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News: Gene gezielt abschalten

Nachdem Wissenschaftler eine vergleichsweise einfache und universelle Methode entwickelt haben, einzelne Gene abzuschalten, konnten sie jetzt die Methode erstmalig auch in Kulturen menschlicher Zellen testen - mit Erfolg. Die Methode der "RNA-Interferenz" ist konzeptionell einfach und kann prinzipiell auf jede RNA-Sequenz angewandt werden. Sie stellt ein ideales Werkzeug für die funktionelle Genomanalyse zur Verfügung und könnte eventuell langfristig neue Perspektiven in der Therapie eröffnen.
Seit der Entdeckung der Gene sind Wissenschaftler daran interessiert, einzelne Gene auszuschalten, um deren Funktion zu verstehen oder um genetische Fehlentwicklungen und Krankheiten zu verhindern. Bislang war oft jahrelange Arbeit notwendig, um nur ein einziges Gen zu blockieren. Mit einem neuen Verfahren scheint das nun in sehr viel kürzerer Zeit und für beliebige Gene möglich zu sein.

Thomas Tuschl hat dieses Verfahren am Massachusetts Institute for Technology konzipiert und im letzten Jahr zusammen mit Sayda Elbashir in seiner Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen weiterentwickelt. Ihnen gelang es jetzt in Zusammenarbeit mit Jens Harborth und Klaus Weber, spezifisch einzelne Gene in Humanzellen abzuschalten. Damit stellt die Methode einen neuen und sehr effektiven Weg dar, die Funktion von menschlichen Genen zu untersuchen.

Das ist vor allem auch deshalb interessant, weil man die Gene zwar inzwischen durch die Sequenzierung des Humangenoms kennt, aber deren Funktion noch vielfach unbekannt ist. Auch verschiedene RNA-Varianten, die gerade die Komplexität des menschlichen Genoms ausmachen, wird man mit der neuen Methode spezifisch und selektiv ausschalten können. Möglicherweise lassen sich mit dem Verfahren langfristig auch genspezifische Defekte eliminieren. Das macht es auch für therapeutische Zwecke interessant.

Wie funktioniert das Verfahren? Gene sind Ketten von Nukleotiden, aufgereiht in der DNA. Sie werden in Boten-RNAs (mRNA) überschrieben, die dann die Proteine codieren. Von außen zugeführte spezifische RNA führt zu einer Zerstörung der entsprechenden Ziel-mRNA und damit zum Fehlen des entsprechenden Proteins. Mit anderen Worten, die Methode eliminiert nicht das Gen, sondern nur sein funktionelles Produkt (mRNA und Protein). "Die RNA-Interferenz ist im Prinzip so etwas wie die so genannte anti-sense-Methode," beschreibt Tuschl das Verfahren. "Dort verwendet man eine RNA-Sequenz, die komplementär zur Boten-RNA ist. Nur geben wir die anti-sense-RNA in Form einer Doppelstrang-RNA zu."

Der entscheidende Durchbruch war die Entdeckung, dass die eingeschleusten Ketten genau 21 Nukleotide umfassen müssen. Längere RNA-Stränge rufen im Humansystem eine unspezifische Antwort hervor, ähnlich der Reaktion auf eine Infektion der Zelle. Lediglich kurze Doppelstrang-RNA-Stücke (eben 21 Nukleotide lang) können an diesem Detektionsmechanismus vorbeischlüpfen und dann spezifisch, ohne irgendwelche Nebeneffekte, die Proteincodierung eines bestimmten Gens abschalten.

Das Verfahren ist sehr viel empfindlicher als andere Verfahren, die zum Blockieren eines einzelnen Gens die 1000-fache Menge anti-sense-RNA bereitstellen müssen. RNA-Sequenzen mit 21 Nukleotiden rekrutieren offensichtlich bislang noch unbekannte Proteine in der Zelle, die dann einen Komplex bilden, der spezifisch die vorgegebene Ziel-RNA erkennt und spaltet. Erst in den letzten Jahren hat man entdeckt, dass es eine solche anti-sense-"Maschine" in jeder Zelle gibt. Und erst seitdem man diese gefunden hat, kann man auch in die RNA-Sequenzen der Zelle eingreifen. "Unser Beitrag war es, diese Maschine zu charakterisieren," sagt Tuschl. "Wie müssen die RNA-Stücke aussehen, damit die Proteine in der Zelle diese RNA-Stücke erkennen und als Vorlage verwenden können?" Geholfen haben den Forschern dabei Beobachtungen an der Taufliege. Wenn man sehr lange Doppelstrang-RNA-Sequenzen in die Zellen einführt, werden sie von einem Enzym in genau 21 Nukleotid lange RNA-Doppelketten gespalten.

Man kennt noch nicht alle Stufen des Abschaltprozesses in der Zelle. Offensichtlich überprüft ein noch nicht identifizierter Proteinkomplex alle mRNA-Moleküle der Zelle, die auf ihn treffen. RNA-Stücke, die die gleiche Sequenz haben wie der von außen zugeführte RNA-Doppelstrang, werden dann gespalten. RNA-Stücke mit einer anderen Sequenz bleiben dagegen unverändert. Durch die Synthese von bestimmten RNA-Doppelstrangketten kann man also festlegen, welche Ziel-mRNA zerstört werden soll.

Um die Funktionen der 30 000 Gene des menschlichen Genoms herauszufinden, müsste man also "nur" 30 000 Doppelstrang-RNA-Stücke synthetisieren – die jeweiligen Nukleotidsequenzen sind ja seit kurzem bekannt – und so der Reihe nach einzelne Gene ausschalten und herausfinden, was dadurch fehlentwickelt oder gestört wird. "Das wird nicht ganz einfach und schnell gehen. Aber es gibt dabei kein grundsätzliches Problem," erläutert Tuschl den Durchbruch für die funktionelle Genomanalyse.

Die Untersuchungen werden natürlich nicht an Embryonen, sondern an Zellkulturen durchgeführt. Das Modellsystem menschlicher Zellen sind so genannte HeLa-Zellen. Dabei handelt es sich um transformierte Zellen, die von einem Tumor abstammen. Solche Modellsysteme werden überall auf der Welt bei der genetischen Forschung verwendet. Tuschl und Mitarbeiter haben jetzt gezeigt, dass man mit ihrer Methode auch in solchen Zellen verschiedene Gene spezifisch blockieren kann. Wenn es sich dabei um ein für das Überleben der Zelle wesentliches Gen handelt, sollten die Zellen nach der Blockade sterben, und das wurde tatsächlich beobachtet. Wenn es sich um ein nicht-essentielles Gen handelt, überlebt und teilt sich die Zelle weiter. Man kann die Blockade des Gens dann über viele Zell-Generationen hinweg verfolgen – vorausgesetzt, es liegt genügend RNA-Material zur Interferenz vor. Daneben gibt es Gene, die das Wachstum der Zelle kontrollieren oder zum Beispiel die Zellteilung. Bei einer Blockade dieser Funktion würden die Zellen also weiterleben, aber sich nicht mehr teilen können. Auch in Zellkulturen hat man also eine Reihe von funktionellen Aspekten, die man untersuchen kann.

Langfristig hofft man natürlich, die Funktion von Genen auch in der Entwicklung von ganzen Organismen untersuchen zu können. Ein Problem besteht dabei: Die RNA-Stränge gehen nicht von alleine in die Zellen hinein, sondern müssen mit anderen Molekülkomplexen (zum Beispiel Liposomen) verbunden werden, die ein Eindringen ins Zellinnere ermöglichen. Wenn dieses Verfahren optimiert ist, sollte es möglich sein, auch im lebenden Organismus einzelne Gene auszuschalten, vielleicht – das sind allerdings noch Zukunftsvisionen – auch Tumorgene im erwachsenen Menschen. Die nächsten Schritte auf ein greifbares Ziel hin wird aber der Einsatz des Verfahrens bei der funktionellen Genomanalyse sein.

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