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Tierschutzgesetz: Geregeltes Leiden

Das Tierschutzgesetz regelt den Umgang des Menschen mit seinen Mitgeschöpfen: Haltung, Handel, Tötung. Anfang Juli wies der Bundesrat eine Gesetzesnovelle der Bundesregierung zurück - ihm gingen die Änderungen zum Wohl der Tiere nicht weit genug. Nun hat die Bundesregierung einen neuen Entwurf vorgelegt.
Affenhand

"Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." So lautet der Grundsatz im ersten Abschnitt des Deutschen Tierschutzgesetzes. Die Formulierung liefert einen guten Nährboden für Kontroversen und unterschiedliche Interpretationen: Was ist ein vernünftiger Grund? Unter welchen Umständen steht unser Wohlbefinden über dem unserer Mitgeschöpfe?

In diesem Jahr trieb Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, eine Reform des Gesetzes voran. Die Novelle sollte die Definition des "vernünftigen Grunds" in zahlreichen Bereichen verschärfen und die internationale Führungsrolle Deutschlands beim Tierschutz festigen. Anfang Juli lehnte der Bundesrat die Reform ab. Sie scheiterte allerdings nicht, weil die Ländervertreter die Vorgaben der Bundesregierung als zu streng empfanden. Das Gegenteil war der Fall: Der Bundesrat mahnte noch tiefer greifende Verbesserungen im Tierschutz an. Die Folgen für Forschung und Landwirtschaft wären erheblich.

Ausgefertigt wurde das bestehende Gesetz vor genau 40 Jahren. Seit 2002 ist der Tierschutz auch in Artikel 20a des Grundgesetzes festgeschrieben – als Staatsziel. Den Unterschied machen drei Worte. Hieß es zuvor: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung (…)", wurde 2002 der Zusatz "und die Tiere" hinter das Wort "Lebensgrundlagen" gestellt.

Ferkelkastration ohne Narkose

Insgesamt 13 Abschnitte umfasst das Tierschutzgesetz. Zentral sind die Themen Haltung, Zucht und Handel sowie das Töten und Verletzen von Tieren und ihre Verwendung in Experimenten. Halter müssen laut Gesetz über angemessene Fachkenntnisse zu den Bedürfnissen der Tiere verfügen und Vorschriften zu artgerechter Pflege und schonendem Transport befolgen. Wer ein Wirbeltier tötet, etwa in Schlachtbetrieben, muss sich zuvor als sachkundig erweisen.

Tierversuche dürfen nach aktuellem Stand durchgeführt werden, um Krankheiten vorzubeugen oder sie zu behandeln und um Umweltgefährdungen zu erkennen. Wenn ihr Einsatz unerlässlich ist, sind Tierversuche auch in der Grundlagenforschung zulässig und um zu prüfen, ob bestimmte Stoffe gesundheitsschädlich für Mensch und Tier sind. Zum Testen von Waffen oder Kosmetika dürfen hingegen keine Experimente mit Tieren durchgeführt werden. Zudem müssen Einrichtungen, an denen Versuche mit Wirbeltieren vorgenommen werden, einen Tierschutzbeauftragten benennen.

Das Paragrafenwerk gibt außerdem vor, dass ein Tier vor einem schmerzhaften Eingriff betäubt werden muss. Allerdings sind im aktuellen Gesetzestext zahlreiche Ausnahmen dazu aufgelistet. So ist es ohne Narkose etwa erlaubt, unter acht Tage alte Ferkel zu kastrieren und ihnen die Eckzähne zu schleifen, junge Rinder zu enthornen und Masthahnenküken die Krallen zu entfernen. Eine Betäubung ist auch nicht vorgeschrieben, um Ziegen, Kaninchen, Schweine und Schafe zur Kennzeichnung zu tätowieren oder landwirtschaftliche Nutztiere durch Ohrmarken, Mikrochips oder Brandzeichen kenntlich zu machen.

Kampfansage an Qualzucht und Zirkusbetriebe

Besonders die zuletzt genannten Vorschriften behandelt die Bundesregierung in ihrer Novelle. So sollten im ersten vorgelegten Entwurf ab dem 1. Januar 2017 Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden. Mittelfristig ist sogar vorgesehen, alle nichtkurativen Eingriffe wie das Kupieren von Schwänzen oder das Kürzen von Schnäbeln zu verbieten. Auch den Schenkelbrand bei Pferden – eine Prozedur, der sich jedes Jahr 35 000 Fohlen unterziehen müssen – will die Regierung untersagen. In der EU sei vorgeschrieben, dass Pferde durch einen elektronischen Chip gekennzeichnet werden, das mache den Schenkelbrand nicht mehr vertretbar.

Die Novelle behandelt auch den Schutz von Versuchstieren. Besonders für nichtmenschliche Primaten sollen strengere Vorgaben gelten. Mit den neuen Regeln zu Tierversuchen soll eine EU-Richtlinie umgesetzt werden, die dazu dient, die Standards europaweit zu vereinheitlichen. Zusätzlich hat die Regierung das Qualzuchtverbot neu formuliert. Der Begriff umfasst Züchtungen, durch die Organe oder Körperteile von Tieren nicht mehr artgemäß funktionieren oder sich sogar ganz zurückbilden. Die neue Formulierung soll es den Behörden erleichtern, die Einhaltung des Verbots zu überwachen. Außerdem ist vorgesehen, das Ausstellen von Tieren mit Qualzuchtmerkmalen und – unter bestimmten Umständen – das Zurschaustellen von Wildtieren wie Bären, Nashörnern und Elefanten in Zirkusbetrieben zu verbieten.

Gütesiegel für Tierschutzstandards

Doch in einer Plenarsitzung am 6. Juli 2012 lehnte der Bundesrat die Novelle der Bundesregierung als unzureichend ab. In seiner Stellungnahme listete das Ländergremium 53 Punkte auf, darunter einige tief greifende Erweiterungen und Änderungswünsche. So forderte der Bundesrat, dass bei Bedarf Tierschutzindikatoren festgelegt werden – beispielsweise die Mortalitätsrate –, anhand derer die Tierhaltung überprüft wird. Zudem verlangte er eine Art Tierschutzlabel für tierische Produkte, das über die Standards bei Haltung, Transport und Schlachtung informiert. Der Bundestag wurde zudem aufgefordert, eine umfassende Verordnung für die Pflege und Zucht von Heimtieren vorzulegen.

Für Aufsehen sorgten auch die Forderung nach Sicherheitsplänen für Havarien und Brände in Tierhaltungen und eine Reihe zusätzlicher Verbote. So sollen nach dem Willen des Bundesrats Versuche an Menschenaffen ausdrücklich untersagt werden. Mit nur einer Ausnahme: Die Versuche dienen der Erhaltung der Art selbst. Auch Rodeo-Veranstaltungen wie "Wild Horse Race" und "Bullenreiten" sollen nicht mehr erlaubt sein, sofern den Tieren dabei durch Sporen oder Gurte Schmerzen zugefügt werden. Zusätzlich sollte das Klonen von Tieren für landwirtschaftliche Zwecke gesetzlich unterbunden werden.

Drastisch war die Stellungnahme zur Pelztierhaltung: "Es besteht kein vernünftiger Grund, Pelztiere zur Pelzgewinnung zu halten und zu töten. Es gibt hinreichend preiswertere Alternativen, um sich wirksam gegen Kälte zu schützen. Dafür auf Pelze von aus diesem Grund getöteten Tieren zurückzugreifen, ist nicht mit Artikel 20a GG zu vereinbaren. Die Tötung der Tiere erfolgt nicht aus Gründen der Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse des Menschen; vielmehr werden aus den Tierpelzen Luxusgüter hergestellt, die keinen weiteren Zweck erfüllen als Kleidungsstücke aus künstlich hergestelltem Pelz."

Wegweisend oder Wunschkonzert?

Auf seiner Internetseite betont der Bundesrat, dass die wissenschaftliche Forschung durch die geplanten Änderungen so wenig wie möglich beeinträchtigt werden soll. Gleichzeitig fordert er von der Bundesregierung im weiteren Verfahren die Kosten zu beziffern, die Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen durch die Änderungen entstünden. Der Bundesrat selbst schätzt in seiner Stellungnahme die zu erwartenden Mehrkosten wie folgt: 35 Millionen Euro pro Jahr für neue Stellen von Tierschutzbeauftragten und für die zusätzliche Forschung und Weiterbildung im Tierschutz. Nochmal 10 Millionen pro Jahr müssten für die Arbeitszeit von Forschern zugerechnet werden, die künftig mehr Anträge stellen müssten.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) reagierte geteilt auf die neuen Forderungen. Bereits die Novelle der Bundesregierung ging ihm in einigen Bereichen zu weit. Die Liste des Bundesrats bezeichnete er als "Wunschkonzert". Besonders die geforderten Krisenpläne für Brände in Tierställen sieht der Verband nicht als Teil des Tierschutzgesetzes, sondern des Baurechts. Die Ansätze, die Betäubungspflicht für zahlreiche Eingriffe bei Tieren auszuweiten, kritisierte er als Aktionismus. Auch die Betäubung belaste die Tiere. Hingegen begrüßte der DBV den Wunsch nach Tierschutzindikatoren und einem Tierschutzlabel. Allerdings fehlten dafür noch praktikable Verfahren, so dass eine gesetzliche Festschreibung zu früh sei.

"Es besteht kein vernünftiger Grund, Pelztiere zur Pelzgewinnung zu halten und zu töten"

Das Verbot, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren, würde die Wirtschaft zusätzlich einen dreistelligen Millionenbetrag kosten, hat die Bundesregierung in ihrer Novelle hochgerechnet. Auch auf die Verwaltung kämen zusätzliche Kosten zu: Personalkosten zwischen zwei bis drei Millionen Euro pro Jahr, dazu Sachkosten für Arbeitsplätze und Kommunikationstechnik.

Bundesministerin Aigner hat unterdessen betont, dass die Tierschutzstandards europaweit angeglichen werden müssen. Deutschland nimmt eine führende Rolle beim Tierschutz ein. Es dürfe nicht sein, dass deutsche Unternehmen, die hohe Standards erfüllen und das Wohl der Tiere im Blick haben, Wettbewerbsnachteile hätten, weil andere EU-Staaten ihren Verpflichtungen nicht nachkämen.

Kein Kompromiss

Nach der Sommerpause hat die Bundesregierung nun auf die Stellungnahme des Bundesrats reagiert und einen neuen Entwurf vorgelegt. Es bleibt nicht viel übrig von den gewünschten Nachbesserungen: die Forderung nach Sicherheitsvorkehrungen im Brandfall oder bei technischen Störungen wird mit leicht anderer Formulierung aufgenommen, und man wolle prüfen, ob für Rodeoveranstaltungen weitergehende Regelungen notwendig seien – die vorgeschlagene Ergänzung des Gesetzes jedoch hält die Bundesregierung für nicht erforderlich.

In Sachen Tierschutzindikatoren und Tierschutzlabel lehnt die Bundesregierung ab: Im ersten Fall gebe es bislang kein geeignetes Konzept, im zweiten Fall setze man auf eine freiwillige EU-weite Lösung. Und auch im Fall das Klonens landwirtschaftlicher Nutztiere verweigert die Bundesregierung das vom Bundesrat geforderte Verbot, da auch hier womöglich schon 2013 ein Vorschlag für eine EU-Regelung anstehe. Dieser werde wohl ein Klonierungsverbot für zunächst fünf Jahre aussprechen. Vor diesem Hintergrund würde die EU-Kommission eine gesetzliche Regelung auf nationaler Ebene sicherlich blockieren.

Für weitere Diskussionen und Proteste dürften auch die Begründungen sorgen, warum auch der Vorschlag zum Verbot der Pelztierhaltung abgelehnt wird. So verstoße dies unter anderem gegen die im Grundgesetz verankerten Grundrechte der Berufs- und Eigentumsfreiheit – und schließlich gebe es rechtliche Vorschriften, wie ein geeigneter Tierschutz in der Pelztierhaltung auszusehen habe. Und auch strengere Vorschriften für Zirkusse seien nicht aufzunehmen, da das natürliche Verhalten nicht als Grundlage dienen könne, um eventuelle Defizite bei Wildtieren in Gefangenschaft festzustellen. Damit widerspricht die Bundesregierung einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig von 1994 und argumentiert: "Tiere [haben] in menschlicher Obhut andere Bedürfnisse als unter natürlichen Bedingungen. Beispielsweise sind in menschlicher Obhut weniger oder keine Zeit, Aktivität, Bewegung und Energie für die Nahrungssuche oder ggf. Jagd erforderlich, so dass den Tieren andere Beschäftigung möglich ist und angeboten werden sollte." Außerdem berücksichtige der Vorschlag des Bundesrats die Grundrechte der Tierlehrer und der Zirkusunternehmer nicht hinreichend.

Und auch der Wunsch, Experimente an Menschenaffen ausdrücklich zu verbieten, scheiterte, doch nicht komplett: Eine Regelung zur Verwendung von Menschenaffen soll in einer Verordnung erlassen werden. Da die letzten derartigen Experimente in Deutschland im Jahr 1992 stattfanden, zählt diese Ablehnung aber wohl eher zu den kleineren Übeln.

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