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Raumfahrt: Weltraum-Tomaten in der Antarktis

Paul Zabel will in der Antarktis frischen Salat und Tomaten züchten, um zu erforschen, ob das für die Raumstation ISS oder gar Missionen zum Mars geeignet ist. Doch wie gelingt der Anbau in dieser lebensfeindlichen Region?
Gewächshaus für die Antarktis

1,3 Kilogramm Salat, 1,1 Kilogramm Gurken und 250 Gramm Spinat: Man könnte meinen, es handele sich um eine ausgefuchste Diät mit viel grünem Gemüse. Aber Paul Zabel will nicht abnehmen oder besonders gesund leben, sondern Vitamine in lebensfeindlichen Umgebungen produzieren – dort, wo sich Menschen besonders über sie freuen, weil frische Produkte Mangelware sind. Der 28-jährige Jungforscher lebt bald für zwölf Monate in der Neumayer-Station III in der Antarktis. Seine Aufgabe: in einem speziellen Container Salat, Gurken, Kräuter, Tomaten und Erdbeeren züchten. Der Wissenschaftler arbeitet für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). 13 000 Kilometer von Deutschland entfernt wird der Forscher ab Dezember 2017 für die Versorgung einer kleinen Crew mit frischem Grün zuständig sein. Und er erwartet die wöchentliche Ernte oben genannter Mengen.

Mit dem Projekt EDEN ISS – Plant Cultivation Technologies For Space wollen die Wissenschaftler bereits heute auf der Erde belegen, wie sich an einem isolierten Standort Pflanzen züchten lassen, die ein Grüppchen mit Vitaminen und Spurenelementen versorgen. Deshalb wird aus dem Maschinenbauingenieur Paul Zabel ein Landwirt. Der stapft zweimal pro Tag zum 800 Meter von der Station entfernten Container, um dort mit künstlichem Licht und in Nährstofflösungen knackige Lebensmittel zu produzieren. Der Forscher erklärt die Idee dahinter: "Wir wollen eines Tages Pflanzen im Weltall anbauen, damit wir so unsere Astronauten sowohl mit frischer Nahrung als auch mit Sauerstoff versorgen können. Unser Projekt Eden ISS soll die Technologie für Pflanzenanbau im Weltraum unter analogen Missionsbedingungen testen." Bisher habe es zwar einige "kleinere Versuche mit dem Pflanzenanbau im Weltraum" gegeben, so Zabel weiter. Doch seien diese auf der russischen Raumstation MIR oder im Spaceshuttle auf kleine, kompakte Kisten von der Größe eines Schuhkartons begrenzt gewesen. Die Ernte fiel mit nur vier Salatköpfen dementsprechend karg aus: "Damit können Sie keine Mannschaft ernähren."

Der Diplomingenieur hat zuletzt an Lebenserhaltungssystemen in der Raumfahrttechnik gearbeitet, hier für zukünftige bemannte Raumfahrtmissionen. Zabel spezialisierte sich auf die Entwicklung von Pflanzenanbausystemen zur Nahrungsproduktion während solcher Missionen. Die Fördergelder in Höhe von 4,5 Millionen Euro stammen aus dem Horizon-2020-Programm der Europäischen Union. Das Projekt wurde im März 2015 gestartet und läuft noch bis Februar 2019. Wie so ein Lebensmittelanbau einmal aussehen könnte, zeigt der Film "Passengers". Schauspielerin Jennifer Lawrence reist darin mit gut 5000 Neubürgern zu einer weit entfernten künstlichen Erde, "Homestead 2" genannt. Hollywoods Dramaturgen räumten der Versorgung der Truppe auf dem 120 Jahre währenden Flug viel Platz ein. Maschinen servieren auf Knopfdruck frischen Salat und saftige Steaks, hunderte Bäume sorgen für frischen Sauerstoff für die Reisenden. Noch ist diese Idee deutlich mehr Fiktion als Wissenschaft.

Weit abgelegen, aber besser erreichbar als die ISS

Zabel will sie zumindest ein kleines Stückchen vorantreiben: Noch bis in den Herbst 2017 wird sein mobiles Gewächshaus in Deutschland getestet. Die Ausrüstung wird gerade in die sechs Meter langen Container eingebaut, die später auf dem Eis auf Stelzen in einigen Metern Höhe stehen werden. In Subsystemen werden die Setzlinge in speziellen Schränken mit Licht und Luft versorgt. Ein Hersteller liefert die dafür nötigen speziellen LEDs, die für die Bestrahlung der Pflanzen mit UV-Licht sorgen. In den Kästen werden die Wurzeln und Setzlinge regelmäßig mit einer Nährstofflösung besprüht. Um die Öffentlichkeit an kleinsten Regungen und Entwicklungen der Pflänzchen teilhaben zu lassen, plant man im Netz einen Livewebstream. Selbst an ein Close-up auf einige der Pflanzenanzuchtpaletten wird gedacht. Statusmeldungen und Sensordaten aus dem "mission operations room" werden automatisch an die Zentrale nach Bremerhaven gesendet.

Steht alles bereit, reist der Container dann mit dem Eisbrecher "Polarstern" bis zur Neumayer-Station III. Weshalb die Antarktis? Weil sie als einzigartig gilt; das gut 13 Millionen Quadratkilometer große Gebiet rund um den Südpol steht unter Schutz. Der Kontinent ist etwas größer als Europa. "Der Standort bietet die besten Voraussetzungen", sagt Zabel. Dieser sei "sehr weit abgelegen". Weitere Vorteile für den Test in der Ferne seien die geringeren Kosten und die einfachere Logistik, denn: "Wir müssen unser Gewächshaus nicht zur ISS bringen und können die Idee hier auf der Erde testen."

ISS – ein Forschungslabor im Weltraum |

Die Internationale Raumstation (ISS) ist wohl eine der größten Erfolgsgeschichten der grenzübergreifenden Wissenschaft. In einer Höhe von ungefähr 400 Kilometern kreist die Station seit 1998 um die Erde und dient als riesiges, internationales Forschungslabor im Weltraum. Sie hat eine Ausdehnung von 100 mal 100 mal 30 Metern und ist damit das größte künstliche Objekt im Erdorbit. Seit der Jahrtausendwende wird die ISS dauerhaft von Astronauten bewohnt, die eine Vielzahl von Projekten betreuen. Diese reichen von astronomischen, meteorologischen oder medizinischen Untersuchungen bis hin zu weniger naheliegenden Projekten. So werden etwa seit Mitte 2016 von der ISS aus die Bewegungen von mit Sendern ausgestatteten Wildtieren auf der Erde global erfasst. Auch die Bewohner selbst dienen als Probanden: Beispielsweise untersucht man an ihnen, inwiefern missionsbedingter Stress die Gesundheit beeinflusst. Die NASA will die Raumstation noch bis mindestens Ende 2024 betreiben. Dann könnte sie im Südpazifik mit einem geplanten Absturz deren Mission beenden.

Zwar gab es in der Antarktis bereits Anlagen für den Gemüseanbau. Doch waren die im Design eher simpel. Oft wurden sie von Expeditionsmitarbeitern in mühevoller Bastelei und mit den Mitteln zusammengebaut, die sich vor Ort in der Station fanden. Ein zweiter Punkt, der wichtige Ergebnisse für eine Marsmission liefern könnte, liegt in den Fragen: Wie geht man mit den psychischen Belastungen um? Was macht die Abwesenheit sozialer Strukturen mit Menschen? Die Anreise Zabels an den Forschungsort ist beschwerlich. Zunächst geht es per Linienflugzeug nach Kapstadt, dann weiter mit einem größeren russischen Transportflugzeug. Zuletzt bringt ihn ein Kleinflugzeug ans Ziel in der Antarktis. Bei schlechtem Wetter ist auch ein mehrtägiger Aufenthalt in der russischen Station denkbar, die als zentraler Flughafen in der Antarktis fungiert. Zabel sagt: "Der Südpol ist schwerer zu erreichen als die ISS." Denn die Region ist per Schiff oder Flugzeug nicht immer ansteuerbar. Widrige Witterung verhindert einen regelmäßigen Verkehr. Auch die Temperaturen sind extrem. Sie liegen vor Ort bei 4,5 Grad Celsius im Sommer und bis zu minus 50 Grad im antarktischen Winter. Im Jahresmittel herrschen Temperaturen von minus 16,1 Grad Celsius. Die Schneehöhe reicht bis zu einem Meter. An 73 Tagen im Jahr herrscht 24-stündige Finsternis.

Was tun bei Pflanzenkrankheiten?

Doch bevor es in neun Monaten vor Ort so weit sein wird, muss Folgendes beantwortet werden: Wie wird man als Wissenschaftler zum Landwirt? Und wo lässt sich diese neue Aufgabe erlernen? Im Mai 2016 ging es für den jungen Wissenschaftler auf einen Kurztrip in die Niederlande. Grund dafür: In Wageningen liegt Europas führende Forschungseinrichtung für Nahrungsproduktion. Dort zeigten ihm Profis die Grundlagen des Pflanzenanbaus. Zabel durfte tagelang geerntete Pflanzen vermessen und wiegen. Und: "In einem eintägigen Crashkurs gab man mir mit auf den Weg, wie ich erkennen kann, ob es der Pflanze gut geht oder nicht. Immerhin: Wir haben ein geschlossenes System und daher wohl keinen Befall mit Fliegen oder Milben. Dies ist in normalen Gewächshäusern oft das Problem."

Auch intensive Gespräche mit Nährstoffexperten standen auf dem Lehrplan, denn die Tomaten oder Erdbeerpflanzen werden nicht durch Erde, sondern per Nährstofflösung mit den für sie wichtigen Mineralien und Spurenelementen versorgt. "Pilzbildung ist möglich, wenn die Luftzirkulation nicht korrekt funktioniert. Oder wenn zu viele Menschen die Pflanzen anfassen, ohne sich zuvor die Hände desinfiziert zu haben", sagt der Forscher. "Das ist die größte Schwierigkeit in einem geschlossenen System." Vieles an Unbill ließe sich abwehren, wenn sich jeder an die Vorschriften halte. Weiter beschäftigt den Landwirt die Frage: Wie viel Wasser genügt – und was tun, wenn die Pflanzen zu feucht werden und zu verfaulen beginnen? Was Zabel in der Antarktis helfen könnte: Gibt es Probleme mit seinen Pflanzen, kann er per Videochat seine Kollegen in Bremerhaven um Rat fragen.

Neben seiner täglichen Routine stellt sich für Paul Zabel die Frage, wie er mit den begrenzten Sozialkontakten und der Einsamkeit umgehen will. Hier ist der junge Forscher zuversichtlich: "Das klappt schon. Ich bin in den zwölf Monaten der Überwinterung der Einzige vom DLR und werde den Großteil der Aufgaben allein erledigen müssen. Wir hoffen, dass sich Freiwillige aus der Station melden, die mich unterstützen." Immerhin werkeln in der 2009 gebauten Station ganzjährig Wissenschaftler. Doch weil es das erste große Gewächshaus neben der Station ist, will man sich nicht vollständig auf Zabels Fähigkeiten als Bauer verlassen: "Die Lebensmittel werden, wie bisher, einmal pro Jahr per Schiff angeliefert. Unser Ziel ist es, frische Nahrung im antarktischen Winter zur Verfügung zu stellen, wenn die Crew dann normalerweise nur noch Zugriff auf Gefrorenes, Getrocknetes oder Dosennahrung auf dem Teller hat."

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