Direkt zum Inhalt

Genetik: Psychische Erkrankungen haben gemeinsame Wurzeln im Erbgut

Die Genomanalyse von mehr als einer Million Betroffener zeigt: Die wichtigsten psychischen Störungen lassen sich anhand des genetischen Profils in fünf Gruppen einteilen, haben also teils gemeinsame biologische Grundlagen. Was bedeutet das für Diagnose und Therapie?
Eine Person sitzt auf einem Sofa und hält die Hand einer anderen Person, die neben ihr sitzt. Die erste Person hat ein Klemmbrett auf dem Schoß, was auf eine Beratungssituation hindeutet. Beide tragen legere Kleidung. Die Szene vermittelt Unterstützung und Empathie.
Bisher beruht die Diagnose psychischer Erkrankungen vor allem auf der Beobachtung und Beschreibung von Symptomen. Künftig könnten biologische Faktoren hier eine größere Rolle spielen.

Depression und Angststörung gelten bislang als separate Diagnosen, ebenso Autismus und ADHS. Doch eine neue Studie enthüllt: Viele psychische Erkrankungen überschneiden sich genetisch stark und bilden damit fünf große Cluster.

Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Menschen mit einer psychischen Diagnose häufig eine zweite erhalten. So haben die meisten Personen mit einer Depression auch die Diagnose einer generalisierten Angststörung – und umgekehrt. Um herauszufinden, ob es für diese Zusammenhänge eine biologische Erklärung gibt, sammelte die Arbeitsgruppe Genomdaten von mehr als einer Million Erkrankter sowie einer noch größeren Zahl gesunder Kontrollpersonen.

Damit konnte sie 14 wichtige psychische Störungen in fünf Gruppen mit einem eigenen genetischen Profil einteilen. Eine davon umfasst Entwicklungsstörungen des Nervensystems und damit sowohl ADHS als auch Autismus. Hinzu kommen eine Schizophrenie-/Bipolar-Kategorie, eine »internalisierende« Kategorie, die Depression, Angst und Posttraumatische Belastungsstörung einschließt, eine Zwangs-Kategorie mit Zwangsstörung und Anorexie sowie die Gruppe der Suchterkrankungen.

Menschen mit dem genetischen Profil eines dieser Cluster haben ein erhöhtes Risiko für jede Störung innerhalb der Gruppe. Weitere genetische und Umweltfaktoren beeinflussen das Risiko zusätzlich. Außerdem identifizierte das Team eine übergreifende Kategorie, den »allgemeinen Psychopathologie-Faktor« oder p-Faktor. Er beschreibt eine genetische Anfälligkeit für fast alle psychiatrischen Erkrankungen.

Viele der beteiligten Gene sind laut den Studienautoren stark mit der Entwicklung des Gehirns im Fötus verbunden. Demnach würden die biologischen Grundlagen psychischer Störungen bereits in den frühesten Lebensphasen gelegt. Es gab jedoch Unterschiede zwischen den Gruppen. So ist die Schizophrenie-/Bipolar-Kategorie mit Genen verknüpft, die in erregenden Neuronen aktiv sind. Die internalisierende Kategorie hingegen tritt in Oligodendrozyten zutage – Zellen, die Neurone unterstützen und elektrisch isolieren.

Diagnose auf biologischer Basis

Dank dieser Ergebnisse könnten psychische Erkrankungen künftig mit einem System klassifiziert werden, das sich auf Zellbiologie gründet statt auf die Beobachtung von Symptomen, sagt Terrie Moffitt, klinische Psychologin an der Duke University in Durham, North Carolina. Auf diese Weise könnte man Menschen mit einer Erkrankung gezielt helfen, eine weitere aus derselben Gruppe zu verhindern – etwa durch Stressmanagement, erklärt Moffitt. Die Ergebnisse würden es auch erlauben, Therapien zu entwickeln, die mehrere Erkrankungen gleichzeitig behandeln.

  • Quellen
Grotzinger, A.D. et al., Nature 10.1038/s41586–025–09820–3, 2025

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.