Genetik: Das Tier mit den meisten Chromosomen ist ein Schmetterling

Die Schmetterlingsart Polyommatus atlantica ist eine genetische Kuriosität: Kein anderes mehrzelliges Tier auf der Welt besitzt so viele Chromosomen. Ganze 229 Chromosomenpaare trägt ein solches Insekt mit sich herum, während seine nahen Schmetterlingsverwandten nur etwas mehr als 20 davon besitzen. Das hat eine Forschungsgruppe um Charlotte Wright vom Wellcome Sanger Institute in England jetzt bestätigt.
P. atlantica gehört zu den so genannten Bläulingen, einer Schmetterlingsfamilie mit oft blau gefärbten Flügeloberseiten. Die Spezies kommt in Nordafrika vor, ist häufig in Gebirgen anzutreffen und erreicht eine Flügelspannweite von einigen Zentimetern. Wright und ihr Team haben das Erbgut dieser Insekten untersucht und dabei die genaue Chromosomenzahl ermittelt.
Dass P. atlantica besonders viele Chromosomen besitzt, wird schon lange vermutet. Das Team um Wright hat das nun mittels DNA-Sequenzierung belegt. Der ermittelte Wert von 229 Paaren ist extrem. Zum Vergleich: Eine nahverwandte Art, der Hauhechel-Bläuling, der in ganz Europa vorkommt, hat 23 Chromosomenpaare. Beim Menschen sind es ebenfalls 23.
Chromosomen tragen die Erbinformation. Bei Tieren sind sie in den Zellkernen eingeschlossen und bestehen aus DNA sowie verschiedenen Proteinen. Die DNA enthält die genetischen Informationen, die ein Lebewesen benötigt, um sich zu entwickeln, zu überleben und sich fortzupflanzen. Zahlreiche Tiere einschließlich des Menschen haben einen zweifachen Chromosomensatz: Jedes Chromosom hat ein Gegenstück mit gleicher Größe und übereinstimmenden Genen (ausgenommen Geschlechtschromosomen, die sich stark voneinander unterscheiden können). Deshalb spricht man auch von Chromosomenpaaren.
Warum die Schmetterlingsart P. atlantica derart viele Chromosomen aufweist, ist unbekannt. Die Daten legen nahe, dass sich die Chromosomen bei den Vorfahren der Art wiederholt aufgeteilt haben – bevorzugt an Stellen, wo die DNA relativ locker aufgewickelt vorliegt. Dadurch verzehnfachte sich die Chromosomenzahl innerhalb von etwa drei Millionen Jahren, während die Menge an genetischer Information weitgehend gleich blieb. Diese wurde aber in immer kleinere Abschnitte verpackt.
Welchen Vorteil das bot, lässt sich nur vermuten. Möglicherweise machte es die Tiere genetisch flexibler, indem es den Austausch von Erbgutabschnitten erleichterte. Das könnte den Schmetterlingen geholfen haben, sich rasch an Umweltveränderungen anzupassen. Von Nachteil war die Chromosomen-Inflation offenbar nicht: P. atlantica hat sich über Jahrmillionen hinweg entwickelt und überlebt. Erst jetzt ist die Spezies zunehmend bedroht – von menschlichen Einflüssen wie der Zerstörung von Ökosystemen und dem anthropogenen Klimawandel.
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