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News: Geraubte Männlichkeit

An der Küste von Südportugal ist der Bestand der Winkerkrabben in Gefahr, weil die Scheren der Tiere bei den Einheimischen als eine Delikatesse gelten. Aber nicht Überfischung ist die Ursache des Problems. Vielmehr gehen Wissenschaftler davon aus, dass die Scherenernte die Population schwinden lässt, indem sie die Krebse zu Eunuchen macht.
Männliche Winkerkrabben besitzen eine überdimensional große "Haupt"-Schere, die etwa 40 Prozent ihres Körpergewichtes ausmacht. Mit ihr locken sie Krabbenweibchen in rituellen Tänzen an oder verteidigen ihre Revier gegen Eindringlinge. In Südportugal schätzt man gerade diese Scheren als Delikatesse. "Die Einheimischen essen die Scheren als eine Art Snack zu ein paar Bier", weiß Rui Oliveira vom Instituto Superior de Psicologia Aplicada in Lissabon. Anstatt die Krabben zu töten, brechen die Fischer nur die Scheren ab und werfen die Tiere zurück ins Meer, in der Annahme, dass sich ihre Gliedmaßen wieder regenerieren.

Aber die amputierten Männchen haben ein ernsthaftes Problem. Sie können sich zwar mit den kleineren Scheren ernähren, aber sie ziehen nicht mehr die Aufmerksamkeit von Weibchen auf sich. Außerdem können die scherenlosen Krabben ihr Revier nicht mehr gegen Rivalen, die sie wie Weibchen behandeln, verteidigen. "Sie werden von anderen Männchen umworben, wenn sie sich ihnen nähern", sagt der Wissenschaftler.

Durch den Mangel an intakten Männchen verschiebt sich das effektive Geschlechterverhältnis der Population zu Gunsten der Weibchen. Um die Konsequenzen dieses Ungleichgewichts zu untersuchen, beobachteten Oliveira und seine Kollegen die Population der Winkerkrabbe (Uca tangeri) in Ria Formosa und verglichen sie mit einer Krebsgemeinschaft in der Miramündung, wo die Tiere nicht gefangen werden.

In der Miramündung fanden die Wissenschaftler mehr Krebsbauten, was andeutet, dass die Tiere hier zahlreicher sind. Männliche Winkerkrabben waren an diesem Standort größer als ihre Gegenstücke aus Ria Formosa, die eine Menge Energie auf die Regeneration ihrer Scheren aufwenden müssen. "Die Ergebnisse lassen einen Effekt der Scherenernte auf Populationsebene erkennen", erläutert Oliveira (New Scientist vom 19. Februar 2000).

Da Crustaceen einen Panzer besitzen, müssen sie regelmäßig ihr hartes Exoskelett durch ein größeres ersetzen, um wachsen zu können. Die neue Scheren bilden sich vermutlich nach, indem sie bei jeder Häutung ein wenig größer werden. "Aber das braucht Zeit", erklärt der Forscher. "Wir wissen immer noch nicht wie viele Häutungen die Krabben benötigen, um ihrer Körpergröße entsprechende Scheren zu erhalten." In der Zwischenzeit fallen die Tiere für die Paarung aus. In Ria Formosa haben 38 Prozent der Krabben fehlende oder gerade regenerierende Scheren.

Der Mangel an Männchen, die ihrer Fortpflanzungsaufgabe nachkommen können, hat drastische Auswirkungen auf die Populationsgröße. "Die Daten zeigen einen Rückgang der Population in den letzten 20 Jahren", so Oliveira. Er will seine Ergebnisse darum der örtlichen Fischereibehörde vorlegen, um die Krebse durch Kontrolle der Scherenernte zu schützen.

Jeff Shields vom Virginia Institute of Marine Science in Gloucester Point bezweifelt sogar, dass eine Winkerkrabbe ihre Scheren überhaupt wieder regenerieren kann, da sie ohnehin nur zwei Jahre lebt. "Wenn die Scheren bei recht großen Tieren abgenommen werden, wachsen sie einfach nicht mehr nach", meint er und fügt hinzu, dass der Rückgang der Winkerkrabbe auch starke Auswirkungen auf andere Tierarten haben kann.

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