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Energiewende: Gelten in Deutschland bald regional unterschiedliche Strompreise?

Experten schlagen in einem Bericht für die EU vor, Deutschland in fünf Strompreiszonen einzuteilen. Das soll Kosten einsparen. In Bayern würde der Strom dadurch teurer. Profitieren würden Nord- und Ostdeutschland.
Ein Boot fährt auf das offene Meer zu, vorbei an einer Reihe von Offshore-Windkraftanlagen, die sich in einer Linie am Horizont erstrecken. Die Windturbinen stehen auf gelben Plattformen im Wasser.
Die Anlagen im Windpark Borkum Riffgrund haben im Jahr 2024 zusammen mehr als 2000 Gigawattstunden ins Netz gespeist.

Während der Strom im Norden Deutschlands hauptsächlich aus Windenergie stammt, wird der Süden vor allem mit Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken versorgt. Auf Grund dieser großen regionalen Unterschiede soll es in Deutschland statt eines einheitlichen Handelspreises für Strom künftig bis zu fünf verschiedene regionale Preiszonen geben. Das zumindest empfiehlt der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (»Entso-e«), dessen 40 Mitgliedsunternehmen ganz Europa mit einem mehrere hunderttausend Kilometer umfassenden Hochspannungsnetz verbinden. Wird die von der EU-Kommission beauftragte Empfehlung so umgesetzt, könnten die Strompreise künftig in erster Linie zwischen Nord- und Süddeutschland spürbar auseinanderklaffen.

Die fünf vorgeschlagenen Zonen sollen grob umrissen die folgenden sein: ein südliches Gebiet mit Bayern, Baden-Württemberg und Hessen; Ostdeutschland als Gesamtregion; eine westliche Region entlang der Rheinschiene; Niedersachsen samt den Offshore-Parks der Nordsee sowie Schleswig-Holstein als kleinste eigenständige Region. In Nord- und Ostdeutschland könnte der Handelspreis für Strom den Analysen von Entso-e zufolge um rund elf Prozent sinken, im Süden und Westen würde er dagegen um bis zu drei Prozent steigen. Die neue Aufteilung würde also diejenigen Bundesländer belohnen, die konsequent auf Windenergie gesetzt haben. Denn je kontinuierlicher Strom aus Windkraft kommt, desto niedriger sind die Handelspreise. Der einheitliche bundesweite Preis gleicht solche Unterschiede bisher aus.

»Die bisherige Zone Deutschland-Luxemburg in fünf Zonen aufzuteilen, hat unseren Berechnungen zufolge den höchsten ökonomischen Mehrwert«, teilte Entso-e in Brüssel mit und nannte mögliche Einsparungen von 339 Millionen Euro pro Jahr. Der Norden Deutschland würde dadurch formal zum Stromexporteur. Dortige Windanlagen müssten seltener zwangsweise abgeschaltet werden, um das Stromnetz zu stabilisieren, heißt es in der Empfehlung. Schweden hat bereits seit Längerem vier Strompreisregionen geschaffen und damit nach Angaben der dortigen Regierung gute Erfahrungen gemacht. In den USA werden die Strompreise sogar für noch kleinere Regionen gebildet.

Tausende neue Leitungskilometer werden benötigt

Wie wichtig die Stabilität des Stromnetzes ist, zeigte sich just am heutigen Montag, 28. April 2025, in Spanien und Portugal: Dort kam es zu einem landesweiten Stromausfall, nach dessen Ursachen noch gefahndet wird. Züge und Fähren standen still, Ampeln fielen aus. Zwar zählt das deutsche Stromnetz bisher zu den zuverlässigsten der Welt. Es gibt, etwa im Gegensatz zu den USA, kaum Unterbrechungen in der Versorgung. Allerdings steigt mit dem Anteil witterungsabhängiger Solar- und Windenergie der Aufwand deutlich an, Einspeisung und Nachfrage immer im nötigen Gleichgewicht zu halten. Tausende Kilometer neuer Hochspannungsleitungen werden gebraucht, um Elektrizität von Regionen mit viel Windenergie im Norden in die Verbrauchszentren im Süden zu bringen. Der wachsende Solaranteil führt dazu, dass manchmal tagsüber das Stromnetz regelrecht mit Strom aus Sonnenenergie überflutet wird, dann aber zum Sonnenuntergang hin, wenn überall die Lichter angehen, ein Defizit einsetzt. Bisher fehlen Speicheranlagen, um diese Fluktuationen auszugleichen. Zum Einsatz kommen dann häufig kurzfristig Gas- und auch Kohlekraftwerke der so genannten Kapazitätsreserve.

Der Handelspreis für den deutschen Strom entsteht an der Europäischen Strombörse EEX, die ihren Hauptsitz in Leipzig hat. Dort können große Verbraucher, Händler und Stromanbieter Strommengen kurzfristig oder in Form von garantierten Mengen im Voraus kaufen. Das europäische Handelsgebiet ist dafür in sechs große Bereiche aufgeteilt, die wiederum aus einzelnen Regionen bestehen. Im Bereich Mitteleuropa bilden Deutschland und Luxemburg bisher eine einheitliche Region, auch Gebotszone genannt, was zu einheitlichen Preisen führt. Den Preis bestimmt im Stunden- oder Viertelstundentakt immer die Stromquelle, die die letzte noch benötigte Kilowattstunde produziert. Zum Handelspreis hinzu kommen für Endverbraucher noch Aufschläge wie Stromsteuer, Mehrwertsteuer, so genannte Netzentgelte für Betrieb und Ausbau von Stromleitungen und weitere Gebühren.

Schon länger ist umstritten, ob ein einheitlicher Handelspreis für ganz Deutschland noch zeitgemäß ist. Im Hintergrund steht die Hoffnung der norddeutschen Bundesländer, ihren Bewohnern und Unternehmen auf Grund des erheblichen Ausbaus der Windenergie einen deutlich niedrigeren Strompreis anbieten zu können, wenn dieser regional gebildet wird statt bundesweit einheitlich. Der Süden Deutschlands hat sich beim Ausbau der Windkraft sehr zurückgehalten und auch den Ausbau des Stromnetzes verzögert. Dort müssen deshalb häufiger kurzfristig Gaskraftwerke zu hohen Kosten zugeschaltet werden, um den Bedarf zu decken und das Stromnetz zu stabilisieren.

»Wer heute in Mecklenburg in die Herstellung von Wasserstoff, in Rechenzentren oder grüne Stahlfabriken investiert, zahlt ja immer den deutschlandweiten Preis, selbst wenn der Strom regional im Überfluss vorhanden ist«Plädoyer für regionale Strompreise

In einem Plädoyer für regionale Strompreise hatten sich bereits 2024 zwölf renommierte deutsche Ökonomen zu diesem Ungleichgewicht geäußert: »Wer heute in Mecklenburg in die Herstellung von Wasserstoff, in Rechenzentren oder grüne Stahlfabriken investiert, zahlt ja immer den deutschlandweiten Preis, selbst wenn der Strom regional im Überfluss vorhanden ist«, kritisierten sie. Einer der Mitautoren, der Energieökonom Leon Hirth von der Hertie School of Governance, kritisiert darüber hinaus: Bisher werde Deutschland als »eine einzige Kupferplatte« behandelt, so als ob Strom frei durch das Land fließen könne. Das entspreche aber wegen erheblicher Engpässe im Stromnetz nicht der Realität.

Verschärft werden die Unterschiede zwischen Nord und Süd noch durch den viel zu langsamen Ausbau des deutschen Stromnetzes, um Strom aus Windkraft von der industriearmen Küste in den wirtschaftlich stärkeren Süden des Landes zu bringen. Vor allem Bayern hat den Ausbau bisher verschleppt und verteuert, indem die Landesregierung darauf bestand, dass statt oberirdischen Masten überall Erdkabel verlegt werden sollen. Grund dafür war insbesondere die Angst vor Bürgerprotesten gegen neue Stromtrassen. Deshalb sind die Strommengen, die aus dem Norden Deutschlands in den Süden gelangen können, weiterhin begrenzt. Das führt regelmäßig dazu, dass die Rotoren der Windräder im Norden aktiv angehalten werden müssen, um eine Überproduktion zu vermeiden, die die Stabilität des Stromnetzes gefährden könnte.

Umgekehrt müssen im Süden Deutschlands dann Kohle- und Gaskraftwerke zugeschaltet werden, um den großen Strombedarf der Wirtschaft zu decken. Dieses »Redispatching« ist sehr teuer: Viele fossile Anlagen haben laufende Betriebskosten, erzeugen aber nur unregelmäßig Strom. Bisher entstehen dadurch auf zwei Wegen Zusatzkosten: Die Windanlagenbetreiber werden für den Ausfall entschädigt, die Gaskraftwerksbetreiber bekommen für das kurzfristige Einspringen jeweils Zuschläge. Die Kosten dafür sind auf zuletzt 2,3 Milliarden Euro jährlich angewachsen und werden auf Stromverbraucher in ganz Deutschland verteilt.

Gaskraftwerke lassen Strompreis in die Höhe schnellen

Das häufige kurzfristige Zuschalten von Gaskraftwerken lässt den Strompreis in ganz Deutschland steigen, weil dann deren hohe Kosten an der Leipziger Strombörse den Preis für die gesamte Elektrizität bestimmen. Ist Erdgas die Quelle der letzten zur Bedarfsdeckung nötigen Kilowattstunde, liegt der Preis deutlich höher als bei Wind- oder Solarstrom. »Die Redispatch-Reparatur beraubt Deutschland der Effizienz und Effektivität einer marktwirtschaftlichen Preissteuerung«, heißt es deshalb in dem Plädoyer der Ökonomen für regionalisierte Strompreise. Zu den Unterzeichnern zählen Veronica Grimm von der TU Nürnberg, die dem Sachverständigenrat der Bundesregierung für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angehört, der Klimaökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sowie Felix Matthes vom Öko-Institut, einem unabhängigen, privaten Umweltforschungsinstitut.

Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen in Deutschland klagen seit Längerem darüber, dass Elektrizität hier zu Lande zu teuer sei. Zusätzlich macht es ein dauerhaft hoher Strompreis schwerer, die Energiewende voranzutreiben und in großem Stil auf E-Autos und Wärmepumpen umzustellen. Die produzierende Industrie zudem künftig mit grünem Wasserstoff statt Erdöl und Erdgas am Laufen zu halten, ist nur mit preiswerter Elektrizität aus erneuerbaren Quellen realistisch.

In der Herstellung sind Wind- und Sonnenstrom bereits heute unschlagbar günstig. Sie verbrauchen keine Brennstoffe und laufen – einmal installiert – weitgehend autonom. Gibt es an einem sonnigen Wochenende einen Überschuss an Solarstrom, sinken die Handelspreise deshalb rasch gegen null oder werden sogar negativ. Das bedeutet, dass Großverbraucher sogar dafür bezahlt werden, den Strom abzunehmen.

Die großen deutschen Übertragungsnetzbetreiber Amprion, 50Hertz, Transnet BW und TenneT lehnen eine Aufteilung Deutschlands in Stromhandelsregionen allerdings vehement ab. In einer gemeinsamen Stellungnahme argumentierten sie, die Berechnungen des europäischen Spitzenverbands Entso-e seien veraltet. Die Studie beruhe auf Daten aus dem Jahr 2019 und berücksichtige nicht, wie der Netzausbau, vor allem der Ausbau der innerdeutschen Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ), und die erneuerbaren Energien vorankämen. Ohnehin wäre eine Aufteilung der Stromzonen erst ab 2030 möglich: »Bis dahin werden wesentliche Netzausbauprojekte weit fortgeschritten«, also heutige Engpässe beseitigt sein, heißt es. Eine Aufteilung würde außerdem zu mehreren negativen Effekten führen, insbesondere einem verringerten Stromaustausch zwischen den Regionen. »Das Ergebnis der Überprüfung der deutsch-luxemburgischen Gebotszone ist derzeit nicht geeignet, um eine Aufteilung der bestehenden Preiszone zu begründen.«

»Der Ausbau des Stromnetzes kommt so gut voran, dass kostspielige Eingriffe in die Stromproduktion schon jetzt deutlich seltener nötig sind als in den Vorjahren«Bundesnetzagentur

Auch die Bundesnetzagentur lehnt eine Aufteilung ab. Ein Sprecher teilte mit, der Ausbau des Stromnetzes komme so gut voran, dass kostspielige Eingriffe in die Stromproduktion schon jetzt deutlich seltener nötig seien als in den Vorjahren. Das Redispatching ist ein wichtiges Argument von Entso-e für die Aufteilung Deutschlands in Strompreisregionen.

Energieökonom Hirth dagegen begrüßte die Vorschläge von Entso-e. Er sagte in einem Briefing des Science Media Center, unterm Strich könnten selbst Verbraucher in Bayern von einer Aufteilung in fünf Preisregionen profitieren und künftig weniger bezahlen als heute. Für Haushaltsendkunden sei zwar mit einem Plus von 0,5 Prozent durch die Aufteilung zu rechnen, allerdings würden die Netzentgelte sinken, die eine wichtige Komponente des Endpreises sind. »Wahrscheinlich würden am Ende viele bayerische Haushalte weniger zahlen als bei einer einheitlichen Preiszone«, urteilte Hirth. Er betonte, regionalisierte Strompreise könnten auch den Bedarf an neuen Stromleitungen reduzieren: »Was jetzt geplant ist, muss gebaut werden, aber regionale Preise führen dazu, dass nicht immer neue Leitungsprojekte nötig sind.« Karsten Neuhoff, Professor für Energie- und Klimapolitik an der TU Berlin, sagte, die Entso-e-Studie untertreibe die ökonomischen Vorteile regionaler Preise sogar noch.

Kontraproduktive Strafe für den Ausbau erneuerbarer Energien

Auch das Expertengremium, das im Auftrag der Bundesregierung die Fortschritte bei der Energiewende überwacht, hat sich für eine Regionalisierung der Strompreise ausgesprochen. Der Energieökonom Andreas Löschel von der Ruhr-Universität Bochum erhofft sich davon, dass die Netzentgelte, die zusammen mit Steuern auf den Handelspreis für Strom aufgeschlagen werden, vornehmlich dort sinken, wo der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben wird. Bisher ist häufig das Gegenteil der Fall: Weil Netzentgelte für den Ausbau und Betrieb von Stromleitungen nicht national, sondern regional differenziert erhoben werden, zahlen Verbraucher in Regionen mit vielen neuen Wind- und Solarparks besonders hohe Gebühren. Löschel kritisiert daran, dass dies eine kontraproduktive Strafe für den Ausbau erneuerbarer Energien sei. Regionalisierte Strompreise könnten diese Ungleichgewichte verringern.

Zu den Befürwortern regionaler Strompreise zählt auch die Agora Energiewende. »Mit Hilfe lokaler Preise lassen sich Angebot und Nachfrage gezielter in Einklang bringen und damit das Übertragungsnetz gleichmäßiger auslasten«, heißt es in einer Stellungnahme des in Berlin ansässigen Thinktanks für Energiepolitik.

Die europäischen Regierungen müssen nun aushandeln, ob sie der Empfehlung folgen wollen oder nicht. Sie haben dazu ein halbes Jahr Zeit. Kommt keine Einigung zu Stande, hat die EU-Kommission das Recht, selbst neue Stromregionen festzulegen. Sowohl die Ampelkoalition wie auch die neuen Koalitionspartner in Berlin haben sich bisher gegen eine Aufteilung Deutschlands in Stromzonen ausgesprochen. Im Entwurf zum Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD heißt es: »Wir halten an einer einheitlichen Stromgebotszone fest.«

Um die Energiekosten für Bürger und Unternehmen zu senken, plant die neue Regierung, die Stromsteuer für alle Verbraucher auf das von der EU vorgeschriebene Minimum zu senken. Allerdings setzt sie zugleich auf den Neubau von Gaskraftwerken, was wiederum preistreibend wirken würde. Andere Strategien bestehen darin, den Verbrauchern über »Smartmeter« verstärkt zu ermöglichen, Strom dann zu nutzen, wenn er im Überschuss vorhanden und billig ist. Ein weiterer Ansatz ist der Bau großer Batterien sowie von Elektrolyseuren, die überschüssigen Strom in speicherbaren Wasserstoff verwandeln.

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