Geschlechterunterschiede : 40 Prozent aller Männer überleben Frauen
»Männer sterben früher als Frauen!« So lautet eine gängige Interpretation der unterschiedlichen Lebenserwartungen der beiden Geschlechter. In Deutschland unterscheiden sie sich um rund fünf Jahre. Allerdings verschleiert die Zahl, dass trotzdem weltweit zwei von fünf Männern länger leben als Frauen, wie Forscherinnen und Forscher der Süddänischen Universität in Odense berechneten. Das Team um Marie-Pier Bergeron-Boucher veröffentlichte die neue Methode zur Analyse von Geschlechterunterschieden beim Altern in der Fachzeitschrift »BMJ Open«.
Die Lebenserwartung gibt an, wie alt Menschen im Durchschnitt werden. Dabei wird jedoch die statistische Streuung vernachlässigt, also wie deutlich die einzelnen Datenpunkte vom Mittelwert abweichen. In den meisten Ländern sterben mehr Jungen als Mädchen, was die Streuung der Lebensdauer von Männern vergrößert.
Anstatt eines Durchschnittswerts berechnete die Forschungsgruppe deshalb die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Mann länger lebt als eine Frau. Dazu wählten die Forschenden aus riesigen Datensätzen immer wieder zufällig die Sterbedaten eines Mannes und einer Frau aus und schauten, wer von beiden älter wurde. Aus der Gesamtheit der Vergleiche ergab sich eine Art Überlebenswahrscheinlichkeit von Männern, die weltweit bei rund 40 Prozent lag. Für Deutschland berechneten die Forscherinnen und Forscher einen Wert von 39 Prozent. Es wäre also irreführend zu behaupten, dass Männer grundsätzlich durch Unterschiede in der Lebensspanne benachteiligt sind, folgert das Team um Bergeron-Boucher.
Genauere Analysen von Sterberegistern aus den USA zeigten etwa, dass jeder zweite verheiratete Mann eine unverheiratete Frau überlebt. Gleiches gilt für Männer mit Universitätsabschluss im Vergleich zu Frauen ohne Highschool-Abschluss. »Eine blinde Interpretation der Unterschiede in der Lebenserwartung kann manchmal zu einer verzerrten Wahrnehmung der tatsächlichen Ungleichheiten führen«, schreiben die Demografinnen und Demografen.
Die errechnete Überlebenswahrscheinlichkeit von Männern lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres interpretieren: Auch bei einem Wert von 50 Prozent kann es geschlechtsbezogene Ungleichheiten geben. In Indien sterben Mädchen häufiger als Jungen, ab dem Jugendalter ist die weibliche Sterberate geringer, was zu einer relativ ausgeglichenen Überlebenswahrscheinlichkeit führt. Außerdem sagt die Zahl nichts über die medizinische Versorgung im Allgemeinen aus. So überlebt in Westafrika fast jeder zweite Mann eine Frau, die Lebenserwartung liegt dort bei unter 60 Jahren. Auch wenn das neue Maß also hilfreich ist, um Geschlechterunterschiede zu untersuchen, lassen sich solche komplexen Zusammenhänge nicht auf eine einzige Zahl reduzieren.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.