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News: Geregelte Gedanken

Ein einzelner chemischer Botenstoff kann die Richtung des Informationsflusses im Gehirn bestimmen - wie ein Polizist den Verkehrsfluß regelt. Während dieser allerdings Autos nach rechts, links oder geradeaus schickt, organisiert der Neurotransmitter das Auf und Ab von neuralen Botschaften in der Hirnrinde. Über Regelkreise hemmt er Nervenzellen, die Botschaften vertikal weitergeben und aktiviert gleichzeitig Neurone, die horizontal leiten.

Benötigt wird der untersuchte Neurotransmitter, Acetylcholin, unter anderem bei der Speicherung von Erinnerungen – Alzheimerpatienten verlieren jene Zellen, die Acetylcholin herstellen. Der Botenstoff wird zwar im Innern des Gehirns produziert, seine Wirkung entfaltet er aber auch in der Großhirnrinde, dem Cortex cerebri. Dort werden Informationen integriert und verarbeitet, die etwa von den Sinnesorganen oder aus dem Gedächtnis stammen. Der Cortex ist aus vertikalen Zellgruppen aufgebaut, den corticalen Säulen, die über einen horizontalen Kommunikationsfluß verbunden sind. David Prince von der Stanford University School of Medicine und seine Kollegen John Huguenard und Zixiu Xiang beschäftigten sich mit dem visuellen Bereich der Großhirnrinde.

Zuerst stellten sie die Kommunikationsrichtung der Zellen fest, indem sie Schnitte von Rattengehirnen anfärbten und anatomisch untersuchten. Dabei fanden sie an zwei unterschiedlichen Zelltypen zwei verschiedene Rezeptoren. Die "Korbzellen" kommunizieren horizontal und haben muscarinische Acetylcholinrezeptoren (mAChR). Die von den Wissenschaftlern als "bipolare Zellen" bezeichneten Neuronen dagegen kommunizieren vertikal, sie besitzen nicotinische Acetylcholinrezeptoren (nAChR). Der Neurotransmitter bindet an beide Rezeptortypen, ruft aber in den Zellen gegensätzliche Reaktionen hervor: Er veranlaßt die Korbzellen, weniger Gamma-Aminobuttersäure (GABA) auszuschütten. GABA hemmt die Kommunikation zwischen den Nervenzellen – ein niedrigerer GABA-Spiegel führt zu einem Anstieg der horizontalen Kommunikation. In den bipolaren Zellen dagegen bewirkt der Neurotransmitter eine verstärkte GABA-Freisetzung und damit eine Verminderung der vertikalen Kommunikation (Science vom 14. August 1998).

Nimmt der horizontale Informationsfluß allerdings überhand, kann das zu epileptischen Anfällen führen, während derer sich die elektrische Aktivität unkontrolliert über die Hirnrinde ausbreitet. Überschüssiges Acetylcholin im Cortex kann ebenfalls zu epileptischen Krämpfen führen. Über die Auswirkungen einer Herabsetzung des vertikalen Informationsaustausches innerhalb einer corticalen Säule ist wenig bekannt. Meldungen weiter entfernter Hirnbereiche und von den Sinnesorganen werden verarbeitet, während sie sich vertikal durch die Zellen bewegen. Möglicherweise wirkt Acetylcholin hier als Filter gegenüber den Informationen, die von außerhalb der Großhirnrinde kommen, indem es den vertikalen Fluß hemmt. Auf diese Weise könnte zum Beispiel Lärm "ausgeblendet" werden, damit andere Informationen ungestört verarbeitet werden können.

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