Menschen mit starkem Übergewicht seien in erster Linie selbst für ihre Körperfülle verantwortlich - dieses Vorurteil hegen viele. Doch es spricht einiges dafür, dass unser Gewicht zu einem überraschend großen Teil genetisch bedingt ist.
Dicke sind unbeherrscht, undiszipliniert und
faul – so lauten gängige Vorurteile gegenüber
beleibten Mitmenschen. Dicksein erweist
sich nicht nur oft als Hindernis bei Partner- und
Jobsuche, auch so manche Lehrer halten korpulente
Kinder für leistungsschwächer, und überhaupt
wird Übergewichtigen meist selbst die
Schuld an ihrer Körperfülle zugeschrieben.
Hand aufs Herz,haben Sie nicht auch schon einmal
gedacht, dass die mollige Nachbarin besser
mit dem Fahrrad zum Einkaufen fahren sollte,
statt immer ins Auto zu steigen?
Ganz so einfach ist die Sache aber nicht. Denn
auch wenn sich Ernährungsgewohnheiten und
sportliche Betätigung auf unser Körpergewicht
auswirken, diese Faktoren sind eben nicht alles.
Ob wir dick oder dünn sind, ist uns zu einem gewissen
Teil in die Wiege gelegt, wie zahlreiche
Studien belegen. Demnach beeinflusst unsere
genetische Ausstattung unter anderem auch,
wie gut ein jeder von uns Nährstoffe aus dem
Darm aufnimmt und verstoffwechselt.
Erste wissenschaftlich fundierte Hinweise
darauf lieferte im Jahr 1986 Albert Stunkard von
der University of Pennsylvania in Philadelphia. Der Psychiater wertete Akten von dänischen
Adoptivkindern aus – alle zum Zeitpunkt
der Erhebung rund 20 Jahre alt. Die umfassende
medizinische Datensammlung enthielt
nicht nur genaue Angaben zu Größe und
Gewicht der Adoptierten, sondern auch ihrer
leiblichen Eltern sowie der Paare, bei denen sie
aufgewachsen waren. Die Fakten sprachen eine
deutliche Sprache: Die leiblichen Eltern von
dünnen Jugendlichen waren erheblich schlanker
als die der Normal- oder gar Übergewichtigen.
Ein Zusammenhang zur Figur der nicht
verwandten Adoptiveltern ließ sich dagegen
nicht herstellen.
Ähnliches beobachtete der amerikanische
Psychiater
vier Jahre später bei eineiigen Zwillingen.
Die Paare ähnelten sich auffallend in ihrem
Gewicht – selbst dann, wenn sie bereits kurz
nach der Geburt getrennt worden waren. Unser
Erbgut hat demnach einen deutlich stärkeren
Einfluss auf die Körperfülle als die Umwelt. Wissenschaftler
gehen heute davon aus, dass Gene
zu 50 bis 70 Prozent die Varianz des Körpergewichts
ausmachen. Sie scheinen sogar zu bestimmen,
wie sich das Fett in unserem Körper verteilt,
ob wir es also eher am Bauch bunkern oder an
Hüfte, Po und Oberschenkel in die Breite gehen.
Wo aber hält unsere DNA das dicke Erbe versteckt?
Gibt es vielleicht sogar ein einzelnes Gen,
das für überflüssige Pfunde sorgt? Tatsächlich
haben Wissenschaftler im Jahr 1994 einen solchen
Erbfaktor ausfindig gemacht – bei extrem
massigen Nagern. Per Zufall waren Forscher bereits
in den frühen 1950er Jahren auf eine Labormaus
gestoßen, die der Bezeichnung "Fressmaschine" alle Ehre machte und folglich sehr dick
wurde. Die gezielt weitergezüchtete Mutante
litt zudem unter schlechteren Blutfettwerten
und neigte zu frühzeitigem Altersdiabetes –
ganz ähnlich wie übergewichtige Menschen.
Bei diesen Nagern spürte der amerikanische
Genetiker Jeffrey Friedman mit seinem Team an
der Rockefeller University in New York Mitte der
1990er Jahre eine Genmutation auf. Sie kodierte
für eine veränderte Bauanleitung für ein Hormon,
das die Forscher Leptin nannten – abgeleitet
vom griechischen Wort leptos für "mager".
Das Hormon, so stellte sich heraus, ist für das
Sättigungsgefühl verantwortlich und reguliert
auf diese Weise die Nahrungsaufnahme. Fehlt
es, so überfressen sich die Tiere permanent.
Hungerbremse Leptin
Im menschlichen Organismus entdeckte Friedmans
Team ebenfalls Leptin. Genau wie bei den
Nagern führt sein Verlust auch bei unserer Spezies
zu einer enormen Leibesfülle. So etwa bei
zwei pakistanischen Kindern, deren Blut sich
auf Grund einer genetischen Mutation als vollkommen
leptinfrei erwies. Beide waren ständig
hungrig; der Junge brachte bereits im Alter von
drei Jahren 42 Kilogramm auf die Waage, seine
achtjährige Kusine wog 94.
Wie wichtig das Hormon für ein normales Essverhalten
ist, zeigte sich, als Ärzte den Kindern
gentechnisch hergestelltes Leptin verabreichten.
Binnen Kurzem gaben sich beide mit einer
drastisch reduzierten Nahrungsmenge zufrieden
und verloren beachtlich an Gewicht – und
zwar ohne zu hungern. Ganz ähnlich nahmen
auch die molligen Mäuse nach Leptingabe ab.
Die Euphorie über das vermeintliche Diätwundermittel
war zunächst groß, doch die Ernüchterung
folgte auf dem Fuße: Beim Gros der
Fettleibigen ist zu therapeutischen Zwecken
verabreichtes Leptin nämlich weit gehend wirkungslos.
Seine Gabe hilft nur solchen Menschen,
deren Körper das Hormon nicht selbst
bilden kann. Derartige Mutationen im Leptingen
sind allerdings äußerst selten: Weltweit
haben
Wissenschaftler bislang nur etwa zwei
Dutzend Menschen entdeckt, bei denen die Produktion
des Hormons gänzlich lahmgelegt ist.
Übergewicht | Entlastende Botschaft: Anlage, Umwelt und Verhalten wirken auch beim individuellen Körpergewicht zusammen. Dicke sind daher nicht unbedingt "selber schuld".
Doch es gibt weitere gewichtige Gene – allen
voran die Erbanlage für den Melanokortin-4-Rezeptor, kurz MC4R genannt. Dieses Protein
findet sich unter anderem im Hypothalamus,
wo es zur Übermittlung eines Sättigungssignals
beiträgt – und somit verhindert, dass wir uns
unkontrolliert vollstopfen. Menschen, bei denen
diese Kontrollinstanz ausfällt, haben mehr
Appetit und neigen zu Übergewicht.
Mutationen des MC4R-Gens treten weit häufiger
auf als solche des Leptinerbfaktors. Johannes Hebebrand (Co-Autor dieses Artikels, Anm. d. Red.) durchforstete
mit seiner Arbeitsgruppe an den Universitäten
Marburg und Essen die DNA von fettleibigen
Kindern und Jugendlichen nach Veränderungen
im MC4R-Gen. Dabei stellte sich heraus, dass es
bei zwei Prozent der Untersuchten mutiert war.
In Stichproben aus anderen Ländern betrug der
Anteil sogar bis zu sechs Prozent.
Mehr noch: Bei fast einem Prozent aller stark
Übergewichtigen in Deutschland sitzt eine Genmutation
an einer ganz bestimmten Stelle. Statistisch
schlagen solche Fehler bei Männern im
Erwachsenenalter mit rund 13 Extrakilo verglichen
mit dem Durchschnitt zu Buche, Frauen
schleppen sogar 28 Kilogramm zusätzlichen
Ballast.
Allerdings haben nicht alle Veränderungen
im MC4R-Gen eine derart große Wirkung. Bei
anderen Varianten bewegt sie sich nur im Bereich
von ein bis zwei Kilogramm. Eine veränderte
Gensequenz außerhalb des so genannten
kodierenden Bereichs, der die eigentliche Bauanleitung
für den Rezeptor trägt, zeigt einen Effekt
in der Größenordnung von nur einigen
hundert Gramm. In diesem Fall handelt es sich
um einen Single Nucleotide Polymorphism oder
SNP (sprich Snip). Hierbei ist nur ein einziges
Basenpaar im DNA-Strang vertauscht, was gar
nicht so selten auftritt. Solche SNPs gelten als
Spielarten im Genom, die sich aber im Einzelfall
durchaus auf ihren Träger auswirken – zum Beispiel
auf sein Gewicht. Im Fall des MC4R-Gens
entdeckte Hebebrands Arbeitsgruppe
im Jahr 2004 sogar eine Variante, die bei rund
vier Prozent der Bevölkerung dafür sorgt, dass
ihre Träger im Schnitt etwa eineinhalb Kilo
leichter sind als andere Menschen. Veränderungen
in diesem Gen können folglich zu einem
übermäßigen oder verminderten Appetit führen
– je nachdem, ob die Funktion des Rezeptors
verschlechtert oder verbessert wird.
Das Dickmachergen gibt es nicht
Spätestens hier wird klar: Die Suche nach einem
einzigen Dickmachergen, dem wir die Schuld
für unsere Extrapfunde geben können, ist müßig.
Der Schlüssel zum Gewicht liegt in den allermeisten
Fällen sicher nicht in der Mutation
eines spezifischen Erbfaktors. Vielmehr dürfte
in der Regel eine Vielzahl von individuellen Abweichungen
im Genom unterm Strich unsere
Figur prägen. Fachleute sprechen von einem polygenen
Effekt.
Von dieser Erkenntnis angespornt, begannen
wir und andere Forscher weltweit nach den relevanten
SNPs zu fahnden. Bislang wurden 32 Regionen
im Genom dingfest gemacht, an denen
Genvarianten ihren Einfluss auf unser Gewicht
geltend machen – allein 18 dieser Abschnitte
entdeckte man im Jahr 2010. Ein internationales
Forschungsprojekt hatte es sich zur Aufgabe gemacht,
das Genom von fast 125 000 Personen zu
analysieren und die Befunde an noch einmal so
vielen Probanden zu verifizieren. Experten rechnen
mit mindestens 100 Genen, die auf verschiedene
Weise die Kurven unseres Körpers
formen. Um diese zu identifizieren, brauchen
wir allerdings noch größere Fallzahlen.
Ein prominenter Vertreter ist das so genannte
FTO-Gen (von englisch Fat Mass and Obesity
Associated), das im Jahr 2007 eher zufällig für
Aufsehen sorgte. Eigentlich suchten die Wissenschaftler
um Timothy Frayling von der Peninsula
Medical School in Exeter (Großbritannien)
nach Genvarianten, die für das Risiko für Altersdiabetes
verantwortlich zeichnen. Auf Chromosom
Nummer 16 – in ebenjenem Gen, das später
FTO getauft wurde – machten sie mehrere Varianten aus, die bei Zuckerkranken wesentlich
häufiger waren als bei Gesunden. Nach eingehender
Untersuchung stellte sich heraus, dass
diese genetischen Spielarten nur indirekt für
Altersdiabetes
sorgen: Sie erhöhen vielmehr
unmittelbar das Risiko für Fettleibigkeit; Übergewichtige
neigen wiederum zu Diabetes.
Allein auf Grund einer Variation von FTO
kann sich das Körpergewicht um bis zu 1,4 Kilogramm
erhöhen; trägt man in beiden Genen die
entsprechende Version, addiert sich der Effekt
sogar auf fast drei Kilogramm. Zudem sind die
dick machenden Varianten recht verbreitet: Jeder
sechste Europäer erbt sie von beiden Elternteilen
– und trägt damit ein um 70 Prozent erhöhtes
Adipositasrisiko. Sogar jeder Zweite von
uns besitzt immerhin eine dieser Genvarianten
und lebt dadurch mit einer um 30 Prozent gesteigerten
Gefahr, dick zu werden. Der Effekt der
gewichtigen FTO-Spielart zeigt sich übrigens
schon bei Kindern im Alter von sieben Jahren.
Nun machen drei zusätzliche Kilos allein natürlich
noch nicht dick; sie bewirken höchstens,
dass die modische Slimline-Jeans kneift. Und
welche drastischen Auswirkungen sollen schon
Genversionen haben, die das Gewicht nur um
ein paar Kilo oder sogar nur um wenige hundert
Gramm erhöhen? Doch man darf die Summe
der Einzeleffekte nicht unterschätzen: Gleich
einem akribischen Buchhalter scheint unser
Körper sämtliche positiven und negativen Auswirkungen
seiner Erbanlagen aufzuaddieren –
und kommt so zum individuellen Sollgewicht.
Wie exakt sich der Körper an seinen "Sollwert" hält, zeigte ein Experiment aus dem Jahr
2007. Der Mediziner Frederik Nyström und sein
Team von der Universität Linköping in Schweden
baten 18 Freiwillige – sechs Frauen und
zwölf Männer –, sich zu wissenschaftlichen Zwecken
zu überfressen. Rund 6000 Kilokalorien
sollten sie sich täglich einverleiben, die Hälfte
davon als Junkfood, und sich dabei auch noch
möglichst wenig bewegen. Das Erstaunliche war,
wie unterschiedlich die Probanden auf die fette
Kost reagierten: Ein Mann nahm so rasant zu,
dass er bereits nach zwei Wochen das Experiment
abbrechen musste. Er hatte in dieser
kurzen Zeit 15 Kilogramm zugelegt – die Höchstgrenze,
die aus ethischen Gründen im Experiment
toleriert wurde.
Die meisten Probanden
aber, insbesondere diejenigen, die vor Versuchsbeginn
normalgewichtig oder sogar schlank
waren,
nahmen nicht annähernd so rasch zu –
und nach Ende des Experiments ohne Anstrengung
auch flugs wieder ab. Tatsächlich schien
ihr Stoffwechsel während der fetten Zeiten
auf Hochtouren zu arbeiten: Die Probanden
schwitzten stärker als sonst, und ihr Körper produzierte
mehr Wärme.
Diätwillige kennen den so genannten Jo-Jo-
Effekt. Wer binnen Kurzem viel Gewicht verliert,
nimmt in der Regel auch schnell wieder zu. Ein
möglicher Grund: Wer abspeckt, erreicht damit
physiologisch betrachtet nicht etwa den Körper
eines Normalgewichtigen. Untersuchungen haben
gezeigt, dass der Stoffwechsel nach deutlicher
Gewichtsreduktion paradoxerweise eher
dem eines dünnen Hungernden gleicht – der
Organismus giert nach jeder Kalorie und setzt
entsprechend rasch wieder an.
Unbekanntes Genreservoir
Wahrscheinlich sind viele Genvarianten, die einen
Einfluss auf das Gewicht des Einzelnen haben,
noch gar nicht bekannt. So lassen sich bislang,
trotz der groß angelegten Studie mit insgesamt
250 000 Probanden, erst ein bis zwei
Prozent der Varianz des Body Mass Index (BMI)
erklären. Sollte das Körpergewicht auch nur zu
50 Prozent genetisch bedingt sein, wartet noch
eine beachtliche Anzahl von relevanten Erbfaktoren
darauf, entdeckt zu werden.
Doch wie wir
bereits von anderen komplexen Erkrankungen
wie beispielsweise Krebs wissen, gestaltet sich
das Aufspüren solcher Faktoren schwierig.
Wahrscheinlich existiert eine Reihe von Genversionen,
die sich nur dann auswirken, wenn in
einem zweiten Gen eine bestimmte Variante
vorliegt. Man spricht hierbei von einem nichtadditiven
Effekt. Bislang kennen Forscher in Sachen
Adipositas allerdings noch keine derartigen
Wechselwirkungen.
Auch bei den Mechanismen, die hinter den
Effekten der neu entdeckten Varianten stecken, tappen Forscher noch weit gehend im Dunkeln.
Und: Je mehr Gene einen Effekt auf das Gesamtgeschehen
haben, umso diffiziler wird die Angelegenheit
– zumal das Miteinander der Gene
in ein komplexes Netzwerk eingebunden ist.
Wie komplex, zeigt das Beispiel des eingangs erwähnten
Leptins. Offenbar zügelt das Hormon
den Appetit und damit die Nahrungsaufnahme
nämlich nicht unbedingt – das Blut fettleibiger
Menschen weist sogar oftmals eine erhöhte
Leptinmenge auf. Ganz allgemein gilt: Je höher
der Leptinspiegel, desto größer die Fettmasse
der betreffenden Person.
Möglicherweise stellt der hohe Leptinspiegel
bei Übergewichtigen bereits einen Versuch des
Organismus dar, die Energieaufnahme zu drosseln.
Das könnte erklären, warum sich durch
eine weitere Zufuhr des Hormons nicht die erhoffte
Reduktion der Nahrungsaufnahme einstellt.
Versuche von Pharmafirmen, Übergewicht
durch Leptingabe zu therapieren, scheiterten
weit gehend. Womöglich reagieren die
zellulären Systeme, die vom Leptinrezeptor ihre
Signale empfangen, bei Übergewichtigen auch
nicht adäquat. Die Betreffenden wären dann
quasi leptinresistent.
Wenn der Stoffwechsel
herunterfährt
Vielleicht steckt aber auch ein dritter Mechanismus
dahinter: Wissenschaftler gehen heute davon
aus, dass Leptin nicht nur das Hungergefühl
steuert. Seine wesentliche Aufgabe liegt offenbar
darin, den Körper an Hungerzustände zu
adaptieren. So sorgt ein Abfall des Leptinspiegels
– etwa im Rahmen einer erfolgreichen Diät,
bei der die Fettmasse abnimmt – dafür, dass der
Stoffwechsel herunterfährt, wenn der Körper
weniger Nahrung bekommt.
Dazu passt, dass ausgerechnet Magersüchtige
oftmals durch äußerst niedrige Leptinwerte auffallen.
Die Betroffenen verfügen kaum über Fettmasse,
und ihr Organismus ist auf Hungern eingestellt.
Tatsächlich unterbindet das kaum vorhandene
Leptin bei extrem untergewichtigen
Frauen die Regelblutung. Zwar ist davon auszugehen,
dass der niedrige Spiegel des Hungerhormons
den Magen der Patientinnen knurren lässt.
Allerdings sorgen offenbar übergeordnete Prozesse
des zentralen Nervensystems dafür, dass
dieses Signal seinen Zweck nicht mehr erfüllt.
Bei vielen Patientinnen mit Anorexia nervosa
ist zudem ein gesteigerter, manchmal fast
zwanghafter Bewegungsdrang festzustellen.
Möglicherweise
handelt es sich um eine Form
der hungerinduzierten Hyperaktivität, die man
auch von anderen Notleidenden kennt: So gibt
es Berichte von Kriegsgefangenen, die der Hunger
zunächst in erstaunliche Betriebsamkeit
versetzte – vermutlich eine Reaktion des Körpers,
um Nahrung zu finden und so das Überleben
zu sichern.
Wird diese Hyperaktivität ebenfalls durch einen
niedrigen Leptinspiegel ausgelöst? Um dies
zu testen, reduzierte Hebebrands Team
die Nahrungszufuhr junger Ratten auf 60 Prozent
der für das Alter üblichen Kalorienmenge.
Dann verabreichten wir den hungrigen Nagern
mit Hilfe einer unter die Haut implantierten
Minipumpe eine Woche lang entweder Leptin
oder eine simple Kochsalzlösung. Während die
Tiere, die Leptin bekamen, sich unauffällig verhielten,
waren die in der Kochsalzgruppe erheblich
mehr in ihren Laufrädern unterwegs als gut
genährte Artgenossen. Tatsächlich steigerte sich
ihre Bewegungsrate um rund 350 Prozent.
Weitere Untersuchungen bei Patientinnen
mit Magersucht zeigten, dass die Frauen motorisch
umso unruhiger waren, je niedriger ihr
Leptinspiegel ausfiel. Wir können also wohl davon
ausgehen, dass die starke Unruhe vieler Betroffener
zumindest teilweise durch den niedrigen
Leptinspiegel entsteht. Der endgültige Beweis
steht freilich noch aus.
Angesichts der vielen, teils noch unbekannten
Faktoren, die unsere Figur modellieren, sind
die Aussichten für eine Therapie Übergewichtiger
momentan eher düster. Die Hypothese
vom körperlichen Sollwert erklärt aber, warum
herkömmliche Diäten in der Regel schlecht
funktionieren – jedenfalls nicht auf Dauer. Nur
wenigen Personen gelingt es, ihre Ernährungsgewohnheiten
so radikal umzustellen, dass ein
langfristiger Erfolg winkt. Auch von einer effektiven
medikamentösen Behandlung Fettleibiger
sind wir weit entfernt; das einzige in Deutschland
zugelassene Medikament – der Wirkstoff
Orlistat – reduziert das Gewicht im Durchschnitt
lediglich um zwei bis drei Kilogramm.
Umso wichtiger scheint es, der Stigmatisierung
der Betroffenen entgegenzuwirken. Wenn
wir einsehen, dass Dicke nicht unbedingt selbst
Schuld tragen an ihrem Gewicht, dürfte das ihr
Leben schon deutlich erleichtern.
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