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Geleaktes Papier: Forschungspolitik im Ausgabenrausch

Die Koalitions-Unterhändler wollen eine »Hightech-Agenda für Deutschland«, doch die dürfte teuer werden. Das zeigt schon der Blick auf fünf der besonders augenfälligen Pläne, von Rechenzentren für KI und Quanten bis zum ersten Fusionsreaktor der Welt. Wie realistisch und sinnvoll sind die Vorhaben?
Ein futuristischer Hochgeschwindigkeitszug fährt durch eine transparente Röhre in einer grünen Landschaft.
Eine Magnetschwebebahn, die mit irrwitziger Geschwindigkeit durch eine Vakuumröhre rast: Eine »Nationale Hyperloop-Referenzstrecke« ist das wohl schillerndste der skizzierten Vorhaben.

Fünf Seiten forschungspolitische Wünsche, doch ausgerechnet das letzte Kapitel mit der Kostenschätzung fehlt: Was von dem Dokument der Arbeitsgruppe »Bildung, Wissenschaft, Innovation« aus den Koalitionsverhandlungen abfotografiert und durchgestochen wurde, ist eine Auflistung von Großprojekten, die in ihrem Ausmaß und ihrer Anzahl überaus ambitioniert wirkt.

Das Papier ist eine der Grundlagen für die anstehenden Koalitionsverhandlungen. Was es von den Zwischenergebnissen in den Koalitionsvertrag schafft, darüber entscheiden gerade die Chefverhandler rund um die Parteispitzen. Die Verfasser haben jedenfalls ihre eigene Präambel wörtlich genommen: »Wir wollen Deutschland fit machen und Bildung, Forschung und Innovation einen größeren Stellenwert in unserem Land geben. Dazu werden wir massiv investieren.«

Wie massiv, ist nicht klar. So zahlreich die Wünsche, so holzschnittartig und uneindeutig sind sie teilweise beschrieben. Das macht seriöse Kostenschätzungen schwierig. Um welche Größenordnungen es geht, zeigt jedoch schon der exemplarische Überblick über nur fünf der besonders augenfälligen Pläne.

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»AI-Gigafactory«: Superrechner für künstliche Intelligenz

»Wir starten eine KI-Offensive mit einem 100 000-GPU-Programm (AI-Gigafactory)«, steht da zum Beispiel. Technisch sei das ohne Weiteres machbar, sagt Dieter Kranzlmüller, Leiter des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Der Supercomputer JUPITER, der gerade am Forschungszentrum Jülich installiert werde, habe 24 000 GPU. »Das können Sie problemlos auf das Vierfache hochskalieren.« Das kostet allerdings: Für JUPITER beträgt das offizielle Budget 500 Millionen Euro. Allerdings wird der Rechner sparsam in Containerbauten untergebracht. Für das Rechenzentrum einer »AI-Gigafactory« müsse man zusätzlich die Ausgaben für Grund und Boden und das Drumherum mitdenken.

»Eine deutsche AI-Gigafactory dürfte mit zwischen zwei und fünf Milliarden Euro zu Buche schlagen«Dieter Kranzlmüller, Informatiker

Für ihren Plan, vier Gigafactorys als eine Art europäische Antwort auf die US-Initiative »Stargate« zu errichten, hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer Ankündigung vom Februar insgesamt 20 Milliarden Euro angesetzt. Das sei, so Kranzmüller, das andere Extrem. »Eine deutsche AI-Gigafactory als Beitrag dazu dürfte also mit irgendetwas zwischen zwei und fünf Milliarden Euro zu Buche schlagen.« Ob davon wirklich zwei Drittel aus der Privatwirtschaft kommen, wie es von der Leyen vorschwebt? »Da wäre ich zurückhaltender in meinem Optimismus«, sagt Kranzlmüller. Hinzu kämen die exorbitanten Betriebskosten. Trotzdem, sagt Kranzlmüller, wenn anderswo in Europa gebaut werde, müsse auch Deutschland dabei sein. »Alles andere wäre kaum vermittelbar.«

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»Mindestens zwei Quantenhöchstleistungsrechner«

»Wir bauen das nationale Quantenökosystem aus. Leistungsfähige Quantensysteme machen wir in der Fläche verfügbar und sorgen für die beschleunigte Entwicklung von mindestens zwei Quantenhöchstleistungsrechnern im Wettbewerb.« Der Plan klingt eindeutig, ist es aber laut Kranzlmüller nicht. Normalerweise verstehe man unter Quantenhöchstleistungsrechnern klassische Höchstleistungsrechner, an die Quantencomputer angeschlossen sind. Wenn dann der klassische Rechner zu dem Ergebnis gelange, dass der Quantencomputer die Lösung schneller hinbekomme, gebe er das Problem weiter.

»Von solchen Kombisystemen haben wir in Deutschland eines bei uns im Munich Quantum Valley. Weitere sind im Aufbau«, sagt Kranzlmüller. Man sei gerade dabei, diese in der Fläche für möglichst viele Nutzer verfügbar zu machen. Weitere Anlagen seien insofern sehr willkommen. Für das bayerische Quantenökosystem seien 300 Millionen Euro allein vom Freistaat geflossen, jeder weitere Quantencomputer schlage zusätzlich mit 10 bis 50 Millionen zu Buche. »Wenn man aber nächste Technologiegenerationen anstrebt, wovon ich ausgehe, wird es wieder teurer, dann reden wir vielleicht von 100 Millionen Euro pro Stück«.

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»Eine Nationale Hyperloop-Referenzstrecke«

Von allen im Ergebnispapier diskutierten Vorhaben wäre dieses das schillerndste. Über einen ultraschnellen Zug, der mit 1000 Kilometer pro Stunde durch eine luftleere Röhre rast, fantasieren Ingenieure seit den 1920er Jahren. Die Vorteile liegen auf der Hand: Im Vakuum gibt es keine Reibungsverluste, der Zug könnte mit weniger Energie viel stärker beschleunigt werden. Zugegeben, der Plan zu einer Hyperloop-Referenzstrecke steht im Zwischenergebnis in eckigen Klammern, das bedeutet: Die Unterhändler waren sich uneinig. Es heißt, die CSU sei dafür gewesen, die SPD dagegen. Wenig überraschend befindet sich einer der beiden deutschen Standorte, an denen intensiver am Hyperloop getüftelt wird, an der TU München. Der andere ist in Emden.

Unter allen im Ergebnispapier diskutierten Vorhaben wäre eine Hyperloop-Strecke das schillerndste

Doch wie genau würde man das Vorhaben technisch umsetzen? Es bräuchte geeignete Antriebstechnik sowie eine schnurgerade Strecke ohne Kurven und Gefälle, weil die Passagiere sonst ständig in ihre Sitze gepresst würden. Elon Musk legte 2017 einen konkreten Plan vor, als Gegenentwurf zu einer damals geplanten konventionellen Zugverbindung durch Kalifornien. Inzwischen hat der Milliardär an dem Thema kein Interesse mehr, die Herausforderung allerdings haben andere aufgenommen. Nur fehlt es bis heute an gemeinsamen internationalen Standards. Was hieße das für eine mögliche Teststrecke in Deutschland? Immer wieder wird in dem Zusammenhang die stillgelegte Transrapid-Versuchsanlage im Emsland genannt: 31,8 Kilometer, die man neu konzipieren könnte, statt sie abzureißen. Eine aufgepeppte Magnetschwebebahn in der Vakuumröhre? Darauf könnte es hinauslaufen, sagen Experten. Kostenpunkt? Kaum abschätzbar. Ein Blick in die Historie zeigt, dass der Bund für den Bau der Transrapid-Teststrecke seit 1970 über 400 Millionen Euro ausgegeben hat. In heutiger Kaufkraft wären das etwa 1,6 Milliarden Euro.

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»Eine Nationale Biobank«

Es gehört zu den Lehren der Coronapandemie, dass Deutschland in der epidemiologischen Forschung einen massiven Rückstand hatte, etwa verglichen mit dem Vereinigten Königreich. Dort gibt es zum Beispiel schon seit den 2000er Jahren die UK Biobank, die biologische Proben und Gesundheitsdaten von einer halben Million Menschen über Jahrzehnte immer neu sammelt und nutzt. Braucht es Vergleichbares auch in Deutschland? Ja, finden offenbar die schwarz-roten Unterhändler und schrieben in ihr Papier: »Wir schaffen eine Nationale Biobank als Grundlage für Präventions-, Präzisions- und personalisierte Medizin.«

Sara Nußbeck ist Vorstandssprecherin des Deutschen Biobankennetzwerks German BioBank Node (GBN). Sie ist in ihrer Begeisterung über den Vorschlag dennoch zurückhaltend. Grundsätzlich, sagt sie, wäre es ein »großer Erfolg«, wenn Biobanking in den Koalitionsvertrag aufgenommen würde. In diese Richtung habe der GBN auch in seinem Positionspapier vor der Bundestagswahl plädiert. Nur: »Es gibt in Deutschland längst eine funktionierende dezentrale Struktur von Biobanken«, deren Dachorganisation der GBN sei, sagt Nußbeck, die im Hauptjob die Zentrale Biobank der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) leitet.

»Die funktionierende dezentrale Struktur sollte gestärkt und noch nachhaltiger genutzt werden«Sara Nußbeck, Molekularbiologin

Das sei der große Vorteil des deutschen Ansatzes: 36 regionale Biobanken und ein IT-Entwicklungszentrum, die nach einheitlichen Qualitätsstandards arbeiteten und Bioproben sowie zugehörige Daten über ein gemeinsames Suchtool verfügbar machten. »Diese Struktur sollte jetzt gestärkt und noch nachhaltiger genutzt werden, um daraus etwas von der Schlagkraft Vergleichbares mit der UK Biobank zu entwickeln.«

Ob das gemeint ist im schwarz-roten Textentwurf – oder ganz etwas anderes? Schwer zu sagen, wie der kurze Satz zur »nationalen Biobank« zu interpretieren ist. Fest steht: Seit 2011 hat allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung 40 Millionen Euro in den Aufbau, die Harmonisierung und die Vernetzung der akademischen Biobanken investiert.

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»Erster Fusionsreaktor der Welt«

Während das Ziel des Hyperloops das schillerndste ist, kommt hier das ambitionierteste: »Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen«, gab die Verhandlungsgruppe zu Bildung, Forschung und Innovation vor. Eigentlich müssten die Beteiligten recht genau wissen, was sie da sagen, denn führende Fusionsexperten haben im Herbst 2023 bei einer Anhörung im Bundestagsforschungsausschuss vorgerechnet, was das kosten würde. Egal, welche Fusionstechnik man nehme, es handle sich um Großanlagen und »sehr komplexe Großkraftwerke«, sagte Thomas Klinger vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Es dauere, diese zu bauen. Als Orientierung könne man festhalten: »20 Jahre, 20 Milliarden.« Also eine Milliarde pro Jahr. Vielleicht »zu konservativ und zu solide«, sagte Klinger, aber das sei seine Einschätzung. Und keiner der anwesenden Fachleute widersprach.

Orientierungswerte für ein Fusionskraftwerk: 20 Jahre, 20 Milliarden

Zeitlich etwas optimistischer waren Francesco Sciortino von der Proxima Fusion GmbH (»Wir glauben, dass wir das innerhalb von etwa 15 Jahren schaffen«) und Rafael Laguna de la Vera, Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND): Zwar gebe es gute Gründe für die Prognose, dass es noch 20 Jahre dauert, wenn Fachleute die Technologie so weiterentwickeln. »Trotzdem wissen wir nicht, was an Technologie noch kommen wird.«

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Wie geht es nun weiter?

Nur fünf Vorhaben im Zwischenergebnis der Koalitionsverhandlungen zur Wissenschaft – und schon die würden die jährlichen Forschungsausgaben um Milliarden Euro erhöhen, falls man sie zügig und, wie Schwarz-Rot immer wieder betont, »unbürokratisch« umsetzte.

Dabei noch gar nicht berücksichtigt sind andere im AG-Zwischenergebnis festgehaltene Großprojekte, wie etwa das europäische Einstein-Teleskop, ein Observatorium für Gravitationswellen, das Schwarz-Rot gern nach Deutschland holen würde. Oder der »Offensive für Luft- und Raumfahrt«. Oder die Erhöhung der Programmpauschalen der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das »1000-Köpfe-Programm«, um internationale Spitzenwissenschaftler anzuwerben. Oder der Ausbau der Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung zu einer »Spitzeninitiative der Hochschulmedizin«. Und die Liste ist noch länger.

Jede einzelne Idee, jeder einzelne Vorschlag mag in sich stimmig oder berechtigt sein. Das Problem: Hinzu kommen nicht nur die Wünsche der Bildungspolitiker, sondern die oft nicht weniger umfangreichen Listen der 15 anderen Koalitionsarbeitsgruppen. Zuletzt schwante auch den Parteispitzen von Union und SPD, dass sie mit der Rekordzahl von 256 Unterhändlerinnen und Unterhändlern einen strategischen Fehler gemacht haben, weil logischerweise jeder und jede einzelne davon eigene Projekte einbringt und keine Arbeitsgruppe zurückstehen will. Ein Paradebeispiel der Spieltheorie. »Ich habe das Gefühl, dass bei manchen Arbeitsgruppen die Überschrift lautete: ›Wünsch-Dir-was.‹ Es wird jetzt unsere Aufgabe sein, das auf das mögliche Maß zu reduzieren«, sagte Friedrich Merz laut einem »Tagesspiegel«-Artikel schon am 28. März. Und Lars Klingbeil ergänzte, beim Blick auf die Ergebnisse der 16 Arbeitsgruppen müsse man fragen: »Ist das groß genug? Reicht das? Sind das die richtigen Schwerpunkte? Oder müssen wir noch ganz anders priorisieren?« Die Antwort könnte bald auf dem Tisch liegen. Dann hoffentlich auch mit Preisschild.

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