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Genomforschung: Y-Chromosom vollständig entschlüsselt

Es war das letzte Chromosom, dessen Sequenz noch in großen Teilen unbekannt war. Nun haben Forschende den Code des Y-Chromosoms vollständig enthüllt. Sie fanden 30 Millionen neue Basen und 41 proteincodierende Gene.
Auf einem Gel sind verschiedenfarbige Banden zu sehen
Die Sequenzierung ist eine Technik, mit der die genaue Reihenfolge der Nukleotide in einem DNA-Fragment abgelesen werden kann.

Auf Grund seiner komplexen Struktur mit ungewöhnlich vielen sich wiederholenden Abschnitten war es für Genomforscher lange Zeit eine nicht zu lösende Herausforderung, das männliche Geschlechtschromosom zu sequenzieren. Deshalb waren große Teile des Codes des Y-Chromosoms immer noch unbekannt. Nun haben allerdings mehr als 100 Forscherinnen und Forscher zusammengearbeitet, um die genau 62 460 029 Basenpaare umfassende Sequenz vollständig zu entschlüsseln. Möglich macht dies der Fortschritt in der Sequenzierungstechnik, denn mittlerweile können sogar mehrere zehntausend bis eine Million Basenpaare lange Abschnitte ausgelesen werden – und somit auch DNA mit vielen sich wiederholenden Sequenzen. Ihre Ergebnisse haben sie in zwei Artikeln in »Nature« veröffentlicht.

Eine der Arbeiten gleicht einem hochkomplexen Puzzle, denn das Forschungsteam hat hier das Y-Chromosom aus insgesamt 43 männlichen Individuen aus 21 verschiedenen menschlichen Populationen zusammengestückelt. Die zusammengesetzten Sequenzen bieten einen detaillierten Blick in die genetische Entwicklung von Y-Chromosomen über 183 000 Jahre menschlicher Evolution. Beide Arbeiten werden laut den Autoren zukünftig helfen, ein klareres Bild von der Rolle des Chromosoms bei der männlichen Entwicklung, der Fruchtbarkeit und bei genetisch bedingten Krankheiten zu vermitteln. Sie enthüllen neue DNA-Sequenzen, Signaturen von konservierten Regionen und geben Einblicke in die molekularen Mechanismen, die zur komplexen Struktur des Y-Chromosoms beigetragen haben.

Die Forschenden haben damit das Wissen um das menschliche Genom entscheidend erweitert, und zwar um 30 Millionen neue Basen und 41 Gene, die Proteine codieren. Genauer untersuchten sie ein Gen, das laut ihnen maßgeblich an der Spermienproduktion beteiligt ist. Die Basenabfolge dieses Areals zeigt, dass die Zahl der Kopien bei Männern zwischen 10 und 40 variieren kann. Was das womöglich für die Entwicklung von Spermien bedeutet, müssen weitere Untersuchungen zeigen. »Jetzt, da wir die hundertprozentig vollständige Sequenz des Y-Chromosoms haben, können wir zahlreiche genetische Variationen identifizieren«, sagt Dylan Taylor von der Johns Hopkins University. Zudem könne man Genvarianten untersuchen, die eventuell menschliche Merkmale und Krankheiten beeinflussen.

Das Y-Chromosom ist das kleinste und genärmste Chromosom des Menschen. Vermutlich besaß es ursprünglich eine sehr ähnliche Struktur wie das X-Chromsom, verlor dann jedoch im Lauf der Zeit fast 90 Prozent seiner Gensubstanz. Außerdem reicht es allein nicht aus: Männer brauchen immer auch ein X-Chromosom, um überlebensfähig zu sein. Trotzdem hat es wichtige Funktionen: Es beeinflusst die Geschlechtsentwicklung und das Wachstum der Fortpflanzungsorgane sowie die Spermienproduktion beim Mann. Zudem trägt es Gene, die für die Meiose, also die Reifeteilung der Zellen, essenziell sind. Angenommen wird zudem, dass das Y-Chromosom auch eine Rolle beim erhöhten Krebsrisiko von Männern spielt – sie erkranken im Schnitt deutlich häufiger an Krebs als Frauen, was Experten nicht allein auf einen ungesünderen Lebensstil von Männern zurückführen. Fehlt das Y-Chromosom allerdings altersbedingt komplett in Zellen steigt wiederum das Risiko für Herzerkrankungen und Entzündungen.

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