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Sozialverhalten: Genbrandmarkt

Der Mensch ist nur sehr selten wirklich hilfloser Sklave seiner Gene - vieles in seiner Umwelt formt von Geburt an mit an seinem Wesen. Entwickelt es sich bösartig, ist demnach auch nie ein einziger genetischer Schuldiger zur Verantwortung zu ziehen.
Bestimmte Genvarianten erschweren das Sozialverhalten
Wie schön einfach war es doch vor ein paar Jahren, als – noch ganz am Anfang der genetischen Informationsrevolution – Labore weltweit mit vergleichenden Studien am menschlichen Erbgut begannen. Forscher untersuchten Gene, korrelierten sie mit Verhalten, fanden Zusammenhänge – und sagten es der Öffentlichkeit. Die hörte nur halb hin. Oder wollte nur halb hinhören, sondern lieber schnell herausposaunen: Entdeckt sei "ein Gen für" ... irgendetwas. Für Homosexualität, Linkshändigkeit, künstlerische Begabung, Impotenz. Oder die männliche Veranlagung zu Gewalttätigkeit. Letzteres hieß MAO.

Kurz die vereinfachte, halb richtige Rekapitulation dieser alten Geschichte: Eine bestimmte Version von MAO-A, dem Gen für das Enzym Monoaminoxidase-A, fanden Wissenschaftler im Jahr 2002 erstaunlich häufig bei Männern, die in Sozialkontakten auffallend oft zu impulsivem Gewaltverhalten neigten. Schon als Kinder prügelten oder stahlen sie und missachteten Regeln, als Erwachsene kamen sie häufiger mit dem Gesetz in Konflikt und zeigten aggressive Grundhaltungen. MAO-A, das entscheidende Gen für männliche Gewalt?

Tatsächlich hatten die Forscher auch mitgeteilt, dass die häufig asozial agierenden Träger der "aggressiv machenden" Version MAOA-L auch besonders häufig in ihrer Kindheit misshandelt worden waren. Nur die Kombination aus persönlicher sozialer Historie und genetischen Einflüssen sei also relevant für mögliche spätere verstärkte Gewalttendenzen in bestimmten Situationen. Das Gen ist also nur eine von mehreren, wahrscheinlich vielen Ursachen – nahe liegend, aber unangenehm kompliziert.

Bloße Korrelationen von zwei Dingen zu publizieren, ohne dabei kausale Zusammenhänge zwischen ihnen herzustellen, ist bei der Forscherelite nun nicht mehr en vogue – und so machten sich Wissenschaftler auch auf die Suche nach einem fassbaren biologischen Zusammenhang zwischen der Genvariante MAOA-L und dem Sozialverhalten seines Trägers. Klar ist, dass die Monoaminoxidase beim Abbau wichtiger Informationsübermittler von Gehirnneuronen eine Rolle spielt: Das Enzym MAO – sein Gen liegt auf dem X-Chromosom, ist in den Zellen von Männern deswegen nur in einer Kopie enthalten und schlägt daher meist auch nur auf das Verhalten von Männern durch – baut den Neurotransmitter Serotonin im Gehirn ab. Und damit liegt ein Kausalzusammenhang deutlich auf der Hand, denn im Gehirn von zu Gewalt neigenden Männern ist gerade Serotonin oft überdosiert.

Studien an Mäusen lieferten zudem Hinweise, dass der Ausfall von MAO-A auch zu höheren Serotoninkonzentrationen im Nagerhirn führt – und gleichzeitig die Aggressionsbereitschaft bei männlichen Tieren dramatisch erhöht. Auch bei Menschen scheint die berüchtigte Variante MAOA-L insgesamt weniger aktive Enzyme zu produzieren, weswegen bei den Trägern die Serotoninwerte steigen könnten. Aber wirklich nachzuweisen, dass dies konkret die etwas diffuse "erhöhte Gewaltbereitschaft" auslöst, gestaltet sich schwierig.

Andreas Meyer-Lindenberg und seine Kollegen von den National Institutes of Health wählten deswegen einen etwas anderen Ansatz. In einem Magnetresonanztomografen (MRI) und Verhaltenstests untersuchten sie 142 gesunde Versuchspersonen: Männer und Frauen, Träger der suspekten MAOA-L und ähnlicher Varianten sowie solche, die eher unauffällige MAO-A-Gene besaßen. Strukturelle MRI-Aufnahmen orientierten die Wissenschaftler über die subjektive Form und Größe verschiedener Hirnareale der Kandidaten. Andere Experimente ermittelten überdies auffällige oder gewöhnliche Reaktionen der Probanden bei emotional belastenden Eindrücken – etwa dem Ansehen aufrührender Bildsequenzen.

Bestimmte Genvarianten erschweren das Sozialverhalten | Bei männlichen Individuen mit der MAOA-L-Version des Monoaminoxidase-Gens reagiert die linke Amygdala stärker beim Erinnern von negativen emotionalen Erinnerungsreizen.
Am Ende hielten die Forscher enorm viele Wissensmosaikstücke in Händen – die sich ihrer Meinung nach aber durchaus zu einem stimmigen Gesamtbild vereinen lassen. Zum ersten war auffällig, dass bei Personen mit MAOA-L-Genen im cingulären Kortex und der Amygdala – zwei Hirnregionen, die mit emotionaler Verarbeitung befasst sind – insgesamt weniger graue Hirnmasse zu finden war. Dagegen ist bei den Männern der orbitofrontale Kortex (OFC) – er ist an der gehirneigenen Kontrolle der Amygdala beteiligt – um etwa 14 Prozent massereicher. Vielleicht sind im Laufe der frühen Hirnentwicklung Neurone fehlverteilt worden, spekulieren die Wissenschaftler.

In den Verhaltensexperimenten zeigte sich dann, welche Auswirkungen MAOA-L, ein damit erhöhter Serotoninspiegel und die einhergehenden, abweichenden Gehirnstrukturen haben können: Emotional anrührende Bilder erhöhten die Aktivität in der Amygdala bei Betroffenen deutlich stärker. Andersherum war die Reaktion im OFC bei männlichen MAOA-L-Trägern deutlich geringer.

Zusammengefasst: Die "Aggressionsgen"-Träger geraten schneller in emotional belastende Zustände und können diese überdies vielleicht dann auch noch schlechter kontrollieren. Am härtesten trifft es die mit Genkopien ja nur einfach versorgten MAOA-L-Männer: Ein weiteres Experiment enthüllte, dass sie zudem auch beim nachgefragten Erinnern von emotional negativ besetzten Erlebnissen stärker ihren Hippocampus und die Amygdala einsetzten (womit sie womöglich subjektiv stärker und deutlicher Angst wiedererlebten).

So schließt sich der Kreis zu den nachgewiesenermaßen fatalen Folgen von Missbrauch in der Kindheit auch und gerade für später zu Gewalt neigenden Personen: In einem sich selbst verstärkenden Teufelskreis sorgt bei den MAOA-L-Trägern die mögliche Serotonin-Überversorgung dafür, dass auch lange nach der Kindheit durch negative Sozialerlebnisse ausgelöste bedrohliche Gefühle mehr Angst schaffen und zugleich weniger gut kontrolliert und deutlicher wiedererlebt werden können – und dies alles in einem für dieser Aufgabe schlechter als im Normalfall gewachsenen Gehirn. Eine, so fassen die Autoren zusammen, unselige Art multipler genetischer Gefährdung.

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