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News: Gerissene Ernährungsweise

Schlangen verschlingen ihre Beute am Stück, heißt es. Aber wie immer gilt - jede Regel hat ihre Ausnahme.
Mit ihren 40 Zentimetern Länge und gut 30 Gramm auf der Waage gehören die Wassertrugnattern Gerarda prevostiana wahrlich nicht zu den Riesen unter den Schlangen. In ihrer Heimat – den Mangroven Singapurs und den angrenzenden südostasiatischen Ländern – ernähren sich die Tiere offenbar von Krabben, denn ihr Darm ist voll davon.

Reichlich verwundert stellten Bruce Jayne von der University of Cincinnati und seine Kollegen jedoch fest, dass die verspeisten Krabbenreste ausschließlich von frisch gehäuteten Tieren stammten – und noch dazu von Exemplaren, die viel zu groß für die zierlichen Jäger wären, so weit sie das Maul auch aufreißen können. Also fingen die Forscher einige Schlangen ein, um in einem Terrarium das Festmahl zu verfolgen. Allerdings duldeten die Schlangen keine Zuschauer bei Tisch, also mussten die Wissenschaftler sie heimlich mit einer Infrarotkamera bespitzeln.

Dabei wurden sie Zeuge einer gerissenen Strategie: Die Nattern umschlangen ihr Opfer, eine frisch gehäutete Krabbe (Episesarma vesicolor), und steckten gleichzeitig ihren eigenen Kopf durch eine Körperschlinge. Dann zerrten und rissen sie solange an ihrer Beute, bis sie in mehrere, mundgerechte Fetzen zerlegt war – klein genug, um im gierigen Schlund der Schlange zu verschwinden.

Das Umschlingen der Beute tritt bei vielen Schlangen auf, es ist ein evolutionär gesehen alter Hut. Neu in der Trickkiste ist laut den Forschern hingegen das Zerreißen der Beute, mit der sich eine Schlange Nahrung erschließt, die sonst zu groß für sie wäre. Gerarda prevostiana scheint dafür anatomisch auch gar nicht eingerichtet zu sein: Ihre Kiefermuskulatur ist nicht stärker ausgebildet, und die Zähne sind nadelförmig – gut geeignet zum Zubeißen, aber nicht zum Zerren.

Ganz anders sieht es bei ihrer Verwandten Fordonia leucobalia aus, die ebenfalls eine Vorliebe für Krabben hat: Ihre Kopfmuskulatur ist deutlich ausgeprägt und die Zähne sind breit und stumpf – optimal, um die ausgehärteten Schalen der Leibspeise aufzuknacken. Nur liegt hier ein weiterer Irrtum vor: Als die Forscher den Darminhalt dieser Schlangen untersuchten, fanden sie keinesfalls die erwarteten zermahlenen Schalenreste, sondern nur vollständige Panzer, die offenbar im Ganzen hinunter geschlungen wurden.

Auf diese Weise können die beiden Schlangenarten in ihrem Lebensraum ihren jeweiligen Leckerbissen nachjagen, ohne sich in die Quere zu kommen: Gerarda bevorzugt die weichen Exemplare, Fordonia nimmt mit harter Kost vorlieb. Und über die nun bekannten Speisegewohnheiten der Tiere hinaus birgt die Untersuchung noch eine weitere Erkenntnis: Man sollte von dem Äußeren nicht zu schnell auf Gewohnheiten schließen.

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