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Genetik: Keimbahn-Editing soll laut WHO verboten bleiben

Es sei zu früh, um vererbbares Gen-Editing zu erlauben, sagt das Komitee der Weltgesundheitsorganisation. Doch die Methoden seien viel versprechend und manche Anwendungen schon jetzt lohnenswert.
Unter anderem mit der Gentechnik-Methode CRISPR/Cas9 können Forschende das Erbgut von Menschen gezielt verändern.

Nach dem Skandal um die CRISPR-Versuche an Ungeborenen im Jahr 2018 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Komitee einberufen. Dessen Aufgabe: eine führende, globale Rolle übernehmen, um Genomeditierung sinnvoll zu regulieren. Nun liegen aktuelle Empfehlungen vor. Demnach soll die WHO Regierungen helfen, ihre länderspezifischen Regelungen zu koordinieren. Vor allem aber sollten Forschende Genome Editing weiterhin nicht dazu nutzen, Veränderungen vorzunehmen, die an spätere Generationen weitergegeben werden können.

Die Empfehlungen, veröffentlicht in zwei separaten Berichten am 12. Juli, sind der Höhepunkt der zweijährigen Arbeit der Beratergruppe. Sie wurde gegründet, nachdem der Biophysiker He Jiankui, ehemals an der Southern University of Science and Technology in Shenzhen, China, im Jahr 2018 die Welt mit der Nachricht schockierte, er habe mit Hilfe der CRISPR-Genome-Editing-Technik Embryonen verändert, die später eingepflanzt wurden und zur Geburt von zwei Mädchen führten.

Das Mandat des Komitees war es, die heiklen Fragen anzugehen, die durch unkontrolliertes Genome Editing aufgeworfen werden – ohne der Methode ihre Zukunft zu rauben. Zu den Empfehlungen des Komitees gehören die Förderung der internationalen Zusammenarbeit, um solche Anwendungen zu steuern, die Förderung einer angemessenen ethischen Überprüfung von klinischen Studien mit Human Genome Editing und die Förderung eines gerechten Zugangs zu Medikamenten, die Forschende mit dieser Technologie entwickeln.

»Die Empfehlungen setzen einen Standard«
Julian Hitchcock, Biotech-Anwalt

Die Empfehlungen seien rechtlich nicht bindend, aber sie könnten Pläne von Regierungen und Geldgebern auf der ganzen Welt beeinflussen, sagt Julian Hitchcock, ein Anwalt bei der Londoner Kanzlei Bristows, der sich auf die Regulierung von regenerativer und reproduktiver Medizin spezialisiert hat. »Sie setzen einen Standard«, sagt er. »Auf dieser Ebene denke ich, dass sie ziemlich bedeutsam sind.«

Der WHO-Bericht bekräftigt bekannte Positionen zu CRISPR und Genome Editing

Nach Hes Ankündigung 2018 forderte eine Reihe von Forschenden und wissenschaftlichen Organisationen ein Moratorium für die Verwendung von Genome Editing, um vererbbare Veränderungen am menschlichen Genom zu schaffen. Im Jahr 2019 empfahlen Berater der WHO, ein Register für klinische Studien mit der Methode einzurichten. Gleichzeitig betonten sie, es sei zu früh, um mit klinischen Anwendungen des Keimbahn-Genome-Editing fortzufahren, wie es He getan hatte. Die WHO hat nicht die Macht, Moratorien für bestimmte Forschungspraktiken zu verhängen, aber eine Reihe von Ländern und Förderorganisationen haben bereits Moratorien für Keimbahn-Genomeditierung in Kraft gesetzt.

Und im September 2020 kam ein weiteres Komitee ebenfalls zu dem Schluss, dass die Technologie noch nicht bereit für den Einsatz bei menschlichen Embryonen ist, die zur Implantation bestimmt sind. Die US National Academy of Medicine, US National Academy of Sciences und UK Royal Society sowie Vertreter aus zehn Ländern hatten es einberufen.

Die neuen Berichte der WHO-Berater bekräftigen ihre Position aus dem Jahr 2019 gegen das Genome Editing zum jetzigen Zeitpunkt. Die Autorinnen und Autoren drängen darauf, international zusammenzuarbeiten und sich zu überlegen, wann die Methode nützlich und vertretbar ist. Klinische Versuche haben sich beispielsweise bei der Behandlung von Blutkrankheiten wie Sichelzellenanämie, Krebs und einer tödlichen genetischen Störung namens Transthyretin-Amyloidose als viel versprechend erwiesen.

Solche Anwendungen seien konzeptionell nicht weit entfernt von anderen Ansätzen der Gentherapie, wie dem Einfügen ganzer Gene in das Genom, sagt Hitchcock. Und mehrere Länder, darunter Großbritannien und die USA, haben bereits strenge Vorschriften für Gentherapieversuche und Medikamente, sagt er weiter.

»Man kann den verschiedenen Ländern nicht vorschreiben, was sie zu tun haben – es wird große kulturelle Unterschiede geben«
Kay Davies, Genetikerin

Vorschriften sind schnell von der Wissenschaft überholt

Es gibt jedoch Bedenken, dass diese Anwendungen der Genomeditierung zu teuer sein könnten für den Einsatz in vielen Ländern, in denen sie am nützlichsten wären: Sichelzellenanämie zum Beispiel ist in Afrika südlich der Sahara besonders verbreitet. Die WHO-Berater riefen dazu auf, zu prüfen, wie sich Rechte an geistigem Eigentum auf die Preisgestaltung von Genome-Editing-Therapien auswirken werden – das sei ein wichtiger, erster Schritt in der Diskussion um einen gerechten Zugang, sagt Kay Davies, Genetikerin an der Universität Oxford, Großbritannien.

Die WHO-Berater empfahlen auch, dass die Vereinten Nationen eine Arbeitsgruppe einrichten sollten, um die Auswirkungen solch neuer Technologien zu bewerten. Das Gremium wäre wichtig für die internationale Zusammenarbeit, sagt Davies. »Man kann den verschiedenen Ländern nicht vorschreiben, was sie zu tun haben – es wird große kulturelle Unterschiede geben«, sagt sie. »Aber wenn wir voneinander lernen, wird das wichtig sein.«

Indem das Komitee auf Einzelheiten verzichtete, habe es jedoch die Gelegenheit verpasst, mehr Klarheit in Schlüsselfragen zu schaffen, sagt der Bioethiker Abha Saxena von der Universität Genf in der Schweiz. Man habe die Chance gehabt, konkrete Vorschläge zu Themen zu machen, die Länder mit niedrigem bis mittlerem Einkommen betreffen, sagt sie.

Immerhin drängen solche Berichte die WHO dazu, solche Technologien regelmäßig zu evaluieren. »Ich hoffe, dass sich das in den nationalen Gesetzen niederschlägt«, sagt Hitchcock. »Es ist problematisch, wenn man Vorschriften macht und die Wissenschaft aufholt – die Vorschriften sind dann schnell veraltet.«

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