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Sonnenaktivität: Der gewaltigste Sonnensturm der letzten 15 000 Jahre

Während des Ausklingens der letzten großen Eiszeit ereignete sich ein extremer Ausbruch auf der Sonne, der alles in den Schatten stellt, was in historischer Zeit beobachtet wurde.
Eine Nahaufnahme der Sonne zeigt einen intensiven Sonnenausbruch, der als heller, leuchtender Bereich auf der Oberfläche sichtbar ist. Die umgebende Sonnenoberfläche ist in verschiedenen Orangetönen dargestellt, die die Textur und Aktivität der Sonnenkorona hervorheben. Der Ausbruch erzeugt eine auffällige Struktur aus Plasma, das sich von der Sonnenoberfläche wegbewegt. Dieses astronomische Bild veranschaulicht die Dynamik und Energie der Sonnenaktivität.
Glück gehabt: Eine gewaltige Eruption am Morgen des 7. Juni 2011 erzeugte einen eindrucksvollen, seitlich gerichteten Materieauswurf, fotografiert vom Solar Dynamics Observatory im extremen Ultravioletten in der Heliumlinie bei 30,4 Nanometern.

Unsere Sonne und alle sonnenähnlichen Sterne sind mehr oder weniger magnetisch aktiv; sie zeigen Flecken und Fackelgebiete und erzeugen Strahlungsausbrüche (englisch: flares). Letztere sind Energieblitze, die durch lokale Kurzschlüsse im solaren Magnetfeld entstehen. Sie treten in sehr unterschiedlicher Stärke auf. Je energiereicher ein Flare ist, desto seltener kommt ein solcher Ausbruch vor. Einem Röntgenstrahlungsblitz folgt ein Partikelsturm, meist aus hochenergetischen Protonen bestehend. Bei Raumfahrtbehörden lösen solche Ereignisse stets große Besorgnis aus, da die Partikel zur Erde vordringen und die empfindliche Elektronik von Satelliten beschädigen können. Zudem versetzen sie das Magnetfeld unseres Planeten in Unruhe. Starke geomagnetische Stürme induzieren am Erdboden hohe Spannungen, wodurch Transformatoren durchbrennen und Stromnetze großräumig ausfallen, wie zuletzt am 13. März 1989 in Kanada. Beim sogenannten Carrington-Ereignis, einem intensiven Flare am 2. September 1859, sprangen sogar Funken aus US-amerikanischen Telegrafen, und am Himmel über der Karibik tanzten Polarlichter.

Zum Glück erreichen uns nur die wenigsten dieser starken Eruptionen, denn die für unsere heutige, sehr empfindliche Elektronik bedenklichen Auswirkungen sind von einigen weiteren Faktoren abhängig: Viele Eruptionen sind nicht auf die Erde gerichtet, sondern werden seitlich zur Sichtline freigesetzt, wie der gewaltige Auswurf vom 7. Juni 2011 (siehe »Glück gehabt«). Zudem muss der Weg des Auswurfs zur Erde magnetfeldfrei sein. Die meisten Eruptionen dringen wegen der vielen geschlossenen Feldbögen auf der Sonne nicht sehr weit in den interplanetaren Raum vor oder werden hierbei stark abgebremst. Oft liegt auch noch das interplanetare Magnetfeld auf ihrem Weg zur Erde. Die kräftigsten solaren und magnetischen Stürme treten daher – entgegen der naiven Erwartung – eher in weniger aktiven Zeiten im solaren Magnetfeldzyklus auf! Dann sind kräftige Flares zwar wesentlich weniger häufig, sie können uns jedoch durch den weitgehend feldfreien Raum besser erreichen.

Schon normale Sonnenstürme, wie sie zu Zeiten eines Sonnenmaximums mehr als einmal im Monat vorkommen, ionisieren und destabilisieren die D-Schicht der irdischen Ionosphäre und stören so ganz erheblich die Ausbreitung von Radiowellen. Zur Zeit der auf analoger Radiotechnik beruhenden Kommunikation des letzten Jahrhunderts war dies schon schlimm genug. Die dann auch weit südlich auftretenden Polarlichter sind dagegen nur eine harmlose hübsche Beigabe. Doch in den natürlichen Archiven der Erde, vor allem in Eisbohrkernen und Baumringen, finden sich Hinweise auf außergewöhnliche Ereignisse der letzten 15 000 Jahre, die alle großen Ereignisse der jüngeren Zeit weit in den Schatten stellen. Sie werden fachsprachlich als Extreme Solar Particle Events (ESPEs) bezeichnet, was sich als extreme Sonnenstürme übersetzen lässt. Der bei einem ESPE ankommende Protonensturm ist um viele Größenordnungen energiereicher als ein normaler Sonnensturm. Selbst am Erdboden entsteht ein messbarer Anstieg der Höhenstrahlung. So wurde das stärkste Ereignis dieser Art am 23. Februar 1956 registriert. Es eignet sich somit zur Eichung prähistorischer ESPEs. Von dem noch deutlich heftigeren Carrington-Event fehlen uns leider relevante Daten, da es zu jener Zeit keine geeigneten Messinstrumente gab.

Im Nachhinein verrät sich ein ESPE in Eisbohrkernen durch eine Schicht mit erhöhten Konzentrationen des Isotops Beryllium-10 (Be-10) oder in Baumringen durch einen Anstieg des Anteils des radioaktiven Isotops Kohlenstoff-14 (C14). Letzteres lässt sich leichter nachweisen, deckt mit einer Halbwertszeit von 5700 Jahren die letzten 10 000 bis 20 000 Jahre gut ab, und Baumringe sind eine sehr genaue Datierungsmethode. Gut datierbare Eisbohrkerne sind hingegen recht selten und Messungen von Be-10 aufwändig. Allerdings dauert es bei C14 gut drei Jahre, bis es von der Höhenstrahlung in den Baum gelangt, was den Zeitpunkt des ESPE daher nur ungefähr wiedergibt. Zudem hängt die Größe des C14-Eintrags nicht nur von der Stärke des ESPE ab, sondern auch in komplizierter Weise vom geografischen Ort und von dem dort vorherrschenden Klima. So bedarf es eines sehr gut geeichten und detaillierten Modells, um ein Ereignis aus der ausklingenden Eiszeit mit den weniger weit zurückliegenden ESPEs quantitativ vergleichen zu können.

Genau an diesem Punkt setzt eine Arbeit von Kseniia Golubenko und ihren Kollegen von der finnischen Universität Oulu an. Aus den letzten 10 000 Jahren sind acht ESPEs bekannt, die das 20- bis 80-Fache der Stärke des Ereignisses vom 23. Februar 1956 erreichten (siehe »Prähistorische Sonnenausbrüche«)! Diese Sonnenstürme dürften damit auch deutlich stärker ausgefallen sein als das erwähnte Carrington-Ereignis. Der stärkste dieser Ausbrüche trat im Jahr 775 n. Chr. auf. Hinzu kommt ein Ereignis im Jahr 12 350 v. Chr., bei dem der relative C14-Sprung sogar fast doppelt so hoch ist. Dies lässt sich aber zum großen Teil auf das damals kältere Klima der letzten Eiszeit zurückführen.

(LAY) Prähistorische Sonnenausbrüche | Bis zu 80-mal so heftig wie der gut vermessene Protonensturm aus dem Jahr 1956 (grüner Punkt unten rechts) fielen neun extrem starke solare Strahlungsausbrüche (Sternsymbole) der zurückliegenden 15 000 Jahre aus. Ganz links (roter Stern) ist das jetzt von Golubenko und Mitarbeitern als Rekordhalter identifizierte Ereignis aus dem Jahr 12 350 v. Chr. markiert.

Das Team um Golubenko kommt nach sorgfältiger Analyse zu dem Schluss, dass der frühe Ausbruch um 20 Prozent stärker war; er erreichte mindestens das 80-Fache des Ereignisses von 1956. Dennoch dürfte er von unseren eiszeitlichen Vorfahren nicht bemerkt worden sein: Stein- und Holzwerkzeuge sind gegenüber einem magnetischen Sturm unempfindlich, und Höhlen halten auch die erhöhte Höhenstrahlung ab. Wir dagegen sollten uns gut überlegen, welche Vorkehrungen wir gegen die in so einem Fall zu erwartenden Schäden an elektrischer und elektronischer Infrastruktur treffen können.

Meist verbleiben nach einer zur Erde gerichteten Eruption rund 24 Stunden, bis uns der Protonensturm erreicht und den magnetischen Sturm erzeugt. Diese Zeit lässt sich nutzen, um anfällige Elektronik und Netzwerke herunterzufahren und Speichermedien in faradayschen Käfigen zu schützen. ESPEs, die Schäden verursachen, kommen zwar nur etwa einmal im Jahrhundert vor, doch in einem solchen Fall wären heute so viele Geräte und gespeicherte Informationen wie nie zuvor betroffen.

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