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Gezeitenkräfte zerreißen Sterne: Die mysteriösen Rülpser Schwarzer Löcher

Radioastronomen machten eine merkwürdige Entdeckung: Lange nachdem Schwarze Löcher einen Stern zerrissen und teilweise verzehrt hatten, konnte ein kosmisches Aufstoßen beobachtet werden.
Eine künstlerische Darstellung eines schwarzen Lochs im Weltraum. Das Bild zeigt ein schwarzes Loch in der Mitte, umgeben von leuchtenden, spiralförmigen Akkretionsscheiben in Blau- und Violetttönen. Ein heller Lichtstrahl erstreckt sich von der rechten Seite des schwarzen Lochs in den Weltraum. Im Hintergrund sind Sterne und kosmische Nebel zu sehen, die eine dynamische und farbenfrohe Weltraumszene schaffen.
Die Illustration zeigt ein Schwarzes Loch mit einer Akkretionsscheibe aus einfallender Materie.

Schwarze Löcher sind unsichtbar, aber sie gehören zu den hellsten Dingen im Universum. Wenn ein Stern zu nahe an ein Schwarzes Loch herankommt, wird er in einem Feuerwerk auseinandergerissen, das als Gezeitenzerriss bezeichnet wird. Während der Stern sich einem Schwarzen Loch nähert, wird er gedehnt und gezogen, und etwa die Hälfte von ihm wird schließlich nach außen geschleudert. Die andere Hälfte bildet eine frisbeeförmige Akkretionsscheibe um das Schwarze Loch selbst. Diese neu gebildete Scheibe ist nicht stabil: Das Material schwappt hin und her und trifft auf sich selbst, wodurch eine Lichtshow entsteht, die auch im Radiobereich nachweisbar ist.

Dies sind seltene Ereignisse: Wissenschaftler schätzen, dass das riesige Schwarze Loch im Zentrum unseres Milchstraßensystems etwa alle eine Million Jahre einen Stern verschlingt. Doch wenn es passiert, setzt es eine enorme Menge an Strahlung und Energie frei, die Millionen oder sogar Milliarden von Lichtjahren entfernt zu sehen ist.

Bis vor Kurzem dachten die Astronominnen und Astronomen, dass der verschluckte Stern nach dem ersten Festmahl nie wieder zu sehen sei. Die Beobachtungen der letzten fünf Jahre deuten jedoch auf das Gegenteil hin. In einer überraschenden, von der Theorie nicht vorhergesagten Wendung scheint es, als könnten Schwarze Löcher an Verdauungsstörungen leiden und noch Jahre nach dem Verschlucken der ursprünglichen Sterne Material ausspucken. Tatsächlich haben Wissenschaftler jetzt herausgefunden, dass bis zur Hälfte der Schwarzen Löcher, die Sterne verschlingen, Jahre nach ihrem Verschwinden wieder zu leuchten beginnen – das Äquivalent zu einem kosmischen Rülpser. Wir wissen, dass dieses Material nicht von jenseits des Ereignishorizonts zurückkommt; das ist unmöglich. Höchstwahrscheinlich schwappt es in einer Akkretionsscheibe außerhalb dieser Grenze umher. Aber die Erklärung, wie dieses Aufstoßen Schwarzer Löcher so spät entstehen kann, ist schwierig. Was ist da los? Die Lösung des Rätsels dieser Aufstöße enthüllt womöglich neue Geheimnisse über die Physik der extremsten Umgebungen im Universum.

Die meisten Galaxien von der Größe des Milchstraßensystems oder größer haben ein extrem massereiches Schwarzes Loch in ihrem Zentrum. Jedes dieser Schwarzen Löcher kann Millionen oder sogar Milliarden Mal massereicher sein als unsere Sonne. Ihr Ereignishorizont, der Punkt ohne Wiederkehr, kann sich über den Radius von Plutos Umlaufbahn um die Sonne hinaus erstrecken. Trotz dieser gigantischen Größe saugt ein Schwarzes Loch jedoch nicht wie ein Staubsauger Material an, genauso wenig, wie unsere Sonne die Planeten ansaugt. Würde unsere Sonne beispielsweise sofort durch ein Schwarzes Loch ersetzt, würde die Erde auf der gleichen Umlaufbahn bleiben wie immer. Was ein Schwarzes Loch so einzigartig macht, ist seine Kompaktheit. Innerhalb der Entfernung des Ereignishorizonts ist seine Anziehungskraft so stark, dass nichts entkommen kann.

Bei extrem massereichen Schwarzen Löchern bedeutet allein ihre Masse, dass sie eine extrem starke Anziehungskraft haben. Dies gilt für das Schwarze Loch Sagittarius A* (kurz: Sgr A*) in unserer Milchstraße, das sich von uns aus gesehen im Sternbild Schütze (lateinisch: Sagittarius) befindet. Es ist ungefähr 27 000 Lichtjahre von der Erde entfernt und etwa vier Millionen Mal so massereich wie die Sonne. Astronomen haben mehrere Dutzend einzelne Sterne, die sich auf stabilen Bahnen um Sgr A* bewegen, jahrzehntelang sorgfältig verfolgt. Doch die Fachleute glauben, dass es Tausende von Objekten gibt, die Sgr A* umkreisen und die wir nicht sehen können – viele von ihnen sind die Überreste toter Sterne, wie Neutronensterne oder Weiße Zwerge, die zu klein und zu leuchtschwach sind, um entdeckt zu werden. Wenn eines dieser unbekannten Objekte in der Nähe eines Sterns vorbeifliegt, könnte es dessen Umlaufbahn stören und ihn auf Kollisionskurs mit Sgr A* schicken.

Es scheint, als könnten Schwarze Löcher an Verdauungsstörungen leiden und noch Jahre nach dem Verschlucken eines Sterns Material ausspucken

Lange bevor er den Ereignishorizont erreicht, wird der zum Untergang geweihte Stern den Gezeitenkräften des Schwarzen Lochs ausgesetzt sein. Die Schwerkraft wird umso stärker, je näher man sich einem massereichen Objekt nähert, sodass die Seite des Sterns, die sich näher am Schwarzen Loch befindet, stärkere Gravitationskräfte spürt als die entfernte Seite. Der Stern beginnt sich zu dehnen; und schließlich, an einer Grenze, die als Gezeitenradius bezeichnet wird, wird der Unterschied in der Anziehungskraft zwischen den beiden Seiten des Sterns größer sein als die eigene Gravitationskraft, die den Stern zusammenhält. Der Stern wird sich entlang seiner Bewegungsrichtung in einem Prozess auflösen, der als Spaghettifizierung bezeichnet wird. Er verwandelt sich zunächst von einer Kugel in ein Oval und wird dann zu einem langen Materiestrang, der einer dünnen Nudel ähnelt. Wenn die Dichte des Sterns abnimmt, hört die innere Fusion auf, und ein Stern, der Milliarden von Jahren gebrannt haben könnte, zerfällt in nur wenigen Stunden. Die Hälfte des Materials wird sofort nach außen geschleudert und kehrt nie wieder zurück, während der Rest eine neue Akkretionsscheibe bildet, die um das Schwarze Loch herumschwappt. Wenn dies geschieht, erzeugt die rasche Umwandlung der Masse in eine Akkretionsscheibe einen sehr hellen Lichtblitz, normalerweise bei optischen Wellenlängen.

Die ersten Kandidaten für den Gezeitenzerriss eines Sterns wurden in den 1990er Jahren entdeckt, und die Astronomen haben inzwischen etwa 100 solcher Ereignisse beobachtet. Das Aufbrechen eines Sterns erzeugt einen Flare, der aus Millionen von Lichtjahren Entfernung sichtbar ist und auf den ersten Blick einem explodierenden Stern ähnelt. Es gibt jedoch ein paar entscheidende Unterschiede: Erstens ereignet sich ein Gezeitenzerriss im Zentrum einer Galaxie, wo extrem massereiche Schwarze Löcher lauern, während Supernovae überall auftreten können. Zweitens weist die Strahlung aus der Umgebung eines Schwarzen Lochs ein Spektrum auf, das sich von dem eines sterbenden Sterns unterscheidet. Astronomen können die Lichtsignatur eines Wasserstoffüberschusses erkennen, weil der Stern wahrscheinlich über reichlich übrig gebliebenen Brennstoff verfügt, der nie verbraucht wurde, was bedeutet, dass der Stern nicht eines natürlichen Todes gestorben ist.

Wir entdecken etwa ein Dutzend neuer Gezeitenzerrissereignisse pro Jahr. Solche Eruptionen ereignen sich in der Nähe von Schwarzen Löchern, die sonst nicht viel fressen. Damit unterscheiden sie sich von Schwarzen Löchern, die wir als aktive Galaxienkerne bezeichnen. Diese veranstalten jahrelange Fressorgien, indem sie über lange Zeiträume große Mengen an Gas aufnehmen und dabei kontinuierlich Strahlung aussenden. Derartige Fressorgien sind äußerst chaotisch und spielen sich in einem zufälligen Tempo ab. Im Vergleich dazu sind Gezeitenzerrisse relativ kontrollierte Ereignisse, bei denen wir beobachten können, was passiert, wenn ein kleines Stück sehr dichter Materie auf einmal in das Schwarze Loch geschleudert wird.

Wenn jemand eine neue Akkretionsscheibe entdeckt, schwenken Radioastronomen wie ich unsere Teleskope, um nach den Emissionen der Masse und der Energie zu suchen, die von der neu gebildeten Akkretionsscheibe nach außen strömen. Wir suchen auch nach Radioemissionen, die dort vorhanden sind, wo vorher keine waren. Die Radiowellen stammen von Elektronen, die sich in den Magnetfeldern bewegen, die in diesen Ausströmungen entstehen. Sie vermitteln uns ein physikalisches Bild, das bei anderen Wellenlängen nicht möglich ist. Wir können die Geschwindigkeit des entweichenden Materials, die Energie des Ausbruchs, die Stärke der Magnetfelder und sogar die Dichte von Gas und Staub, durch die der Ausfluss pflügt, feststellen. Außerdem können die Ausströmungen, sobald sie die neu gebildete Akkretionsscheibe verlassen, mehrere Lichtjahre weit reisen, bevor sie verschwinden. Die Beobachtung dieser Ausströmungen bietet den Astronomen eine einzigartige Möglichkeit, die Umgebung eines zuvor ruhenden extrem massereichen Schwarzen Lochs auf einer detaillierten Ebene zu untersuchen, die mit anderen Methoden nicht möglich ist.

Tod durch Schwarzes Loch | Wenn ein Stern in ein Schwarzes Loch fällt, geschehen merkwürdige Dinge. Zunächst wird der Stern immer mehr in die Länge gezogen, bis er dünner und dünner wird, weil die Seite, die näher am Schwarzer Loch ist, einer stärkeren Gravitation ausgesetzt ist. Schließlich ähnelt der Stern einer langen Spaghetti. Wenn der spaghettifizierte Stern sich weiter annähert, verdrillt er sich um das Schwarzen Loch und wird zu einer flachen Akkretionsscheibe. Reibung in der Scheibe sorgt dafür, dass Strahlung und Energie in die Weiten des Universums abgestrahlt werden.

Etwa 99 Prozent der Masse, die ein Gezeitenzerriss eines Sterns freisetzt, wird als nichtrelativistisch bezeichnet – sie bewegt sich mit zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit oder weniger. Das verbleibende eine Prozent verhält sich ganz anders. In diesen Fällen wird Material aus einem zerfetzten Stern in einen Strahl geschleudert, der mit nahezu Lichtgeschwindigkeit ausgestoßen wird. Dies ist so schnell, dass die Gesetze der Relativitätstheorie bei der Untersuchung berücksichtigt werden müssen. Man spricht von einem relativistischen Ausfluss.

Der erste bekannte relativistische Gezeitenzerriss mit der Bezeichnung Swift J1644+57 wurde im Jahr 2011 entdeckt, als das Neil Gehrels Swift Observatory der NASA einen seltsamen Strahlungsausbruch aus dem Zentrum einer 3,8 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie entdeckte. Nach anderthalb Jahren gleichmäßiger Emission schaltete sich der Jet in Swift J1644+57 abrupt ab, vermutlich als das Material des Sterns, der den Jet speiste, größtenteils verbraucht war und die Akkretionsrate – die Menge an Masse, die das Schwarze Loch in einer bestimmten Zeit verschlingt – unter einen kritischen Wert sank. Vor dieser Entdeckung hatte niemand erwartet, dass diese Ereignisse, die Schwarze Löcher speisen, in der Lage sind, relativistische Jets auszulösen, geschweige denn, dass sie sich in einem so kurzen Zeitraum ein- und ausschalten. Wie und warum sie genau entstehen, ist nicht vollständig geklärt.

Die Astronomen und Astronominnen nahmen auch an, das Lichtmuster aller Gezeitenzerrisse entspräche diesem Muster – ein Aufflackern für einige Monate, gefolgt von einer Pause. Nachdem sie dunkel geworden sind, hören wir normalerweise auf zu suchen. Schließlich ist die Zeit eines Radioteleskops eine kostbare Ressource. Warum sollte man wertvolle Zeit damit verschwenden, einen Ausbruch Jahre nach seinem Auftreten zu beobachten? Das war eine vernünftige Annahme. Allerdings stellte sich heraus, dass sie falsch war. Sie hat mich jedoch dazu gebracht, die Entdeckung meines Lebens zu machen.

Der Jet eines Schwarzen Lochs | In den Zentren der meisten Galaxien befindet sich ein extrem massereiches Schwarzes Loch (Illustration). Dieses ist von einer strahlend hellen Akkretionsscheibe aus sehr heißer, einfallender Materie und einem Staubtorus weiter außen umgeben. Häufig sind auch Hochgeschwindigkeitsjets vorhanden, die Material von den Polen des Schwarzen Lochs ausstoßen und sich über riesige Entfernungen in den Weltraum erstrecken.

Ich beschloss, Astronomin zu werden, als ich 13 Jahre alt war und ein Buch über den Weltraum las. Ich habe schon immer Geschichten geliebt, und die Geschichte des Universums ist die größte und großartigste, die wir haben. Dank Carl Sagans Roman »Contact« von 1985, in dem die Heldin Ellie Arroway das Very Large Array (VLA) in New Mexico nutzt, um eine außerirdische Botschaft zu entdecken, beschloss ich in der Highschool, Radioastronomin zu werden. Ich fing in diesem Bereich zu arbeiten an und habe nie wieder damit aufgehört, denn die Radioastronomie ist wie Magie: Sie ermöglicht es uns, die schwächsten Signale herauszufiltern, indem wir Antennen von der Größe von Gebäuden miteinander verbinden, die eine Geschichte erzählen, die man sonst nicht hören kann. Meine Karriere als Radioastronomin war voller Abenteuer, aber keines war so besonders wie die Entdeckung von AT2018hyz, meinem ersten rülpsenden Schwarzen Loch.

Alles begann an einem hellen Herbsttag im Jahr 2021 in Cambridge, Massachusetts. Ich war Postdoc am Center for Astrophysics an der Harvard University und arbeitete an Daten des VLA, für die sonst niemand Zeit hatte, sie sich anzusehen. Einige Monate zuvor hatte ein anderes Team einen Gezeitenzerriss mit dem Namen ASASSN-15oi im Bereich der Radiowellen entdeckt, mehr als 100 Tage nachdem sie zum ersten Mal im sichtbaren Licht gesehen worden war, obwohl zu früheren Zeitpunkten keine Radionachweise erbracht wurden. Die meisten Leute nahmen an, das Aufflackern sei das Ergebnis eines ungewöhnlichen Umstands, der diesem Objekt oder seiner Umgebung eigen war. Doch ich dachte, es könnte nicht schaden, eine Untersuchung mit dem VLA durchzuführen und zu sehen, ob andere Schwarze Löcher ein wiederholtes Aufflackern zeigten.

Das VLA sammelt Radiowellen von 27 Antennen, und diese Daten müssen dann zu einem Radiobild kombiniert werden. Wenn wir eine kosmische Radioquelle sehen, erscheint sie als eine Ansammlung von Pixeln in einem Meer von Schwarz. Wenn da draußen nichts ist, sehen wir nur ein Rauschmuster. An diesem schicksalhaften Tag öffnete ich ein Bild eines Gezeitenzerrisses namens AT2018hyz, der im Jahr 2018 im Optischen entdeckt worden war. Als ich auf den Bildschirm schaute, hielt ich einen Moment verwirrt inne, bevor ich mich manuell vergewisserte, dass die Koordinaten korrekt waren. An der Stelle, an der ich Rauschen erwartet hatte (was alles ist, was man bis dahin in dieser Region des Weltraums mit Radiowellen gesehen hatte), war eine unverkennbar helle Quelle zu sehen – und das, obwohl sie rund 665 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt war. Sie hatte sich ganz eindeutig und ohne viel Aufhebens »eingeschaltet«.

Very Large Array | Das Very Large Array ist eine aus 27 Radioteleskopen bestehende Anlage im US-Bundesstaat New Mexico. Sie ist seit 1980 in Betrieb und ermöglicht die elektronische Kombination der mit den einzelnen Antennen empfangenen Signale – und so eine Bestimmung der Position der Strahlungsquelle am Himmel.

Ich wandte mich an meine Kollegen, die alle genauso begeistert waren wie ich, und fand ein Radiobild, das nur neun Monate zuvor von demselben Himmelsausschnitt aufgenommen worden war. Dort war nichts als Rauschen zu sehen, was darauf hindeutete, dass die Radioemission von AT2018hyz in bloß wenigen Monaten rapide angestiegen war. Niemand hatte so etwas in der Geschichte der Astronomie je zuvor gesehen.

Etwa zu der Zeit, als die ersten Beobachtungen eintrafen, ging ich nach Hause und erzählte meinem Mann von der Entdeckung. »Das Problem ist, dass AT2018hyz nicht wirklich leicht von der Zunge geht«, sagte ich zu ihm, »und es ist ziemlich offensichtlich, dass wir noch eine Weile darüber reden werden. Willst du ihm einen Namen geben?« Mein Mann hielt inne und nahm den richtigen Ton von Ernsthaftigkeit und nüchterner Würde an, den man haben sollte, wenn einem die Ehefrau die Namensrechte für ein Schwarzes Loch anbietet. »Jetty McJetface«, sagte er bestimmt. Es ist nicht offiziell, aber von da an wurde AT2018hyz bei uns zu Hause »Jetty« genannt.

In gewisser Weise war das Bemerkenswerteste an Jetty, dass sich herausstellte, dass er nicht allein war. Als ich die Daten der gesamten Beobachtungskampagne ausgewertet hatte, hatte ich mehrere neue Entdeckungen im Radiobereich von jahrealten Gezeitenzerrissen, die alle zunächst aufgespürt, dann abgeschaltet worden waren und nun wieder aufleuchteten. Es schien, dass Schwarze Löcher, nachdem sie Sterne verschlungen haben, nach einigen Jahren einen Verdauungsanfall erleiden und »rülpsen«. Dies war aus mehreren Gründen überraschend. Zum einen ist die Zeitspanne von einigen Jahren für ein Wiederaufleuchten ungewöhnlich. Man kehrt ja auch nicht Jahre nach einer Bombenexplosion an den Ort des Geschehens zurück und erwartet, dass neue Trümmer freigesetzt werden. Zum anderen glauben wir nicht, dass das Schwarze Loch einfach angefangen hat, an einem neuen Stern zu knabbern – wenn das der Fall wäre, würden wir auch optische Strahlungsemission sehen, aber das tun wir nicht.

Letztlich haben mein Team und ich etwa zwei Dutzend Schwarze Löcher untersucht, die alle zuerst im Optischen entdeckt und bestätigt wurden. Aufgrund dieser Funde wussten wir genau, wann der erste Ausbruch stattgefunden hatte. Alle diese Schwarzen Löcher wurden in den Jahren dazwischen mit Radiowellen vermessen und waren dunkel. Unter diesen entdeckten wir zehn rülpsende Schwarze Löcher, die im Radiowellenbereich wieder aufleuchteten. Was auch immer geschieht, es kommt häufig vor. Und es öffnet uns die Augen für ein neues Phänomen, das wir nutzen können, um die Physik der Schwarzen Löcher zu testen.

Wir leben in einem Universum, in dem auf großen Skalen kosmische Zerstörung in oft schwer begreiflichen Distanzen stattfindet

Wir haben noch viele offene Fragen, aber das wissen wir bisher: Erstens ist die Annahme falsch, dass Gezeitenzerrisse vor allem in den ersten Monaten Strahlung und Energie freisetzen. Obwohl wir beim ersten Zerriss immer sichtbares Licht beobachten, treten laut unseren Daten mindestens 1000 Tage danach am häufigsten Radioemissionen auf. Einige Schwarze Löcher scheinen sogar eine zweite Flut von Radiowellen freizusetzen – eine relativ zeitnah und eine weitere Hunderte von Tagen, nachdem die erste abgeklungen ist. Es scheint keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt zu geben, an dem das Schwarze Loch beginnt, im Radiobereich zu leuchten, und dem Zeitpunkt, an dem es in anderen Wellenlängen emittiert. Die Radioemission wird nicht von einem optischen Aufflackern begleitet, das anzeigen würde, dass ein zweiter Stern zermahlen wurde, oder von Röntgenstrahlung, die auf eine signifikante Änderung der Masse hinwiese, die das Schwarze Loch akkretiert.

Schließlich sagen uns die bisher gesammelten Radiodaten, dass diese verzögerten Rülpser wie relativ normale, nichtrelativistische Ausströmungen von Gezeitenzerrissen aussehen – sie treten nur viel später auf, als wir erwarten würden. Die Dichte des Gases, die wir in ihrer Umgebung messen, ähnelt auch derjenigen in unserer eigenen Galaxis. Mit anderen Worten: Es gibt nichts Besonderes in der Umgebung der Schwarzen Löcher.

Nun stellt sich natürlich die Eine-Million-Dollar-Frage. Warum rülpsen Schwarze Löcher? Es scheint, als ob sie Masse verschlingen, eine Pause einlegen und dann etwas ausspucken. Um es klar zu sagen: Wir sehen nicht, wie Material aus dem Ereignishorizont des Schwarzen Lochs entweicht. Das wäre physikalisch unmöglich, und wir haben keinerlei Hinweise darauf, dass dies geschieht. Stattdessen denken wir, dass etwas in der Akkretionsscheibe oder jenseits davon passiert. Vielleicht, so vermuten Astrophysiker, bildet sich die Akkretionsscheibe viel später als bisher angenommen. Oder die Schwarzen Löcher erzeugen ungewöhnliche Dichteschwankungen in ihrer Umgebung. Die Ausbrüche könnten durch wechselwirkende Staubwolken verursacht werden, oder vielleicht verzögert ein Kokon aus Material um das Schwarze Loch den Fluss der Radioemission bis zu einem späteren Zeitpunkt. Derzeit ist unklar, welche Theorie richtig ist.

Die Ausnahme von all dem ist jedoch Jetty (oder AT2018hyz). Obwohl andere Rülpser eines Schwarzen Lochs gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, stellt Jetty sie alle buchstäblich in den Schatten. Seine Helligkeit hat seit meiner ersten Entdeckung weiter zugenommen und ist jetzt etwa 40-mal so hell wie bei seiner Entdeckung. Wir sind uns immer noch nicht sicher, was die Ursache dafür ist, doch es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste ist, dass Jetty zirka zwei Jahre nach dem Verzehr eines Sterns »rülpst« und dabei einen Ausfluss freisetzt, der sich mit etwa einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit bewegt. Das wäre der erste leicht relativistische Ausfluss, von dem wir wissen, irgendwo in der Mitte zwischen der nichtrelativistischen und der annähernden Lichtgeschwindigkeit.

Die zweite Möglichkeit ist eventuell noch unglaublicher. Vielleicht wurde beim ursprünglichen Gezeitenzerriss im Oktober 2018 ein relativistischer Materialstrahl in einem Winkel von fast 90 Grad zur Erde ausgestoßen. Dieser Strahl wäre einer der energiereichsten, die wir je gesehen haben. Zu Beginn wäre er aufgrund seiner Richtung für uns unsichtbar, aber mit der Zeit würde der Strahl sich verbreitern und in unsere Sichtlinie gelangen. Das könnte das sein, was wir jetzt, Jahre später, sehen. Wie energiereich und hell er sein wird, können wir erst wissen, wenn wir ihn sehen.

Ikonisches Radiobild | Im April 2019 wurde das erste Bild eines Schwarzen Lochs veröffentlicht, welches das Event Horizon Telescope im Bereich der Radiowellen aufgenommen hatte. Es zeigt einen dunklen »Schatten« innerhalb einer Akkretionsscheibe aus glühendem Gas. Die Aufnahme war erst möglich, nachdem mehrere Radioteleskope über Kontinente hinweg miteinander gekoppelt wurden und so die nötige Auflösung erreicht werden konnte.

Um zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu unterscheiden, untersuchen meine Mitarbeiter und ich Jetty mit einer anderen Methode, der sogenannten Very Long Baseline Interferometry (VLBI). Mit VLBI verbinden wir über Nordamerika und Europa verteilte Radioteleskope miteinander, um ein virtuelles Radioteleskop zu schaffen, das ungefähr so groß ist wie die Entfernung zwischen Deutschland und Hawaii. Vermutlich hat dieses kombinierte Teleskop eine ausreichend große räumliche Auflösung, um das Material, das aus dem Schwarzen Loch herausfliegt, direkt zu sehen, obwohl wir Hunderte von Millionen Lichtjahren entfernt sind. Die ersten Beobachtungen liegen vor, aber die Analyse der Daten über so große Entfernungen ist schwierig. Wir hoffen, bald eine Antwort zu haben.

Wir hoffen auch, unsere Sammlung bekannter Gezeitenzerrissereignisse zu erweitern, um nach Rülpsern Ausschau zu halten. Das Vera C. Rubin Observatory, das im Jahr 2025 in Betrieb genommen wurde, ist ein Teleskop mit einem Durchmesser von 8,4 Metern, das in Chile steht und jede Nacht den gesamten Nachthimmel überwacht. Rubin wird voraussichtlich Millionen neuer Objekte finden, von Supernovae bis hin zu Asteroiden, und soll jährlich etwa 1000 neue Schwarze Löcher aufspüren, die sich einen Snack einverleiben. Außerdem wird im Jahr 2027 das Nancy Grace Roman Space Telescope in Betrieb genommen. Dieses Teleskop soll Bilder von ähnlicher Schärfe wie das Weltraumteleskop Hubble liefern, jedoch mit einem 100-fach größeren Gesichtsfeld. Wir erwarten, dass es jährlich Hunderte weiterer Gezeitenzerrisse von Sternen entdecken wird. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bisher nur vergleichsweise wenige neue Objekten entdeckten, dürfte diese Flut an neuen Daten aufregend und herausfordernd sein.

Wir leben in einem Universum, in dem auf großen Skalen kosmische Zerstörung in oft schwer begreiflichen Distanzen stattfindet. Doch Schwarze Löcher werden weiterhin schlemmen und rülpsen – und meine Kollegen und ich werden sie dabei beobachten.

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  • Quellen

Cenko, S. B., Gehrels, N.: Shredded stars offer new view of supermassive black holes. Scientific American, 2017
Choi, C. Q. et al.: Supermassive black hole belches X-rays from shredded star. Scientific American, 2016
Lee, G., Billing, L.: This supermassive black hole may harbor a bizarre star that refuses to die. Scientific American, 2025
Plait, P., Billing, L.: How can you ‘see’ a black hole?. Scientific American, 2024

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