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Immunsystem: 5 Fragen zur Immunität

Wer eine Covid-19-Erkrankung durchgemacht hat, sollte gegen das neue Coronavirus immun sein. Oder vielleicht doch nicht? Fünf Fragen und Antworten zur Immunität.
Immunität

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn denkt über einen Immunitätsausweis nach. Ähnlich wie in einem Impfpass soll darin dokumentiert werden, ob die betreffende Person schützende Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut, eine Covid-19-Erkrankung also überstanden hat. Spahn legt seine Idee nun dem Deutschen Ethikrat zur Prüfung vor. Aber was genau ist eigentlich die Immunität? »Spektrum.de« liefert Antworten auf fünf Fragen zur Immunität.

Was heißt es, immun gegenüber einem Krankheitserreger zu sein?

Vor gut 2400 Jahren brach in Athen eine Seuche aus. Die Stadt war wegen des Peloponnesischen Kriegs voller Flüchtlinge, Tausende starben an der geheimnisvollen Krankheit. »Am meisten hatten immer noch die Geretteten Mitleid mit den Sterbenden und Leidenden, weil sie alles vorauswussten und selbst nichts mehr zu fürchten hatten; denn zweimal packte es denselben nicht, wenigstens nicht tödlich«, schreibt der griechische Historiker Thukydides im 5. Jahrhundert v. Chr. über die Seuche. Schon die Zeitgenossen von Thukydides hätten also gewusst, was Immunität bedeutet, sagt Thomas Kamradt vom Institut für Immunologie am Universitätsklinikum Jena und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie.

Welche Vorgänge den Körper widerstandsfähig machen, wussten die antiken Ärzte allerdings noch nicht. »Immun zu sein bedeutet, nach einer Infektion oder einer Impfung geschützt zu sein gegenüber dem jeweiligen Krankheitserreger«, sagt Kamradt. Grundlage hierfür ist das immunologische Gedächtnis. Es bildet sich während einer akuten Infektion, wenn die Immunzellen die Viren oder Bakterien eindämmen und die Symptome langsam abklingen.

Das Immungedächtnis wird hauptsächlich getragen von so genannten Gedächtnis-B- und Gedächtnis-T-Zellen, die bei einem erneuten Kontakt mit dem Krankheitserreger rasch aktiv werden können. B-Zellen schütten dann Antikörper aus, T-Zellen töten virusinfizierte Zellen ab. Die Gedächtniszellen zirkulieren im Blut oder haben sich in den Lymphknoten oder anderen Körpergeweben niedergelassen. Nach der Auseinandersetzung mit manchen (nicht allen) Krankheitserregern ziehen sich außerdem von den B-Zellen abstammende, extrem langlebige Plasmazellen in das Knochenmark zurück. Von dort aus setzen sie jahrzehntelang Antikörper frei, die gegen die bereits da gewesenen Viren oder Bakterien gerichtet sind und deren erneute Ausbreitung im Körper verhindern.

Wie lange ist man nach einer Infektion mit Viren immun?

Wie lange eine Immunität nach einer überstandenen Virusinfektion anhält, ist von Erreger zu Erreger unterschiedlich. Einmal immun, immer immun, gilt bloß für manche Krankheiten. »Windpocken, Masern oder Röteln bekommen die meisten Menschen nur einmal; nach dem Kontakt zu den Viren, die diese typischen Kinderkrankheiten auslösen, ist man typischerweise sein Leben lang immun«, sagt Kamradt.

Vor zwölf Jahren entdeckten US-Forscher der Vanderbilt University bei alten Menschen, die die Spanische Grippe überlebt hatten, schützende Antikörper gegen das Influenza-Virus H1N1, das gegen Ende des Ersten Weltkriegs grassierte. 90 Jahre hatten die langlebigen Gedächtniszellen im Körper dieser Frauen und Männer überdauert. Sollte das (sich ständig verändernde) Virus noch einmal in dieser Form auftauchen, wären sie vor einer Infektion geschützt.

Viele der klassischen Erkältungsviren hinterlassen keinen so bleibenden Eindruck im Gedächtnis der Immunabwehr wie die Grippeviren. Nach einem Schnupfen, der etwa durch einen der rund 160 verschiedenen Rhinoviren-Typen ausgelöst wird, ist man zwar für eine kurze Zeitspanne geschützt. Doch schon nach ein bis zwei Jahren nimmt die Menge der neutralisierenden Antikörper gegen diesen Virustyp langsam ab. Daher kann es einen ein paar Jahre später wieder erwischen.

Vier der vor 55 Jahren erstmals auch beim Menschen entdeckten Coronaviren rufen milde Erkrankungen der oberen Atemwege hervor. Zwei von ihnen (HCoV-OC43 und HCoV-HKU1) gelten sogar als die zweithäufigste Ursache von Schnupfen. Neutralisierende Antikörper gegen diese Viren tauchen zwar bei einem Infekt auf, doch auch sie werden im Blut schon nach kurzer Zeit deutlich weniger. Bereits nach einem Jahr konnten beispielsweise die 15 Teilnehmer einer älteren britischen Studie, die sich freiwillig dem Erkältungscoronavirus HCoV-229E ausgesetzt hatten, ein zweites Mal infiziert werden.

Von was hängt die Dauer der Immunität ab?

»Wir verstehen noch nicht ausreichend, warum nach manchen Infektionen eine lebenslange Immunität entsteht und bei anderen eine wesentlich kürzere«, sagt Thomas Kamradt. Wahrscheinlich sei das gesamte Setting einer Infektion ausschlaggebend: welche Zellen die jeweiligen Erreger infizieren, welche immunologischen Botenstoffe ausgeschüttet werden und ob beziehungsweise über welche Mechanismen die Eindringlinge verfügen, um der Immunabwehr aktiv zu entkommen. »Wir wissen bislang nicht, warum sich in manchen Fällen langlebige Plasmazellen im Knochenmark niederlassen, ein anderes Mal dagegen nicht«, sagt Kamradt.

Eine Ursache könnte in der Intensität der Abwehrreaktion liegen. Wie tief die Immunzellen bei der Abwehr eines Infekts »einsteigen«, lässt sich aus der Heftigkeit der Symptome ablesen. Je höher das Fieber, je stärker der Husten, desto intensiver setzt sich das Immunsystem mit dem Erreger auseinander und desto stärker prägt sich womöglich auch das Immungedächtnis aus.

Klar ist hingegen, dass die Immunabwehr eines Menschen mit zunehmendem Alter schlechter funktioniert. Sie kann nicht mehr so gut auf neue Herausforderungen reagieren und sich immer weniger gut an Viren oder Bakterien erinnern. Das macht sich auch in der Impfung bemerkbar: Grippeimpfstoffe etwa wirken bei alten Menschen meist nicht mehr so gut wie bei jüngeren.

Besonders nachhaltig funktioniert das immunologische Gedächtnis anscheinend, wenn der Organismus bereits in jungen Jahren mit dem Erreger konfrontiert wird. Die höchsten Antikörperkonzentrationen gegen Grippeviren fanden US-Forscher in einer Studie bei Menschen, die sich schon als Kinder mit diesem Virustyp angesteckt hatten.

Wird es eine Immunität gegen das neue Sars-CoV-2 geben?

»Diejenigen Personen, die eine Infektion mit Sars-CoV-2 hinter sich haben, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit – zumindest vorübergehend – vor einer erneuten symptomatischen Infektion geschützt«, formuliert es Thomas Kamradt sehr vorsichtig. Trotz weltweit mehr als drei Millionen Infizierter seien bisher keine Fälle bekannt geworden, wo sich Menschen ein zweites Mal mit Sars-CoV-2 angesteckt hätten. Das seien schon einmal gute Hinweise, so der Immunologe.

Für eine zumindest vorübergehende Immunität spricht auch eine Studie chinesischer Wissenschaftler, die vier Rhesusaffen experimentell mit dem neuen Coronavirus infizierten. Die Affen entwickelten Antikörper gegen das Virus und ließen sich unter den Versuchsbedingungen kein zweites Mal anstecken.

Bei der Mehrzahl der Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind, sind nach der Infektion Antikörper nachweisbar, die das Virus sehr wahrscheinlich bei einer erneuten Infektion unschädlich machen. Unklar ist, wie lange die Antikörper im Blut vorhanden sind. Zudem weisen einige Infizierte nur sehr geringe Antikörperkonzentrationen im Blut auf, einzelne haben gar keine nachweisbaren Antikörper. Demnach spielt offenbar auch die auf T-Zellen basierende zelluläre Immunantwort eine wichtige Rolle, um die Krankheit zu überwinden.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Einige Hinweise liefern die Erfahrungen mit dem Virus Sars-CoV-1, dessen zugehörige Erkrankung unter der Abkürzung Sars bekannt ist. In den Jahren 2002 und 2003 führte Sars der Menschheit zum ersten Mal vor Augen, welche Bedrohung von neuen, bisher als harmlosen Erkältungsviren bekannten Coronaviren ausgehen könnte. Zwar berichten chinesische Forscher von infiziertem Krankenhausmitarbeitern, in deren Blut sie bis zwölf Jahre nach der Sars-Erkrankung noch Antikörper gegen Sars-CoV nachweisen konnten. Bei fast allen Untersuchungen an SARS-Überlebenden zeigt sich allerdings, dass die Antikörpermengen bereits ein bis zwei Jahre nach der Infektion stark absinken und vermutlich schon – mit individuellen Unterschieden – ab drei Jahre danach nicht mehr vor einer erneuten Ansteckung schützen.

Daher gilt: Bisher weiß man nicht, was eine erfolgreiche Immunabwehr gegen Sars-CoV-2 ausmacht. Genauso wenig ist bekannt, welches »Muster« an Immunaktivität eine leichte beziehungsweise eine schwere Covid-19-Erkrankung begleitet und wie sich das auf die künftige Immunität gegen den Erreger auswirkt. Die Ergebnisse zu Covid-19 sind zum Teil noch widersprüchlich. In manchen Fällen finden sich bei Personen mit milden Symptomen niedrige Antikörperspiegel, in anderen Fällen haben dagegen Menschen, die schwer an Covid-19 erkrankt sind, nur wenige Antikörper im Blut. Ein allgemeines Problem bei den bislang durchgeführten Studien ist, dass überwiegend Daten von Personen ausgewertet wurden, die wegen der Schwere der Erkrankung im Krankenhaus waren.

Was bedeuten diese Unsicherheiten für die Entwicklung eines Impfstoffs?

Auch ohne das genaue Wissen darüber, wie eine schützende Immunantwort gegen Sars-CoV-2 aussieht, sei die Entwicklung eines erfolgreichen Impfstoffs jetzt schon möglich, meint Kamradt. Wichtig sei, dass der Impfstoff die Produktion von Antikörpern gegen das Spike-Protein der Viren auslöst. Dieses Eiweißmolekül befindet sich auf der Oberfläche der Viren, und sie dringen damit in die Zellen im Körper ein. Selbst wenn es für einen effektiven Immunschutz vermutlich auch T-Zellen braucht, würde solch ein Impfstoff vermutlich einen gewissen Schutz bieten.

Aktuell werden in mehr als 100 Studien viele verschiedene Impfansätze geprüft. »Man geht einfach empirisch vor und schaut, wo sich der größte Erfolg zeigt«, sagt Kamradt. Überstürzt werden dürfe jedoch nichts. Bei den Impfstofftests gegen Sars oder Mers habe es im Tiermodell zum Teil immunpathologische Nebenwirkungen gegeben hatte. Wayne Koff, der Präsident des in New York ansässigen Human Vaccine Project, teilt diese Sorge. Man müsse sorgsam vorgehen und die Impfstoffkandidaten zur Abklärung der Sicherheit nicht nur bei 50, sondern 4000 oder mehr gesunden Testpersonen prüfen, sagt er in einem Gespräch mit dem Molekularbiologen Robert Bazell für das Wissenschaftsmagazin »Nautilus«. Sichergestellt werden müsste zum Beispiel, dass der Impfstoff nicht wie das Virus bedrohliche Gerinnungsstörungen verursacht.

Auf Grund der vielen Unsicherheitsfaktoren ist eine zuverlässige Prognose, wann es einen Impfstoff geben wird, momentan also schwierig. Es kann sogar sein, dass die Entwicklung ganz scheitert. Allerdings sind die meisten Experten zuversichtlich, dass einer der zahlreichen Ansätze in absehbarer Zeit zu einer funktionierenden Impfung führen wird.

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