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News: Geruchswahrnehmung braucht Zeit

Gerüche werden im Riechhirn durch die Aktivitätsmuster vieler Nervenzellen repräsentiert, die sich während der Geruchswahrnehmung jedoch dynamisch verändern. Neurowissenschaftler haben jetzt herausgefunden, dass durch diese dynamische Veränderung die Geruchserkennung erleichtert wird: Auf einer Zeitskala von mehreren hundert Millisekunden entwickeln sich die Aktivitätsmuster der Zellen so, dass Repräsentationen verwandter Duftmoleküle zunehmend unähnlicher und damit besser unterscheidbar werden.
Die Welt der Düfte fasziniert nicht nur die Parfümindustrie und ihre Kunden, sondern auch Neurowissenschaftler interessieren sich seit langem dafür, wie das Gehirn Gerüche analysiert. In der Nase erregen die Duftmoleküle Sinneszellen, die ihre Information an das Riechhirn weitergeben. In diesem Stadium der Informationsverarbeitung ist ein Geruch durch ein komplexes Muster elektrischer Signale repräsentiert, die von einer Vielzahl von Nervenzellen stammen. Um einen Geruch zu erkennen, muss das Gehirn diese Aktivitätsmuster auswerten. Dabei stellt sich das Problem, dass verwandte Gerüche sehr ähnliche Aktivitätsmuster produzieren. Das Gehirn muss also, wie in einem Suchspiel der Sonntagszeitung, kleinste Unterschiede in komplizierten "Bildern" auffinden, um einen Geruch korrekt zu identifizieren – und dies ist für viele Tiere lebenswichtig.

Im Riechhirn werden die von den Sinneszellen kommenden Signale auf Zellen übertragen, die in ein komplexes neuronales Netzwerk eingebettet sind. Das führt dazu, dass sich diese Nervenzellen gegenseitig beeinflussen: Aktivitätsmuster bleiben somit nicht stationär, also feststehend, sondern verändern sich während ein Geruch zugegen ist. Die Veränderung in einem bestimmten Zeitraum ist für jeden Geruch charakteristisch. Seit geraumer Zeit kennen Wissenschaftler diese Dynamik, aber sie konnten sich lange keinen Reim darauf machen. Im Rahmen seines Forschungsaufenthalts im Labor von Gilles Laurent am California Institute of Technology hat Rainer Friedrich herausgefunden, was es mit der Veränderung der "Geruchsbilder" auf sich hat: Auf einer Zeitskala von mehreren hundert Millisekunden werden Repräsentationen verwandter Geruchsmoleküle zunehmend unähnlicher und damit besser unterscheidbar. Offenbar löst das Gehirn also die Suchspielaufgabe, indem es – durch entsprechende Verrechnungen in den neuronalen Schaltkreisen des Riechhirns – die Überlappungen in den Suchbildern reduziert (quasi gleiches von gleichem abzieht) und so die Unterschiede verstärkt.

Die Forscher untersuchten zunächst einzelne Nervenzellen im Riechhirn des Zebrabärblings, eines kleinen Süßwasserfisches, der sich unter Genetikern ähnlich großer Beliebtheit erfreut wie die Fruchtfliege Drosophila. Mit feinen Mikroelektroden registrierten sie die Aktivität einzelner Nervenzellen im winzigen Gehirn des Fisches und fanden, wie erwartet, dynamische Geruchsantworten: Es gibt Phasen mit einer hohen Frequenz an elektrischen Signalen und Phasen, in denen die Nervenzelle quasi "stumm" ist). Andersherum betrachtet, antwortet eine Zelle zu verschiedenen Zeitpunkten auf unterschiedliche Geruchsstoffe. Die Zahl der Geruchsstoffe, die eine Antwort hervorrufen, bleibt jedoch immer etwa gleich; die Geruchsantwort wird also nicht spezifischer mit der Zeit. Die Bedeutung dieser Veränderungen in der Geruchsantwort wurde erst klar, als die beiden Wissenschaftler dazu übergingen, die Aktivitäten vieler Nervenzellen als Muster zu analysieren. Auf diese Art und Weise erhielten sie eine ganze Reihe von "Geruchsbildern", die sie mit mathematischen Methoden zur Musteranalyse bearbeiteten. Dabei stellten sie fest, dass zu Beginn einer Geruchsantwort die vom Riechhirn erzeugten "Bilder" verwandter Duftmoleküle hochgradig überlappen und nur schwer zu unterscheiden sind. In den darauffolgenden mehreren hundert Millisekunden werden diese "Bilder" jedoch umgebaut, so dass die Geruchsunterscheidung präziser wird.

Diese Ergebnisse stoßen nicht nur bei Duftforschern, sondern auch bei anderen Wissenschaftlern auf Interesse, enthüllen sie doch eine bemerkenswerte neuronale Verarbeitungsstrategie: Offensichtlich benutzt das Riechhirn die Zeit als Variable für neuronale Rechenoperationen. Die Aktivität im Riechhirn wird allmählich umstrukturiert und das System so in einen zunehmend informativeren Zustand überführt. Es sind also quasi "bewegte Bilder", die unser Gehirn von einem Geruch zeichnet – kein Stilleben, eher ein Kurzfilm – und nur wer Verlauf und Ende kennt, vermag die Botschaft zu verstehen beziehungsweise den Geruch zu identifizieren.

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  • Quellen
Max-Planck-Gesellschaft
Science 291(5505): 889–894 (2001)

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