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Chronobiologie: Gewichtiges Ticken

Unser Tag-Nacht-Rhythmus wird nicht nur durch eine große, sondern durch viele kleinere Uhren gesteuert - auch wenn ihr Durcheinanderticken irgendwie durch einen Zeitgeber von oben synchronisiert wird. Vorherzusehen, wie sich Sand im Uhrwerk auswirkt, ist dementsprechend schwer und sorgt immer wieder für Überraschungen.
Mäuse mit einer mutierten inneren Uhr bleiben schlank
Die innere Uhr nur mit den üblichen Schlagworten in Verbindung zu bringen – Verursacher des Jetlag, Grund für ein Leben als Morgenmuffel, Schrecken der Schichtarbeiter – ist etwas kurz gesprungen: Tickt der Zeitgeber des Körpers falsch, dann spürt der Organismus das an allen Ecken und Enden und bis in die letzte Zelle. Die Folgen eines Uhrdefektes können entsprechend vielgestaltig sein.

Ein zunehmend problematisches Beispiel solcher Folgeschäden ist, so vermuten Forscher seit einiger Zeit, die Fettleibigkeit: Sie wird vielleicht zu unrecht immer nur mit zu viel falscher Ernährung oder zu wenig körperlicher Betätigung in Verbindung gebracht. Stattdessen häufen sich Indizien dafür, dass auch an zu viel Fettpölsterchen ein Defekt im Zeitgetriebe nicht unschuldig ist. Joseph Besharse vom Medical College of Wisconsin in Milwaukee und seine Kollegen konnten nun erstmals mehr als nur Indizien für diese Vermutung präsentieren.

Die Forscher untersuchten dazu in Mäusen ein seit gut einem Jahrzehnt bekanntes Gen namens Nocturnin. Es kodiert für ein Protein, das auf den ersten Blick als einer der diszipliniertesten Schichtarbeiter im Körper auffällt: In Leberzellen, seinem Hauptarbeitsplatz, entsteht es tagsüber fast gar nicht, wird zu Beginn der Nacht dagegen plötzlich rund einhundertfach häufiger produziert – allabendlich ausgelöst durch einen Befehl des im Gehirn beheimateten zentralen Zeitgebers der Körpers, quasi der Inneren Hauptuhr.

Mäuse mit einer mutierten inneren Uhr bleiben schlank | Die beiden Mäuse sind gleichalt und waren für 20 Wochen auf einer sehr fetthaltigen Diät. Deutliche Spuren hinterließ das bei normalen Nagern. (Noc-/-)-Mäuse, bei denen das Nocturnin-Gen defekt war – welches zyklisch nach Maßgabe der inneren Uhr die Fettspeicherung ankurbelt – blieben dagegen schlank.
Was das Protein Nocturnin allerdings dezentral genau zu erledigen hat, blieb bislang unklar. Also schalteten Besharse und Co die Produktion des Eiweißes kurzerhand in einigen Mutantenmäusen ab und warteten auf die unvermeidlichen Folgen für die Nager. Diese waren allerdings zunächst nur in einer Ausnahmesituation zu erkennen und zudem unerwartet positiv: Mäuse ohne Nocturnin nehmen schlicht nicht so stark an Gewicht zu wie ihre unveränderten Artgenossen, wenn sie mit zu großen Mengen zu fettreicher Nahrung überversorgt werden. Zudem lagerten sich nur bei den nocturninhaltigen Normalmäusen überzählige Kalorien um die Leber als Fettpolster ab. Gleichzeitig hatten Mäuse mit funktionslosen Nocturnin-Genen aber an dem Ausfall nicht offensichtlich zu knabbern – sie aßen nicht etwa weniger, bewegten sich aber ebenso munter durch ihre Käfige und Parcours wie unmutierte Artgenossen.

Damit sind nun erstmals die Aufgaben eines Proteins an der zellulären Basis der chronobiologischen Befehlskette genauer bekannt: Nocturnin wird durch den zentralen Tag-Nacht-Rhythmus reguliert und greift lokal in den Fetthaushalt der Leber ein – und wahrscheinlich auch den der anderen Organe, in denen das Eiweiß ebenfalls in tageszeitlich schwankenden Mengen aktiv ist.

Der mutationsbedingter Ausfall von Nocturnin im eher unnatürlichen Laborversuch der Forscher aus Wisconsin schadet den Tieren deshalb nicht augenfällig, weil der steter Fettüberschuss die im natürlichen Normalfall sinnvolle Speicherung für Notzeiten ohnehin überflüssig macht – eine Situation, die im bisherigen Laufe der Evolution von der Natur wahrscheinlich gar nicht vorgesehen war.

Darüber, wie Nocturnin im Detail eingreift, können die Forscher bislang nur spekulieren. Einmal angekurbelt, arbeitet das Regulationsprotein offenbar als relativ unspezifische Adenylase – ein Zellwerkzeug, das Nukleotidketten wie die Boten-RNA anknabbert, die Bauanleitungen für Proteine. Dies reduziert die Lebenszeit der mRNA – und sorgt damit in letzter Konsequenz dafür, dass die in ihnen kodierten Eiweiße nicht länger gebildet werden. Unter Nocturnin-Einfluss werden also allabendlich die tagsüber in Leberzellen kursierenden Eiweißbaupläne vernichtet und damit schlagartig die Voraussetzung für andere Proteinproduktionsprioritäten gesetzt.

Für anwendungsfixierte medizinische Forscher ist diese Ergebnis nun etwas dünn: Zwar könnte man sich schon vorstellen, Mäuse einfach durch ein Nocturnin-Ausknipsen vor Fettlebern zu schützen – allerdings hätte es zugegeben denselben Effekt, wenn man sie schlicht nur normal ernähren würde, statt sie mit kolorienbombenreichem Überfluss zu mästen.

So bleibt das Ergebnis erstmal "nur" interessant, weil es die Bedeutung unterstreicht, weiter an den Zusammenhängen zwischen Chronobiologie und dem im Durchschnitt zunehmendem Übergewicht des Menschen zu forschen. Denn bestimmt, so die Forscher, trägt eben nicht nur falsche Ernährung zu dem immer schwerwiegenderen Fettleibigkeits-Problem der reichen Industrieländer bei: Irreguläre Tag-Nachtrhythmen und hektische Lebensweise könnten durchaus das regelmäßige Ticken der Inneren Uhr stören und uns dabei unter anderem auch anfälliger für die Folgen zu kalorienreicher Nahrung machen.

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