Direkt zum Inhalt

News: Gestatten: Erbgutverteileransatzstelle

Vor jeder Zellteilung kleben die verdoppelten Chromosomen in einem bestimmten DNA-Abschnitt zusammen. Dieses Centromer trägt zwar keine Erbinformation, ihm kommt aber eine wichtige Rolle im Zellzyklus zu: Hier setzen die Spindelfasern an, welche die Chromosomen auf die Tochterzellen verteilen. Jetzt haben Wissenschaftler nach rund 20 Jahren Forschung die Centromer-Gensequenz aufgeklärt.
Rufen Sie sich doch einmal den Weg zur Arbeitsstätte oder in den letzten Urlaub ins Gedächtnis: Garantiert führt einer davon über mindestens ein Autobahnkreuz. Könnten Sie ein solches noch beschreiben, so leicht wie ein schönes Urlaubserlebnis? Wahrscheinlich nicht. Autobahnkreuze sind zwar wichtige Verkehrsverteiler und Ansatzstellen zur Orientierung, in unserem Gedächtnis werden sie aber nur am Rande wahrgenommen.

Ähnlich sieht es mit den Centromeren auf den Chromosomen in den Zellkernen aus. Sie bilden DNA-Abschnitte, die keinerlei Erbinformationen tragen. Bei der Erbgutübertragung stehen sie daher als Statisten ganz unten auf der Lohnrolle. Ihre Gensequenz blieb dementsprechend im Gegensatz zum codierenden Teil der DNA bisher ungeklärt, nicht zuletzt auch wegen der Schwierigkeiten ihrer Identifizierung.

Dennoch kann ohne sie keine geregelte Zellteilung stattfinden: Centromere sind die Ansatzstelle für die Spindelfasern, die nach der Verdoppelung des Chromosomenstranges die Paare von identischen Strängen – die Schwesterchromatiden – auseinander ziehen und auf die beiden Tochterzellen verteilen. Wissenschaftler vermuten, dass vielen Krebsarten falsch funktionierende Centromere zugrunde liegen.

Huntington Willard und seine Kollegen von der Case Western Reserve University in Cleveland setzten jetzt einen Schlußpunkt unter rund 20 Jahre Centromerforschung. Sie kartierten das Centromer des menschlichen X-Chromosoms. Es besteht aus 171 Nucleotiden – den "Buchstaben" der DNA.

Insgesamt drei Millionen Nucleotide genügen für ein funktionierendes Centromer, bewies das Team um Willard. Beim Vergleich mit den Centromersequenzen bei Affen entdeckten die Wissenschaftler weiterhin, dass ein Teil des Affen-Centromers auch beim Menschen auftritt. "Die Studie gibt klare Auskunft darüber, wie sich das Centromer stammesgeschichtlich entwickelt haben könnte", erklärt William Brown von der University of Nottingham. "Es entstand – auf die menschliche Evolution bezogen – erst vor relativ kurzer Zeit".

Trotz der jetzt entschlüsselten Centromersequenz beim Menschen rätseln die Wissenschaftler immer noch, wie diese Chromosomenteile eigentlich arbeiten. Im Gegensatz zu codierenden Gensequenzen, die in verschiedenen Organismen oft ähnlich aussehen, sind Centromersequenzen sehr unterschiedlich. Das lässt vermuten, dass die Abfolge der genetischen Buchstaben nicht über ihre Funktion entscheidet, die ja überall gleich ist. Gary Karpen vom Salk Institute in La Jolla mutmaßt, dass bestimmte Proteine, welche den räumlichen Aufbau der DNA bestimmen, auch für die Funktion des Centromers entscheidend sind. Deshalb versuchen Wissenschaftler jetzt, diese Proteine zu isolieren.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.