Grüne Gentechnik: »Wir müssen endlich eine gescheite Risikoforschung entwickeln«

Frau Tielbörger, Sie sind Ökologin und sehen die Grüne Gentechnik kritisch. Herr Weigel, Sie sind Molekularbiologe und arbeiten viel mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Oft gibt es in so einer Konstellation Streit. Bei Ihnen nicht?
Katja Tielbörger: Nein. Wir sind beide vor etwa 20 Jahren für unsere Forschung nach Tübingen gekommen und kennen uns daher schon lange. Intensiver zusammengearbeitet haben wir dann ab 2010 in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt zur Anpassung von Pflanzen an sich verändernde Bedingungen.
Detlef Weigel: Wir haben zwar inhaltlich ein paar Differenzen, aber persönlich verstehen wir uns gut. Ich schätze Katjas Wissenschaft sehr und habe schon viel von ihr gelernt.
Tielbörger: Übrigens hat mich Detlef überhaupt erst auf das Thema Grüne Gentechnik gebracht: Vor sechs Jahren hat die damalige Wissenschaftsministerin von Baden-Württemberg, Theresia Bauer, eine Expertenrunde berufen, die das Ministerium zu neuen genomischen Techniken (NGT) beraten sollte. Da ist Detlef aufgefallen, dass bei solchen Diskussionen nie die Ökologie vertreten ist. Darum hat er vorgeschlagen, mich einzuladen. Ich habe mich dann in das Thema eingearbeitet und verfolge es seitdem intensiv.
Was wären denn aus Ihrer jeweiligen Sicht gute Anwendungsmöglichkeiten für genomeditierte Pflanzen?
Weigel: Ich bin Genetiker und weiß: Es ist schwierig, Pflanzen gezielt so zu verändern, dass sie beispielsweise mehr Ertrag bringen. Die meisten Fortschritte in der herkömmlichen Züchtung kamen in den zurückliegenden 20 Jahren nicht durch einzelne Gene. Man hat sich vielmehr das gesamte Genom angeschaut und Vorhersagen getroffen, welche Genotypen besser performen – »genomic prediction« heißt das. Was die genetische Forschung auch weiß: Wenn die Umwelt sich nicht verändert, dann sind die eingesetzten Nutzpflanzen bereits nah am Optimum. Dass man da einzelne Gene findet, die einen großen Effekt auf den Ertrag haben, ist höchst unwahrscheinlich. Aber wenn sich die Umwelt sehr schnell verändert und eine Pflanze auf einmal sehr weit weg ist vom Ertragsoptimum, kann eine Veränderung in einem einzelnen Gen einen großen Unterschied machen. Und leider sieht es so aus, als ob der Klimawandel immer schneller voranschreitet. Möglicherweise stoßen wir mit den allmählichen Verbesserungen, die die Pflanzenzüchtung normalerweise hervorbringt, an Grenzen.
Frau Tielbörger, welche Anwendungen halten Sie für sinnvoll?
Tielbörger: Ich denke da eher vom Ziel her: Wir wollen die Landwirtschaft anpassen, zum Beispiel an den Klimawandel. Da weiß ich aus der agrarökologischen Forschung, dass wir die Lösungen dafür schon längst auf dem Tisch haben – sie aber nicht eingesetzt werden. Da geht es insbesondere um mehr Vielfalt auf dem Acker. Deshalb finde ich es schwierig, die Frage zu beantworten. Für mich ist Genomeditierung nichts, was wir wirklich brauchen, um Pflanzen an den Klimawandel anzupassen. Ein Beispiel, das man häufig in den Medien findet, ist die Trockenresistenz. Damit habe ich zwei Probleme. Erstens gibt es immer Zielkonflikte: Wenn du an einer Schraube drehst, ändert sich etwas anderes. Wenn eine Pflanze die Spaltöffnungen an der Unterseite ihrer Blätter weniger weit aufmacht und dadurch trockenresistenter ist, dann kommt auch nicht mehr so viel CO2 hinein und der Ertrag sinkt …
Weigel: Da bin ich auch immer skeptisch: keine Wirkung ohne Nebenwirkung.
Tielbörger: … das andere ist: Der Landwirt weiß nicht, wie das Jahr wird. Er weiß nicht, ob es eher zu trocken oder zu feucht wird. Im Grunde nutzt es also nichts, eine Eigenschaft an eine bestimmte Klimabedingung anzupassen, weil sich mit dem Klimawandel auch die Häufigkeit von Extremwetterereignissen erhöht. Für einen stabilen Ertrag kann also nur Vielfalt sorgen. Das können zwei verschiedene Sorten auf dem Acker sein, die eine ist trockenangepasst, die andere nicht so. Man weiß auch, dass eine solche Diversifizierung gegen Schädlingsbefall hilft, weil die sich nicht so schnell an neue Pflanzen anpassen können. Auch sind Mischkulturen resistenter gegen Unkräuter, weil Nährstoffe besser genutzt werden. Kurzum: Wir brauchen Vielfalt auf dem Acker, und wir brauchen Gesetze, die sie fördern. Da kann man natürlich die Frage stellen: Lässt sich diese Vielfalt mit neuer Gentechnik schaffen? Ich denke, das muss nicht sein. Aber darüber kann man gerne diskutieren.
Verstehe ich das richtig: Sie beide sagen, dass der ganze Hype um die neuen genomischen Techniken in der Landwirtschaft eigentlich gar nicht gerechtfertigt ist?
Weigel: Er ist insofern nicht gerechtfertigt, als wir noch nicht wissen, was die Gentechnik hier wirklich leisten kann. Katja hat Recht: Es gibt nicht die eine Lösung, um die Landwirtschaft an die Klimakrise anzupassen. Wenn jemand sagt: Ohne Genomeditierung verhungern wir alle, dann ist das Blödsinn. Aber sie kann manche Sachen einfacher machen.
Was zum Beispiel?
Weigel: Dass bestimmte Sorten früher blühen oder dass weniger Pestizide auf dem Acker eingesetzt werden müssen. Es gibt eine ganze Menge Lösungsansätze für eine nachhaltigere Landwirtschaft. Und wir müssen sie alle nutzen.
Themenwoche »Revolution auf dem Acker«
Zwischen den wilden Süßgräsern, die die Menschen in der Jungsteinzeit anbauten, und den heutigen Getreidesorten liegen Welten. Jahrtausendelange Züchtung hat die Erträge vervielfacht, die Ernten erleichtert und die Pflanzen widerstandsfähiger gegen Schädlinge gemacht. Mit dem rasanten Fortschritt der Molekularbiologie nimmt diese Entwicklung noch einmal drastisch an Fahrt auf. Wie funktioniert moderne Pflanzenzucht, welche Methoden stehen hierfür zur Auswahl? Was ist Genomeditierung und wofür braucht man Pangenomik? Wieso regen sich viele über Grüne Gentechnik auf, aber kaum jemand darüber, dass ein Großteil der heutigen Ackerpflanzen schon einmal mit ionisierenden Strahlen beschossen worden ist? In dieser Themenwoche beantworten wir das und zeigen, wohin sich die moderne Landwirtschaft entwickelt.
- Genomeditierung: Revolution in der Pflanzenzucht?
- Grüne Gentechnik: »Wir müssen endlich eine gescheite Risikoforschung entwickeln«
- Infografik: So geht Pflanzenzucht
- Erbgutanalysen: Mit Pangenomik zum Getreide der Zukunft
- PhänoSphäre: Ein Hightech-Gewächshaus für die Pflanzenforschung
- TILLING-Verfahren: Gene verändern ohne Gentechnik
Alle Inhalte zur Themenwoche »Revolution auf dem Acker« finden Sie auf unserer Themenseite »Landwirtschaft«.
Die EU will die Zulassung von Pflanzen neu regeln, die mit neuen gentechnischen Methoden entstanden sind. Geplant ist, die rechtlichen Vorgaben deutlich zu reduzieren – NGT-Pflanzen sollen dadurch einfacher zugelassen werden können. Schon 2024 hat das EU-Parlament einem Vorschlag der Kommission für eine Neuregelung zugestimmt, Mitte März nun auch der EU-Ministerrat. War das für Sie ein Grund zum Feiern oder zum Ärgern?
Weigel: Ich würde ganz woanders anfangen. Denn bislang ist die gesetzliche Rahmenlage so unklar, dass kaum Daten dazu existieren, wie sinnvoll Genomeditierung in der Pflanzenzucht überhaupt ist. In der konventionellen Gentechnik ist es tatsächlich so: Die einzigen Merkmale, die wirklich durchschlagend wirtschaftlichen Erfolg hatten, wurden vor mehr als 30 Jahren gefunden – damit meine ich die Resistenz gegen Unkrautvernichtungsmittel und dass Pflanzen selbst das Gift bilden, das sie gegen Insektenbefall schützt. Die Errungenschaften der neuen Gentechnik sind dagegen noch sehr bescheiden. Doch um herauszufinden, was funktioniert, muss man Versuche machen. Über mehrere Jahre, in einem großen geografischen Raum. Sonst hat das alles nicht viel Aussagekraft. Und dafür brauchen wir eine praktikable Regelung.
Tielbörger: Für mich war die Zustimmung ein herber Rückschlag. Ich habe mich seit Jahren ziemlich reingehängt in das Thema. Dabei geht es mir gar nicht darum, grundsätzlich etwas gegen Gentechnik zu sagen. Aber ich finde den Vorschlag der EU-Kommission handwerklich wirklich grottenschlecht. Da gibt es viele lose Enden. Ein Beispiel ist die Differenzierung zwischen NGT-Pflanzen der Kategorie 1, für die künftig sehr niedrige Hürden in der Zulassung gelten sollen, und den sogenannten NGT2-Pflanzen, die viel strenger reguliert sind. Ich verstehe, dass es eine Regel geben muss, die leicht anwendbar ist. Aber zu sagen: Wenn eine Pflanze weniger als 20 Veränderungen hat, fällt sie in die Kategorie 1 und ist äquivalent zur Züchtung, und wenn sie mehr hat, dann nicht – das ist einfach nicht wissenschaftlich. Ich habe immer wieder versucht, die ökologische Perspektive in den Diskurs einzubringen. Und offensichtlich bin ich damit komplett gescheitert.
Was stört Sie als Ökologin an diesem Vorschlag?
Tielbörger: Mein wichtigster Kritikpunkt ist, dass die Deregulierung im gegenwärtigen Kommissionsvorschlag für alle Pflanzenarten gelten soll – auch für Wildpflanzen. Das finde ich haarsträubend. Das Verrückte ist: Bisher taucht das Thema im Diskurs zur neuen Gentechnik überhaupt nicht auf. Da geht es immer um Patente, um Kennzeichnungen, um alles Mögliche – aber nicht um Wildpflanzen.
Neue versus alte Gentechnik und der politische Prozess zur Neuregelung
Schon seit mehreren Jahren versucht die Europäische Union, den Umgang mit Grüner Gentechnik neu zu regulieren. Die bestehenden Gesetze stammen aus einer Zeit, in der andere Methoden angewendet wurden: Bei der konventionellen oder »alten« Gentechnik werden längere Genabschnitte in das Genom einer Pflanze eingeschleust. Oft stammen sie aus ganz anderen Pflanzenarten – in diesem Fall gilt das Produkt als »transgene« Pflanze. Die »neue« Gentechnik (NGT) hingegen arbeitet mit Methoden der Genomeditierung, etwa mit der Genschere CRISPR-Cas9. Dabei werden oft nur einzelne Basen in einer Gensequenz verändert, meist entstehen dabei keine transgenen Pflanzen.
Das bestehende Gentechnikgesetz behandelt beide Techniken gleich, obwohl sie sehr unterschiedlich funktionieren. Es reguliert die Grüne Gentechnik in Europa streng – so streng, dass es de facto einem Verbot gleichkommt. Vonseiten der Forschung und der Pflanzenzucht besteht seit Langem die Forderung, die strikten Gesetze zu deregulieren; auch einflussreiche deutsche Organisationen wie die Leopoldina und die DFG sprechen sich dafür aus. Die neue Gentechnik böte viele Chancen für die Pflanzenzucht, gerade auch im Hinblick auf eine nachhaltige Landwirtschaft und für eine Anpassung an neue klimatische Gegebenheiten, so ein Hauptargument. Kritiker der Gentechnik sehen jedoch auch die NGT als Risiko für Gesundheit und Umwelt.
Im Sommer 2023 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für die Neuregelung – beziehungsweise die Deregulierung – von NGT-Pflanzen vorgelegt. Seitdem findet über verschiedene Organe der Europäischen Union hinweg ein zähes Ringen um diesen Vorschlag statt. Klar ist: Eine praktisch umsetzbare Regelung für die Pflanzenzucht mit NGT ist dringend nötig. Doch der aktuelle Vorschlag ist auch in der Wissenschaft umstritten – selbst molekularbiologisch Forschende sehen Lücken und wissenschaftlich schwer begründbare Aspekte in der vorgeschlagenen Regelung.
Das Europäische Parlament hat dem Vorschlag im Jahr 2024 im Kern zugestimmt. Unter polnischer Ratspräsidentschaft hat am 14. März 2025 auch der EU-Ministerrat einen leicht abgewandelten Vorschlag abgesegnet. Parlament, Rat und Ratsvorsitz können nun im Trilog einen finalen Gesetzestext aushandeln. Ministerrat und Parlament müssen diesen dann formell bestätigen, bevor eine neue Verordnung in Kraft treten kann.
Das heißt, im EU-Vorschlag steht explizit, dass der Einsatz von neuen gentechnischen Methoden an allen Pflanzen dereguliert werden soll? Weltweit gibt es zirka 300 000 Pflanzenarten …
Tielbörger: Das ist eine Schätzung. Andere sagen, es sind bis zu 500 000. Es sind jedenfalls mehr als die 20 wichtigsten Nutzpflanzen wie Mais, Reis, Weizen, über die man schon sehr viel weiß. Der aktuelle Vorschlag ist eigentlich nur für einen winzigen Ausschnitt der gesamten weltweiten Artenvielfalt gemacht. Trotzdem steht darin, er soll für alle Pflanzen gelten.
Also vom Gänseblümchen bis zum Mammutbaum …
Tielbörger: … gehört alles dazu.
Weigel: Ich muss ehrlich zugeben: Dass der neue gesetzliche Rahmen zulassen würde, jede Pflanze gentechnisch zu verändern, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Das ist wirklich ein interessanter Aspekt, dass das Gesetz da nicht unterscheidet. Dabei wird mir dann auch ein bisschen unwohl.
Doch warum sollte jemand am Genom des Gänseblümchens drehen wollen?
Tielbörger: Vielleicht nicht am Gänseblümchen, aber man könnte zum Beispiel in guter Absicht die Genomeditierung nutzen, um invasive Pflanzenarten zu bekämpfen, etwa den Kirschlorbeer oder das Indische Springkraut. Aber auch Arten, die sich bei uns unkontrolliert ausbreiten, sind irgendwo heimisch. Und wenn eine genomeditierte Sorte dann wieder in ihre Heimat gelangen würde, könnte sie womöglich dort die Population ausrotten. Die Naturschutz-Community diskutiert schon seit Jahren darüber, ob wir Organismen, also bestimmte Arten oder Genotypen, an neuen Stellen ansiedeln dürfen oder nicht. Wenn jetzt allerdings die neue EU-Regelung kommt, wischt sie diese ganze Diskussion einfach vom Tisch. Weil die Ökologie sowieso nicht an dem Gesetzesvorschlag beteiligt war.
Gibt es noch andere Bereiche, in denen NGT-Wildpflanzen interessant sein könnten?
Tielbörger: Der Anwendungsbereich, der mir am meisten Sorgen macht, ist die Forschung. Detlef beispielsweise arbeitet, wie sehr viele andere Molekularbiologen auch, mit Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand. Das passiert im Labor, in geschlossenen Systemen. Es wäre wissenschaftlich hochinteressant, wenn man mit den editierten Pflanzen rausgehen und schauen könnte, wie sie sich da wirklich verhalten. Das gilt auch für mich; ich betreibe Klimafolgenforschung. Da gibt es unheimlich viele interessante Fragestellungen. Doch uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern würde niemand mehr auf die Finger gucken. Da wird mir angst und bange.
Hinter diesen Gesetzesvorschlägen steht ja ein langer politischer Prozess mit etlichen Beratern und Expertenstimmen. Warum wurde die Ökologie so übergangen?
Tielbörger: Als Experten wurden tatsächlich hauptsächlich Leute aus der Molekularbiologie herangezogen. Diese Gesetzesvorschläge triefen vor »Ich will nachhaltiger sein!«, »Ich will die Umwelt retten!«. Da denke ich mir, solche Aussagen möchte ich eigentlich von Menschen hören, die sich auch in ihrer Forschung mit der Umwelt beschäftigen.
»In der Gentechnik-Debatte ist das Niveau der Argumentation oft sehr niedrig. Die Gegner sind teils mit grenzwertigen Mitteln vorgegangen und haben sich da auch ins eigene Knie geschossen«Detlef Weigel, Molekularbiologe
Warum gibt es diese Lücke?
Weigel: Es liegt sicherlich auch daran, dass viele Gegner der Gentechnik unwissenschaftliche Argumente bringen. Das hat der Diskussion enorm geschadet. Katja dagegen bringt wissenschaftlich fundierte Argumente. Dass also in den politischen Prozessen unbedingt Ökologinnen und Ökologen, das heißt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, einbezogen werden sollten, das kann ich nur unterstützen.
Das Getöse der Gentechnikgegner war demnach derart laut, dass vernünftige Argumente gegen Gentechnik gar nicht mehr zu hören waren?
Weigel: Ja, in der Gentechnik-Debatte war das Niveau der Argumentation oft sehr niedrig. Die Gegner sind teils mit grenzwertigen Mitteln vorgegangen. Ich würde sagen, da haben die sich auch ins eigene Knie geschossen.
Tielbörger: Wenn ich als ökologische Wissenschaftlerin zum Beispiel kommuniziere, dass die aktuelle Risikoforschung nicht funktioniert, werde ich oft in die Schublade »baumumarmende Gentechnik-Gegnerin« gesteckt. Ökologie, dieser Begriff wird so inflationär gebraucht – »öko«. Bei Vorträgen zu dem Thema zeige ich anfangs immer drei Folien, auf denen ich dem Publikum erkläre, dass Ökologie eine Wissenschaft ist. Das wissen viele nicht.
Weigel: Dass die Ökologie vor allem auch eine ernstzunehmende Wissenschaft ist!
Ich habe hier ein aktuelles Zitat von der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften und der DFG: »Zahlreiche (…) Studien enthalten keinerlei Hinweise darauf, dass NGT-Pflanzen (…) ein höheres Risiko für Mensch und Umwelt bergen als Pflanzensorten (…), die durch natürliche Mutationen, klassische Kreuzungszüchtung oder die Mutagenesezüchtung erzeugt wurden.« Oft wird das als wissenschaftlicher Konsens bezeichnet. Aber hier am Tisch haben wir eine Wissenschaftlerin und einen Wissenschaftler, und wir haben darüber keinen Konsens, oder?
Weigel: Also ich würde dem Zitat so voll und ganz zustimmen. Nur fehlt da ein wichtiger Punkt, nämlich dass es zu wenige Untersuchungen dazu gibt, welche negativen Auswirkungen konventionell gezüchtete Sorten auf die Umgebung haben können. Nichts ist ohne Gefahren. Für mich geht es immer darum, Risiken und Nutzen abzuwägen.
Tielbörger: Zu diesem Zitat habe ich zwei Anmerkungen. Erstens waren auch an der Ausarbeitung dieser Statements keine Ökologen beteiligt. Ich denke mir dann immer: Es ist ja schön, dass mir Molekularbiologen erzählen wollen, welche Auswirkungen eine Pflanze auf die Umwelt hat. Ich finde aber, dass nicht die richtigen Leute gefragt werden. Und das andere ist genau das, was Detlef sagt: Wir wissen überhaupt nicht, was die Auswirkungen dieser neu geschaffenen Pflanzen auf die Umwelt sind. Ich finde es eine steile Behauptung zu sagen, von dieser Technologie geht kein Risiko aus – oder keines, das größer ist als bei der klassischen Züchtung.
Die sogenannte »klassische« Züchtung geht ja durchaus auch mit rabiaten Methoden vor …
Weigel: Nehmen wir mal ein Beispiel. Man will eine Zuckerrübe haben, die resistent ist gegen ein neues Herbizid. Dann kann man das mithilfe neuer Gentechnik machen oder durch spontane Mutation. Ein deutsches Pflanzenzüchtungsunternehmen hat in der Vergangenheit Folgendes gemacht: Die haben auf einem großen Feld 37 Millionen Zuckerrüben wachsen lassen, haben die mit dem neuen Herbizid besprüht und eine einzige Pflanze gefunden, die resistent war. Spontan. Das ist erlaubt. Aber wenn man die jetzt auf einen Acker pflanzt und dazu noch das neue Herbizid einsetzt, dann ist die genetische Veränderung in der Rübe nicht der einzige neue Faktor. Da hängt ein ganzer Rattenschwanz dran, ein ganzes System – egal, ob die Herbizidresistenz im Labor entstanden ist oder spontan auf dem Acker.
»Es gibt keine einzige Studie, die überprüft hat, ob sich auf unterschiedliche Weisen entstandene Pflanzen wirklich gleich verhalten«Katja Tielbörger, Ökologin
Tielbörger: Der Knackpunkt ist, dass das Risiko nicht von den Genen einer Pflanze aus geht, dem Genotyp, sondern von den Eigenschaften, die sie hat, dem Phänotyp. Jetzt nehmen wir jedoch diese herbizidresistente Pflanze, die durch klassische Züchtung entstanden ist, und basteln sie mit neuer Gentechnik nach. Es gibt keine einzige Studie, die überprüft hat, ob sich solche auf unterschiedliche Weisen entstandene Pflanzen wirklich gleich verhalten. Dazu gibt es nur Behauptungen – die auch deshalb gemacht werden, weil wir die Daten dazu nicht haben.
Weigel: Aber Katja, wie ist das mit konventionell gezüchteten Pflanzen? Ich sage nicht, dass es keine Risiken gibt bei NGT-Pflanzen. Aber ich widerspreche, wenn du sagst, dass von ihnen höhere Risiken ausgehen als von konventionellem Material. Wenn ich in den Baumarkt gehe, sehe ich da alle möglichen Pflanzen, die wer weiß woher kommen. Wir Menschen machen ja allen möglichen Blödsinn – muss man das nicht umfassender sehen, woher die Risiken kommen?
Tielbörger: Ich bin da sofort bei dir. Wir sollten die Risikoanalyse auch auf das ausweiten, was es schon gibt. Im Moment lautet die Argumentation für eine Deregulierung der Gentechnik: Klassische Züchtung ist erlaubt, weil es eine lange Historie der sicheren Anwendung gibt. Da würde ich widersprechen, weil wir sehen, welche Probleme die industrielle Landwirtschaft verursacht, von der Erosion auf den Feldern bis zur Nitratbelastung des Grundwassers. Und die Argumentation geht weiter: Weil die neue Gentechnik äquivalent sei zur Züchtung, müssten wir sie auch erlauben. Das heißt, wir erlauben etwas, weil etwas anderes erlaubt ist, das aber vielleicht nicht erlaubt sein sollte.
Frau Tielbörger, Sie fordern eine fallbasierte Risikobewertung für jede mit NGT gezüchtete Sorte.
Tielbörger: Oder auch eine Bewertung, die der Frage nachgeht: Was ist der Nutzen dieser Pflanze für die Umwelt? Ist sie besser an den Klimawandel angepasst oder erfordert sie einen geringeren Pestizideinsatz? Wenn ich eine neue Pflanze anbaue, die keinen Nutzen bringt, dann habe ich ja nur ein zusätzliches Risiko.
Wie müsste denn eine solche fallbasierte Risikobewertung aussehen, damit sie wirklich aussagekräftig und praktikabel ist?
Tielbörger: Wir wissen aus der Ökologie: Wenn ein neuer Organismus in die Umwelt gelangt, sind die Effekte komplett unvorhersagbar. Um dies zu erforschen, müsste ich also eine große Menge dieser Pflanzen ins Freiland bringen. Das wäre die aussagekräftigste Risikoanalyse. Wenn ich dann feststelle, dass es tatsächlich ein Risiko gibt – dann kann ich die Pflanze nicht zurückholen. Darum kommt die Risikoanalyse meist nicht aus der Petrischale heraus. Man kann sich natürlich annähern. Man könnte erstmal von der Petrischale ins Gewächshaus gehen und die Pflanze dort verschiedenen Bedingungen aussetzen. Doch auch das wird wenig gemacht. Die aktuelle Risikoanalyse bewegt sich auf dem Level der Gene an sich und beruht auf dem Wissen, das man über Kulturpflanzen hat. Wir müssten also endlich eine gescheite Risikoforschung entwickeln – und zwar gemeinsam mit Molekularbiologie und Ökologie. So könnten wir versuchen, uns den Wünschen von beiden Seiten anzunähern.
Weigel: Bei der Risikoabschätzung ist es ja so: Ich kann sagen, ich bin mit 99,99-prozentiger Sicherheit überzeugt, hier wird nichts passieren. Aber wenn man etwas auf Hunderttausenden von Hektar anbaut, dann ist das restliche 0,01 Prozent Risiko immer noch da. Ich muss das allerdings in Bezug setzen zu anderen Risiken. Was ist zum Beispiel das Risiko, wenn etwas nicht eingesetzt wird? Und welche Gefahren ergeben sich durch andere Pflanzen, die eingesetzt werden? Auch hier gilt: Es gibt nichts umsonst. Ich denke, Kulturpflanzen können ökologischen Schaden anrichten, egal, ob sie konventionell gezüchtet sind oder durch Genomeditierung. Katja, wie viel beschäftigen sich Ökologen denn mit diesem Thema?
Tielbörger: Man kann viel dazu aus der Invasionsforschung ableiten. Im Grunde geht es hier ja um neue Organismen in der Umwelt, ganz egal woher sie kommen und wie sie entstanden sind. Die eine Frage ist, wie aggressiv sich neue Organismen ausbreiten können. Es gibt jedoch noch einen anderen Aspekt: Was passiert, wenn fehlangepasste Pflanzen in die Wildnis gelangen? Die Pflanzen, die auf dem Acker stehen, sind für den Acker gemacht. Wenn sie in die freie Natur gelangen, geht es ihnen meist nicht so gut. Aber wenn sie sich dort mit Wildpflanzen kreuzen, kann das für diese negative Folgen haben.
Man muss also weniger die Sorge haben, dass sich eine Pflanze vom Acker macht und invasiv wird. Sondern im Gegenteil, dass sie schlecht angepasst ist an die Wildnis und darüber Einfluss nimmt auf die wilde Population. Wie funktioniert das genau?
Weigel: Eins der besten Beispiele für dieses Problem ist keine Pflanze, sondern ein Fisch. Wenn sich Zuchtlachse mit Wildlachsen kreuzen, ist das für die wilde Population eine Katastrophe.
Tielbörger: Das ist ein super Beispiel für eine sogenannte »outbreeding depression«, eine Auskreuzungsdepression. Im Naturschutz wird viel darüber diskutiert, wenn es darum geht, Pflanzen an einen anderen Ort zu bringen – etwa im Rahmen von Klimawandelanpassung. Inwiefern sich landwirtschaftliche Organismen auf die Wildnis auswirken, wird dagegen weniger diskutiert. Und wenn, dann höre ich – sorry, Detlef – von Molekularbiologen immer: Ja, ja, die Ackerpflanzen sterben abseits vom Acker sowieso gleich. Das sehe ich differenzierter. Natürlich kann es passieren, dass sie in kurzer Zeit eingehen, weil sie nicht an die Wildnis angepasst sind. Doch wenn sie sich vorher nochmal auskreuzen, haben die Wildpflanzen ein Problem.
Das ist aber nichts, was speziell nur genomeditierte Pflanzen betreffen würde. Sondern allgemein »neue« Organismen.
Tielbörger: Stimmt, sofern der neue Organismus einen Kreuzungspartner in der Umgebung findet. Mais etwa hat in Europa keine verwandte Art, mit der er sich kreuzen kann. Aber es werden zum Beispiel auch neue Pappelsorten zur Erzeugung von Bioenergie gezüchtet. Und bei einer Pappel ist die Auskreuzung mit Wildbäumen gewiss. Es stehen immer genügend Pappeln in der Nähe. Darum ist das mein Schreckensszenario: viele veränderte Wildpflanzenarten, die in die Wildnis ausgepflanzt werden.
Können wir denn einen gemeinsamen Nenner finden? Wie könnte ein gelungener Kompromiss aussehen für eine Neuregelung der Grünen Gentechnik, mit der sowohl Ökologie als auch Molekularbiologie leben können?
Tielbörger: Ich würde von meiner Position der fallweisen Beurteilung nicht abrücken.
Weigel: Wo ich sofort zustimmen kann: Je weniger über einen Organismus bekannt ist, umso höher ist das Risiko, dass man durch einen genetischen Eingriff Schaden anrichten kann.
Das heißt, in diesem Fall wären Sie bereit zuzustimmen, dass es eine gute Art der Risikoanalyse braucht?
Weigel: Ja. Welche Veränderungen haben wir, im Genotyp und im Phänotyp? Welche Effekte ziehen diese nach sich? Wir müssen das gesamte System betrachten. Aber dazu brauchen wir nicht die Molekularbiologen allein, nicht die Ökologen allein. Wir brauchen alle zusammen, auch Leute aus der Wirtschaft.
Dann haben wir noch den Punkt, dass im Gesetzesvorschlag von allen Pflanzen die Rede ist. Frau Tielbörger, hätten Sie einen Vorschlag dafür, wie man das mehr eingrenzen könnte?
Tielbörger: Ich würde die Nutzung der Grünen Gentechnik eingrenzen auf landwirtschaftliche Anwendungen. Das steht ja auch im Fokus der meisten Menschen. Wenn die Landwirtschaft das vorrangige Ziel ist, sollten Wildpflanzen im Gesetzesvorschlag ausgenommen sein. Der Hintergedanke war vermutlich, dass wir noch nicht wissen, welche Pflanzen in Zukunft noch domestiziert werden könnten. Also sind vorsorglich alle eingeschlossen. Ich denke, man könnte die Regelung trotzdem auf die Landwirtschaft beschränken und zukünftige Ackerpflanzen dann einschließen, wenn sie relevant werden. Aber dass Wildpflanzen manipuliert und in die Wildnis gepflanzt werden, das darf auf keinen Fall erlaubt werden.
Ist das ein Punkt, bei dem Sie mitgehen würden, Herr Weigel?
Weigel: Ich kann das Argument, dass man bei Organismen, die bislang noch nicht der Züchtung unterlegen haben, vorsichtiger sein muss, auf jeden Fall nachvollziehen. Daher stimme ich zu, dass die gentechnische Veränderung von Wildpflanzen nicht ohne Weiteres dereguliert werden sollte. Und dann würde ich noch einen Unterschied machen zwischen Pflanzen, die ohnehin schon weitverbreitet sind bei uns, und Pflanzen, die es hier noch gar nicht gibt. Also zum Beispiel eine Art, die potenziell invasiv ist, aber normalerweise den Winter nicht übersteht: Wenn man die durch eine einzige genetische Veränderung winterhart machen könnte, dann ist offensichtlich, dass da ein Problem entstehen könnte.
Welche Spielräume gibt es denn überhaupt noch, um den aktuellen Vorschlag anzupassen?
Weigel: Es muss alles noch durchs EU-Parlament.
Tielbörger: Ja, und davor müssen sich Parlament, Rat und Ratsvorsitz im Trilog auf den finalen Gesetzestext einigen. Da gibt es noch viele Diskussionspunkte, bei denen sich die drei Gremien nicht unbedingt einig sind. Wenn ich ehrlich bin, würde ich mir fast wünschen, dass dieser Prozess erstmal scheitert. Und dass die EU-Kommission nochmal einen gescheiten Vorschlag auf den Tisch bringt. Dass wir eine neue Regelung zur Grünen Gentechnik brauchen, das sehe ich ein. Aber nicht mit diesem Entwurf.
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