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Erdwärme: Wir lassen es unkontrollierbar beben

Forscher belegen, dass ein Erdwärmeprojekt im November 2017 im südkoreanischen Pohang ein Erdbeben der Stärke 5,5 ausgelöst hat. Es ist ein weiterer Fehlschlag für erneuerbare Erdwärme aus heißem, wasserarmem Tiefengestein.
Isländische Landschaft mit dampfendem Erdwärmekraftwerk im Zentrum

Am 15. November 2017 ist in Pohang plötzlich nichts mehr wie zuvor: In der Hafenstadt im Osten Südkoreas rutschen Ziegel von den Dächern, Fassadenplatten einer Schule fallen unter dem erschreckten Rufen einiger Schüler zu Boden, und mehrere Baugerüste stürzen auf die Straßen: Die Gegend ist seismisch ähnlich ruhig wie weite Teile Deutschlands – das nun registrierte Beben der Stärke 5,5 ist das zweitstärkste seit Aufzeichnungsbeginn. 135 Menschen werden verletzt, mehr als 57 000 Gebäude beschädigt, und es entsteht ein Sachschaden von umgerechnet über 260 Millionen Euro.

Das Erdbeben von Pohang rüttelt Südkorea auf, denn es ist von Anfang an klar, dass es wohl keine rein natürliche Ursache hat: Zwei Jahre zuvor hatten Arbeiter zwei Löcher gebohrt, vier Kilometer tief, um daraus Erdwärme zu gewinnen. Da das heiße Gestein in dieser Tiefe allerdings kaum Grundwasser führt, sollte unter Hochdruck in den Untergrund gepresstes Wasser Risse im Gestein erzeugen, die später als gewaltiger Wärmetauscher dienen sollten, als so genanntes »enhanced geothermal system« (EGS). Ein Jahr und neun Monate lang hatte diese hydraulische Stimulation in mehreren Stufen mit einem Druck von bis zu 900 Bar stattgefunden, bis sich schließlich das Erdbeben ereignete. Das Epizentrum liegt nur wenige Meter von jenen künstlich erzeugten Rissen entfernt.

Schon ein gutes Jahr nach dem Beben legt eine Studie koreanischer Seismologen nahe, dass ein Zusammenhang von Bohrung und Beben hoch wahrscheinlich sei, es also von Menschen induziert wurde. Um sicherzugehen, beauftragte die südkoreanische Regierung eine Gruppe einheimischer Seismologen sowie Experten aus den USA, der Schweiz, Neuseeland und China, den Ursachen des Bebens auf den Grund zu gehen. Die Forscher konnten sich auf ein hartes Stück Arbeit einstellen, taten sich doch vergleichbare Kommissionen bislang schwer damit, bei mutmaßlich menschengemachten Erdbeben in Basel, Landau oder dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten einen Zusammenhang zu Erdwärmebohrungen oder verpresstem Abwasser zu beweisen.

Geologische Störung ignoriert?

In Pohang war die Datenlage offenbar klarer: Laut dem am 20. März 2019 vorgelegten Bericht lag in der Tiefe eine geologische Störung, also eine ausgedehnte natürliche Bruchfläche im Gestein. Diese Störung sei durch Vorerkundungen nicht entdeckt worden, obwohl es klare Anzeichen dafür gegeben hätte: In einer Tiefe von vier Kilometern hätte das Bohrloch fast zwei Jahre zuvor jene Störung gekreuzt. Dies konnten die Forscher rückblickend auch in Aufzeichnungen des Bohrvorgangs bestätigen, etwa weil in dieser Zone ein Teil der Bohrflüssigkeit in der porösen Bohrlochwand versickert sei.

Als später Wasser in die Tiefe gepresst wurde, hätte laut den Studienautoren klar sein müssen, dass das dortige Gestein bereits unter Spannung gestanden hatte. Denn das Gestein hätte darauf »sehr sensibel« reagiert, worauf schwächere Erdbeben hindeuteten. Eine rund 600 mal 1000 Meter große Störungsfläche sei schon 24 Stunden vor dem Hauptbeben beeinträchtigt worden. Letztlich habe dies die geologische Störung aktiviert, die schließlich brach und das Beben der Stärke 5,5 auslöste.

Global betrachtet fallen menschengemachte Erdbeben kaum ins Gewicht: Nur wenige Tausendstel aller Erdstöße verantwortet der Mensch; die wichtigsten Auslöser sind dabei zusammenfallende Bergwerksstollen und der Druck der Wassermassen von Stauseen auf das unter ihnen liegende Gestein. In den USA entwickelte sich ab 2008 eine neue Bebenursache: In Oklahoma und dann auch in Kansas bebte damals immer häufiger die Erde. Erst sechs Jahre später gelang es Seismologen, einwandfrei nachzuweisen, dass die Beben mit den Hinterlassenschaften der Erdgasförderung zusammenhängen: Durch den Fracking-Boom im Mittleren Westen fielen immense Mengen Abwasser an, die über alte Bohrlöcher im Gestein entsorgt wurden.

Wassereintrag verursachte Beben

Zeitweise verschwanden jedes Jahr rund 2,8 Milliarden Kubikmeter Wasser in den fast 150 000 Bohrlöchern – das ist ungefähr so viel Wasser, wie der Zürichsee enthält. Das wiederum erhöhte großräumig den Porenwasserdruck im Gestein. Natürlich gespannte Störungen wurden dadurch auseinandergedrückt – und eine vormals seismisch ruhige Region erlebte über die Jahre mehr schwache Erdbeben als Kalifornien. Es gab aber auch vereinzelt mittelschwere Erdstöße bis zu einer Stärke von 5,8. Gleichzeitig wuchs das Risiko dafür, dass viel ältere und noch stärker gespannte Störungen im Gestein aktiviert werden, was mittelfristig zu wirklich schweren Erdbeben womöglich mit Todesopfern hätte führen können.

Die Bucht von Pohang in der Abenddämmerung | Die südkoreanische Region ist seismisch ähnlich ruhig wie Deutschland – umso überraschender kam das Beben vom 15. November 2017.

Folglich entschied der United States Geological Survey (USGS), der staatliche geologische Dienst der USA, für beide Bundesstaaten von einem höheren Erdbebenrisiko auszugehen. Dadurch mussten seither etwa auch die Bauvorschriften verschärft werden. Gleichzeitig griffen Aufsichtsbehörden durch: »Es gab die Vorgabe, dass die Menge des hinabgepumpten Wassers auf das Niveau von 2013 oder 2014 abgesenkt werden sollte, als die Erdbeben zum ersten Mal zum Problem wurden«, sagt Andrew Barbour vom USGS. Diese Maßnahmen waren offenbar erfolgreich, denn die Zahl neuer spürbarer Erdbeben ist seitdem rückläufig: »Es wird dort wohl auch zukünftig nennenswerte induzierte Erdbeben geben«, sagt Barbour. »Aber wir haben herausgefunden, dass vor allem die Geschwindigkeit, mit der gepumpt wird, die Rate neuer Erdbeben beeinflusst.«

Ein solcher Schnitt könnte auch Erdwärmeprojekten bevorstehen, die global betrachtet längst noch nicht so zahlreich sind wie etwa Erdgasbohrungen und Abwasserbrunnen. Anfang März 2019 versammelten sich Experten im Schweizer Davos zu einem alle zwei Jahre stattfindenden Treffen zu induzierten Erdbeben: Hier war vielen von ihnen klar, dass das Pohang-Beben eine Trendwende bedeuten könnte. Obwohl der Abschlussbericht aus Südkorea damals noch nicht vorlag, sagte Stefan Wiemer, der Direktor des Schweizer Erdbebendienstes und Gastgeber der Konferenz, es handle sich um einen Präzedenzfall, »der natürlich für jedes zukünftige Geothermieprojekt eine große Herausforderung ist«.

Wie geht es weiter mit der Erdwärme?

Im Jahr 2006 hatte eine Erdwärmebohrung in Basel ein von tausenden Menschen gespürtes Beben und eine Diskussion über Nutzen und Risiken der tiefen Erdwärme ausgelöst. Doch dieses Beben war 20-fach schwächer gewesen als jenes in Pohang. Und schon nach dem Basler Beben ging es auf den meisten Erdwärmekonferenzen auch um die Frage, wie die unvermeidlichen, wenn auch extrem schwachen Erdbeben auf ein Maß zu begrenzen wären, dass Menschen sie gar nicht spüren können.

Betreiber und Seismologen entwickelten dafür ein gemeinsames Ampelsystem, mit dem Mikrobeben sehr genau überwacht werden. Ab einer zuvor festgelegten Magnitude werden alle Aktivitäten im Untergrund unverzüglich abgebrochen. Obwohl es in Pohang ein vergleichbares System gab, hat das offenbar nicht gut funktioniert: Der Abschlussbericht legt nahe, dass seismische Daten von verschiedenen Forschergruppen und den Betreibern der Bohrung nicht ausreichend zusammengeführt und als Entscheidungsgrundlage genutzt werden konnten.

»Es ist selbst mit den besten Erkundungstechnologien extrem schwierig, Störungen zu finden, die nicht an der Oberfläche zu beobachten sind«William Ellsworth

Die Befürworter tiefer Erdwärmebohrungen sorgen sich nun, dass das immense Potenzial der Erdwärme nicht genutzt werden könnte: Während tiefes Grundwasser, wie es beispielsweise unter München weit verbreitet ist, mit vergleichsweise geringen Erdbebenrisiken erschlossen werden kann, handelt es sich bei einem Großteil aller potenziell nutzbaren Gesteine weltweit um jene heißen, aber nicht ausreichend Wasser führenden Schichten. Entsprechend versuchen die Befürworter, das Risiko herunterzuspielen: Die GeoEnergie Suisse, ein Planer neuer Geothermiebohrungen aus der Schweiz, verweist auf den viel zu hohen Wasserdruck, mit dem in Pohang das Gestein geweitet wurde. Dieser hätte dreimal höher gelegen als etwa im Basler Geothermieprojekt, das schon nach einem Beben der Stärke 3,4 abgebrochen wurde. Zudem hätten die koreanischen Ingenieure nicht schnell genug auf auffällige Vorbeben reagiert, nach denen sie den Druck hätten vermindern müssen. Ein Szenario wie in Pohang sei bei der von der GeoEnergie Suisse geplanten EGS-Erdwärmebohrung in der Schweizer Gemeinde Haute-Sorne damit undenkbar.

Ob sich das Risiko schwerer Erdbeben aber so einfach vom Tisch wischen lässt, bezweifelt William Ellsworth von der Stanford University, der Mitglied der Pohang-Kommission war. Er verweist auf eine Parallele zwischen der Bohrung in Pohang und dem schwersten Erdbeben in Oklahoma: Auch hier habe es tief im Untergrund eine Störung gegeben, die keinem Geologen aufgefallen war. Letztlich habe dann das eingepresste Wasser zu einem unerwartet starken Erdstoß geführt. Ellsworth glaubt nicht, dass solche Probleme vermieden werden können: »Es ist selbst mit den besten Erkundungstechnologien extrem schwierig, Störungen zu finden, die nicht an der Oberfläche zu beobachten sind.«

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