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News: Genetische Verdauungshilfe

Schlankaffen haben eine außergewöhnliche Leidenschaft: Blätter. Um die schlecht verdauliche Leibspeise optimal verwerten zu können, lassen sie Bakterien im Dünndarm die Arbeit machen und nehmen dann durch die Einzeller die Nährstoffe auf. Hilfe leistet ihnen dabei ein Enzym, das offenbar durch eine Genverdopplung entstand.
Etwa 15 000 der geschätzt 40 000 menschlichen Gene sind keine Neuentwicklung, sondern sie entstanden durch eine Verdopplung bereits existierender Erbanlagen. Ähnliche Befunde zeigen sich auch bei den anderen Organismen, deren Genom vollständig entziffert ist. Manche dieser vervielfältigten Gene verändern sich und übernehmen neue Aufgaben. Aber können sie den Lebewesen wirklich helfen, sich besser an ihre Umwelt anzupassen?

Im Fall der Schlank- oder Stummelaffen (Colobinae) lautet die Antwort eindeutig "ja", berichten Jianzhi Zhang von der University of Michigan und seine Kollegen. Die Tiere leben vorwiegend von Blättern, die jedoch schlecht verdaulich sind. Daher haben sie ein den Wiederkäuern ähnliches Verdauungssystem entwickelt: Bakterien im Magen fermentieren die Blätter und nehmen dabei die Nährstoffe auf. Im Dünndarm verdauen die Affen die Einzeller und gelangen so an die Proteine und bakterielle Ribonucleinsäure (RNA), für Pflanzenfresser eine wichtige Stickstoffquelle.

Um die RNA zu zerkleinern, verwenden die Affen ein Enzym der Bauchspeicheldrüse, die Ribonuclease1 oder RNase1. Die meisten Primaten besitzen nur eine Genkopie für dieses Protein. Der Kleideraffe (Pygathrix nemaeus) wartet jedoch mit zwei Kopien auf – eine für die RNase1, die andere für eine veränderte Variante, welche die Forscher auf RNase1b tauften. Sie stammt aus einer Genverdopplung, die vor etwa vier Millionen Jahren geschah.

Das jüngere Enzym ist stärker negativ geladen als sein älterer Bruder, was die Wechselwirkung mit seinem Substrat, der RNA, erheblich beeinflussen könnte. Außerdem fühlt es sich in einem anderen pH-Wert-Bereich wohl: Während die RNase1 am besten bei pH 7,4 arbeitet, bevorzugt die RNase1b bei den Schlankaffen saureres Milieu von etwa pH 6,3. Das passt zu den niedrigeren pH-Werten im Darm von Colobinen, in denen das neu entstandene Enzym seinem Vorläufer weit überlegen ist.

Wenn die RNase1b so viel effektiver ist, warum blieb das alte Enzym im Laufe der Evolution dann trotzdem erhalten? "Wir wissen, das die RNase1 beim Menschen zwei Aufgaben hat: RNA aus der Nahrung zu verdauen und doppelsträngige RNA abzubauen, was eventuell ein Abwehrmechanismus gegen doppelsträngige RNA-Viren sein könnte", erklärt Zhang. Die erste Aufgabe erfüllt RNase1b sehr viel besser als ihr Vorgänger. Bei der zweiten Funktion versagt sie jedoch – mit doppelsträngiger RNA kann das Enzym nichts anfangen. Hierfür ist die RNase1 also nach wie vor gefragt.

"Vor der Verdopplung gab es ein Enzym für zwei Aufgaben. Jetzt gibt es zwei, die sich jeweils nur um eine Sache kümmern, und das besser als das jeweilige Pendant", erläutert Zhang. Den Umschwung auf Blätter als Nahrungsgrundlage hat diese genetische Veränderung allerdings nicht bewirkt, denn der fand schon sechs Millionen Jahre früher statt. Aber das neue Enzym hat die ungewöhnlichen Ernährungsgewohnheiten auf jeden Fall einträglicher gemacht.

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