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Qimmit: Genetiker entschlüsseln den rätselhaften Ursprung der Grönlandhunde

Seit wann die Inuit mit ihren Schlittenhunden durch Grönland ziehen und woher Mensch und Tier kamen, war bislang unklar. Eine Genstudie dröselt nun eine 800-jährige Geschichte auf.
Zwei weiße Grönlandhunde ruhen auf einem felsigen Vorsprung mit Blick auf das Meer. Im Hintergrund sind Eisberge im blauen Wasser zu sehen, der Himmel ist bewölkt. Beide Hunde schauen direkt in die Kamera, der ältere liegende Hund wirkt entspannt, während der junge Hund aufmerksam blickt.
Zwei Grönlandhunde rasten an einer Küste. Von den Tieren gibt es inzwischen immer weniger auf Grönland.

Grönlands berühmte Schlittenhunde sehen Wölfen verblüffend ähnlich, doch genetisch haben die Tiere wenig Gemeinsamkeiten. Das ergab eine umfassende Erbgutstudie über die jahrhundertealte Hunderasse, die auf Grönland auch Qimmit genannt wird. In der Untersuchung, die am 10. Juli in »Science« erschienen ist, haben Fachleute die genetische Abstammung der Schlittenhunde aufgeschlüsselt und die Migrationswege der Tiere sowie ihrer Besitzer über Jahrhunderte hinweg nachverfolgt. Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die heute schrumpfende Population der Schlittenhunde zu erhalten.

Schon fast ein Jahrtausend lang halten die Inuit Qimmit auf Grönland. Die Tiere dienen dazu, die Menschen und ihre Schlitten durch die verschneite Landschaft ziehen. Obwohl die Tradition des Hundeschlittenfahrens noch immer besteht, geht die Zahl der Qimmit in Grönland zurück: von 25 000 im Jahr 2002 auf nur noch 13 000 im Jahr 2020. Die Gründe für diese Entwicklung: Die Eis- und Schneedecke schrumpft, die Verstädterung nimmt zu, und die Tiere werden immer häufiger durch Schneemobile ersetzt.

»Mich reizte die Idee, Hunde und Menschen [zu untersuchen], ihre Bewegungen und Wanderungen, die sie gemeinsam durchlaufen haben, und ihren gegenseitigen Einfluss zu betrachten«, sagt Tatiana Feuerborn, Mitautorin der Studie und Postdoc an den National Institutes of Health in Bethesda, Maryland. »Die Inuit und die Hunde – und ihre jeweilige Geschichte – sind einfach unheimlich eng miteinander verflochten.«

Genmaterial aus 800 Jahren

Feuerborn und ihre Kollegen sammelten DNA-Proben aus den Überresten von Grönlandhunden, die von archäologischen Stätten, aus Museumssammlungen und mit Fell oder Knochen besetzten Kleidungsstücken stammen. Das Genmaterial war bis zu 800 Jahre alt. Die Fachleute verglichen die Proben mit der DNA von lebenden Qimmit in 17 Städten und Dörfern in Grönland sowie mit mehr als 1900 bereits veröffentlichten Erbgutdaten anderer Hunderassen.

Obwohl »die DNA in den Überresten schlecht erhalten war«, sequenzierte das Team laut Feuerborn 92 Genome von heutigen Tieren und solchen aus der Vergangenheit. Anhand dieser Daten untersuchten die Forscherinnen und Forscher, wie sich die genetische Vielfalt der Hunde im Lauf der Zeit und in verschiedenen Regionen entwickelt hat.

Ein überraschender Befund war, dass die Qimmit in jüngerer Zeit keine Wolfsvorfahren hatten, obwohl sie Wölfen ähneln und gemäß historischen Quellen gezielt mit Wölfen vermischt worden seien. »Die Leute berichten, wie sie Hunde und Wölfe gekreuzt haben, deshalb waren wir schockiert darüber, dass wir das [in unseren Daten] nicht sehen konnten«, sagt Feuerborn.

Zudem finden sich im Erbgut der heutigen Qimmit kaum Spuren einer Abstammung von europäischen Hunderassen, stattdessen sind die Grönlandhunde eher mit Huskys und Malamuts verwandt. Diese Rassen haben ihren Ursprung in Nordostasien. »Ich fand es sehr überraschend, dass selbst nach dem Kontakt mit Europäern viele dieser Hunde nur einen sehr geringen europäischen Genfluss aufweisen«, erklärt die Genetikerin Kelsey Witt Dillon von der Clemson University in South Carolina, die nicht an der aktuellen Studie beteiligt war.

Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte von Inuit und Qimmit

Das Team untersuchte nicht nur die Abstammung der Tiere, sondern »nutzte die Hunde wie ein Kameraobjektiv«, so der Koautor und Genetiker Anders Johannes Hansen von der Universität Kopenhagen, »durch das man auch die Kultur der Menschen betrachten kann«.

Indem die Forscher die Unterschiede zwischen den einzelnen Qimmit-Populationen in Grönland untersuchten, konnten sie die einstigen Migrationswege rekonstruieren und wann welche Region in Grönland besiedelt wurde. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Hunde – und damit auch die Inuit – bis zu 200 Jahre früher als bisher angenommen aus dem nördlichen Kanada in den Nordosten des heutigen Grönlands eingewandert sind.

Die Erkenntnisse über die Erbgutdaten werden Wissenschaftlern helfen, »die wichtigsten Muster und Aspekte herauszufiltern, die es zu beachten gilt, um die Populationen, die genetisch vom Aussterben bedroht sind, zu erhalten«, erklärt Adam Boyko von der Cornell University in Ithaca. Der Hundegenetiker hat an der Studie von Feuerborn nicht mitgearbeitet.

Witt Dillon hebt lobend hervor, dass die Forscher für ihr Projekt mit den Schlittenführern der Inuit zusammengearbeitet haben, um Proben von den Hunden zu sammeln. »Ich denke, diese Art der Zusammenarbeit ist wirklich wichtig, wenn es um den Erhalt solcher historischen Rassen geht, die für die Menschen, die so lange mit ihnen gelebt haben, von großem Wert sind.«

Die Fachleute haben ihre Ergebnisse mit politischen Entscheidungsträgern, Hundebesitzern und der breiten Öffentlichkeit in Grönland geteilt. Sie hoffen, dass ihre Erkenntnisse in Strategien zum Schutz der verbleibenden Qimmit-Populationen einfließen werden. »Unsere Studie befasst sich nur mit der Vergangenheit und dem, was derzeit geschieht«, erklärt Feuerborn. »Aber sie liefert eine Blaupause dafür, was in Zukunft getan werden kann.«

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  • Quellen
Feuerborn, T.R. et al., Science 10.1126/science.adu1990, 2025

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