Gerade hat es Ihr Computer wieder getan: Ein kaum wahrnehmbares Knister-Knatter der Laufwerkmechanik, schon sind die letzten Daten kurz wieder einmal aus dem Arbeitsspeicher ausgelesen und auf der Festplatte mittelfristig abgelagert. Dabei hilft Magnetismus: Der Bitstrom an Information wird auf der Festplatte als magnetische Strichmuster-Folge abgelegt, in der sich winzige magnetisierte Bereiche abwechseln, die in eine Richtung (für die Bitinformation "1") oder die entgegengesetzte (Bit "0") ausgerichtet sind.

Festplattengenerationen überboten sich in der jüngeren Computervergangenheit unter anderem darin, den Abstand zwischen den einzelnen Magnetstreifen, also Bits, immer mehr zu verkürzen – und so immer mehr Informationen auf immer kleinerem Speicherraum unterzubringen. Gleichzeitig verbessern sich auch die Fähigkeiten der Leseköpfe, mit denen ja schließlich die winzigen Magnetfeldunterschiede auf der rotierenden Platte wahrgenommen werden müssen. Jene subtilen Felddifferenzen bewirken im einzigartigen Materialmix des Festplatten-Lesesensors eine physikalische Veränderung: Unter Magnetfeldeinfluss ändert das Lesekopf-Material seinen elektrischen Widerstand und schwankt somit in seiner elektrischen Leitfähigkeit: Leiten oder nicht leiten ist dann die Lesekopf-Antwort auf die Frage nach 0 und 1.

Material-Feintuning sollte den Lesekopf sensibler machen und es erlauben, die beim Speichern notwendigen Magnetfeldstärken herabzusetzen. Ingenieuren half bei dieser Aufgabe die Entdeckung eines erstaunlichen Effektes durch Peter Grünbergs Team vom Forschungszentrum Jülich aus dem Jahr 1988: Kombiniert man bestimmte magnetische und nichtmagnetische Metalle, so steigt die Leitfähigkeit des Mixes beim Anlegen von Magnetfeldern deutlich, um bis zu einhundert Prozent. Ein riesiger Sprung, so die Beteiligten, und tauften den Effekt entsprechend "Riesenmagneto-Widerstands-Effekt", was international zu "giant magnetoresistance" (GMR) wurde. Ein von IBM präsentierter GMR-Lesekopf aus sinnvoll kombinierten Bauschichten erhöht mit Hilfe des Effektes seit knapp einem Jahrzehnt auch in der Praxis die Speicherdichten: Eine durchschnittliche Festplatte des Jahres 1990 enthielt gerade mal 40, eine vom Ende des Jahrtausends dann 1200 Megabyte.

Groß geht aber immer noch größer, und gigantisch immer kolossaler: Stärker als der GMR ist der CMR-Effekt, der kolossale Magnetowiderstand (collosal magnetoresistance). Ihn zeigen etwa bestimmte Mangan-Verbindungen. Kühlt man sie, so können sie beim Anlegen eines Magnetfeldes sprunghaft eine rund 1300prozentige Widerstandsabnahme zeigen. Masashi Tounaga und seine Kollegen von der Universität Tokio beschäftigten sich seit einiger Zeit mit CMR-tauglichen Manganit-Oxid-Verbindungen und erkannten, worauf die Leitfähigkeits-Sprünge bei Temperatur- und Magnetfeldänderungen beruhen.

CMR-Material | In dem Atom-Labyrinth eines Mangan-Oxid-Materials mit CMR-Eigenschaft müssen Elektronen weite Wege gehen. Beim Anlegen eines Magnetfeldes (oder niedrigen Temperaturen) richten sich die Atome aber geordnet an – es entstehen Bereiche mit geringem Widerstand und großer Leitfähigkeit, die eine "kolossale" Leitfähigkeitsänderung bewirken.
Knackpunkt ist dabei die labyrinthartige Struktur der Manganit-Materie: Versuchen Elektronen bei Zimmertemperatur das Material zu durchqueren, verirren sie sich zwischen allgegenwärtigen, im Weg stehenden Atomwänden. Magnetfelder und niedrige Temperatur aber richten die zufällig durcheinander gekegelten Atom-Hindernisse wie Eisenfeilspäne im Stabmagnetfeld säuberlich parallel an. Es entstehen dann relativ breite und wenig verwinkelte Spalten – Elektronenboulevards, auf denen die geladenen Teilchen leicht flanieren können. Der zuvor hohe Widerstand bricht dramatisch ein, das CMR-Element wird plötzlich gut leitfähig.

Leider funktioniert das Ganze so richtig nur bei niedrigen Temperaturen: Erst unterhalb von frostigen 77 Kelvin ist etwa das supraleitende Manganitoxid widerstandslos, welches Tounaga und Co. im Laborprüfstand erforschten. Immerhin, so die Forscher, kann man mit Hilfe elektrischer Ströme Hitze zuführen und dabei die kältebedingte Leitfähigkeit gesteuert abschalten. Mittlerweile beherrschen sie diese Technik derart gut, das sie das Manganitoxid gezielt bis fast an die Sprunggrenze zwischen Leit- und Leitunfähigkeit bringen können. Hier reicht dann ein nur ganz kleiner Schubs – und das CMR-Element klappt in die eine (gut leitende) oder andere (stark widerstehende) Richtung.

Dieser kleine Schubs kann, wie das Team nun berichtet, zum Beispiel auch eine geringfügige Magnetfeldänderung von etwa einem zehntel Tesla Stärke sein. Einerseits ist das nicht wenig – ein Hufeisenmagnet etwa erzeugt Felder einer magnetischen Flussdichte von nur rund einem tausendstel Tesla –, andererseits ein ziemlicher Fortschritt: Ohne den punktgenau heizenden Strompuls sind mehrere Tesla starke Felder nötig, um den Widerstand des nicht leitenden Materials zu brechen und es gut elektronendurchlässig zu machen. Eine so deutliche Leitfähigkeitsänderung durch ähnlich niedrige Magnetfeldänderungen ist jedenfalls bislang noch nie beschrieben worden.

Gut, aber wohin führt das alles? Zumindest werden die Leseköpfe der Computer-Festplatten wohl nicht durch gekühlte CMR-Materialien revolutioniert: Die derzeitig gängige GMR-Technik zeigt zwar weniger auffällige Leitfähigkeitssprünge, hat allerdings den Vorteil, sich auch bei Zimmertemperatur zuverlässig einzustellen. Wahrscheinlich warten wohl andere Aufgaben darauf, von den exotischen Eigenschaften der supraleitenden und magnetfeldabhängigen CMR-Manganite erledigt zu werden.

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