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Neurologie: Gestörte Kurzwellenkommunikation

Sie hören Stimmen, die sie kontrollieren, und Gestalten, die sie verfolgen - und nur für gesunde Außenstehende ist beides nicht real. Offenbar kann das Gehirn von Schizophrenen die Informationen von funktionsfähigen Nervenzellen nicht unter einen Hut bringen.
Schizophrenie hat viele Gesichter – nicht aber die von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Jene zwei, die eigentlich nur einer sind, stellen die Pole einer klassischen "dissoziativen Identitätsstörung" dar. Schizophrene dagegen sind nicht in zwei oder mehrere Charaktere gespalten: Sie leiden vielmehr unter Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Autismus und Depression und sind oft isoliert durch merkwürdig abweichende Verhaltensweisen und Wahrnehmungen. In Deutschland leben derzeit wohl mehr als 80 000 Betroffene.

Ursache ihrer Erkrankung, so viel schien lange klar, sind wohl falsch eingependelte Konzentrationen bestimmter Neurotransmitter in ihrem Gehirn. Oder doch nicht? Andere Untersuchungen ließen eher vermuten, dass die Neuroanatomie von Erkrankten gestört ist, Nervenzellen im Gehirn also fehlerhaft verknüpft werden. Auch Robert McCarley und seine Kollegen von der Harvard Medical School vermuten eher letzteres als Ursache der Schizophrenie – genauer, eine Fehlverschaltung von Mikroschaltkreisen, die insbesondere zu fatal abgeschwächt arbeitenden hemmenden Nervenleitungen führt.

Dies, so meinten die Wissenschaftler, sollte sich in einem Elektroenzephalogramm nachweisen lassen. Denn eine bei Schizophrenen offenbar besonders betroffene hemmende Neuronensorte ist entscheidend beteiligt an der Emission charakteristischer, per EEG nachweisbarer Gehirnwellen, den Gamma-Wellen. Diese, sowie die Alpha-, Beta- und Delta-Gehirnwellen, entstehen aus der Summe der elektrischen Polarisationsänderung aktiver Nervenzellen – sie summieren sich zu Strömen durch die Hirnrinde, die je nach ihrer Frequenz unterschieden werden. Gamma-Wellen sind dabei die Gehirnwellen mit der kleinsten Amplitude und höchsten Frequenz über 30 Hertz.

Welche Aktivität des Gehirns sich durch Gamma-Wellen verrät, ist dabei noch nicht ganz geklärt. Sicher aber ist immer dann ein besonders starker Gamma-Wellengang zu beobachten, wenn im Gehirn höhere Aufmerksamkeit verlangt wird, komplexere Denkfunktionen ablaufen und das Arbeitsgedächtnis auf Hochtouren ist. Anforderungen, welche die Forscher um McCarley nun in einem Test auch an das Gehirn von je zwanzig Gesunden sowie Schizophrenie-Erkrankten stellten. Dabei schauten sie ihnen mit Hilfe eines EEGs beim Denken zu.

Die visuelle Aufgabe der Probanden: Vier im Viereck angeordnete Pac-Man-Figuren beobachten, bis sie in einer bestimmten Konstellation mit ihren Mund-Segmentauschnitten ein zentrales Quadrat in ihrer Mitte bilden – diese Lageanordnung sollten die Kandidaten dann möglichst rasch per Knopfdruck signalisieren. Schizophrenen gelang dies durchaus, allerdings um durchschnittlich rund 200 Millisekunden verzögert gegenüber den gesunden Testpersonen. Insbesondere im EEG offenbarten sich allerdings dramatische Unterschiede: Synchronisierte Gamma-Wellen, die auf gelungene Kommunikation verschiedener Nerven untereinander hindeuten, fehlten bei Schizophrenen vollständig. Stattdessen versuchten die Gehirne der Erkrankten den Ausfall der Gamma-Wellen durch verstärkte Wellenaktivität in einem langsameren Frequenzband zu kompensieren. Was offenbar nur unzureichend gelingt.

Gamma-Wellen bei Schizophrenie | Im EEG zeigen sich bei gesunden Personen (oben) starke Gamma-Wellen-Aktivitäten um 37 Hertz, während sie vor komplexere visuelle Aufgaben gestellt werden. Bei gleicher Aufgabenstellung sind im Gehirn schizophrener Patienten nur Wellen niedrigerer Frequenz (um 24 Hertz) zu beobachten.
Je langsamer die kompensierenden Oszillationen einzelner Testpersonen, desto schwerwiegender waren auch stets die klinischen Symptome dieses Individuums. Gamma-Wellen, so vermuten die Wissenschaftler, sind wichtig für die Lösung so genannter Bindungsprobleme: Solche stellen sich dann, wenn im Gehirn verschiedenartiger Input zusammenläuft und sinnvoll integriert werden muss. Dazu ist eine Kommunikation der beteiligten Nervenzellen unerlässlich – und deren Signalsprache sind offenbar die Gamma-Wellen.

Bei Schizophrenen waren im Versuch von McCarley besonders der Hinterhauptslappen des Gehirns betroffen, wo gerade auch optische Informationen zusammenlaufen und bewertet werden: Eine Störung der Neuronen-Kommunikation in diesem Bereich könnte die häufigen optischen Halluzinationen von Schizophrenen erklären, spekuliert der Wissenschaftler. Geht hier etwas durcheinander, so können vorläufige Halbbilder fehlinterpretiert werden und sich in übergeordneten Gehirnregionen zu Scheinwahrheiten zusammenseten, die mit dem logischen Verstand nicht mehr sinnvoll einzuordnen sind – also eben genau das, was Schizophrenen das Leben so schwer macht.

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