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Die großen Fragen der Wissenschaft: Gibt es Gott, Heino Falcke?

Mit dem ersten Bild von einem Schwarzen Loch schrieb Heino Falcke Wissenschaftsgeschichte. Der Astrophysiker horcht mit seinen Instrumenten bis nahe an den Urknall heran – und glaubt an ein tieferes Geheimnis dahinter. Im Interview verrät er, warum.
Eine Hand streckt sich in Richtung eines leuchtenden, kreisförmigen Lichts in einem dunklen, blauen Hintergrund. Um den Kreis herum sind helle, funkelnde Punkte verteilt, die an Sterne erinnern. Die Szene vermittelt ein Gefühl von Technologie und Magie.
Wir können mit naturwissenschaftlichen Gleichungen nicht erfassen, wie aus dem Nichts, aus einem zeitlosen Zustand, plötzlich ein Etwas wird. Für viele Menschen ist dieser Ursprung ein Schöpfergott, der das Universum und alles, was darin existiert, erschaffen hat.

Herr Falcke, als Astronom sind Sie gewissermaßen ein moderner Sterndeuter. Was hat es mit dem Weihnachtsstern in der Bibel auf sich – gab’s den wirklich?

Ich habe mir die Frage auch viele Jahre lang gestellt. Es scheint mir am wahrscheinlichsten, dass es sich dabei um eine Konjunktion von Jupiter und Saturn gehandelt hat. Das bedeutet, dass die beiden Planeten sehr nahbeieinanderstanden. Besonders beeindruckend finde ich ja, dass die Sterndeuter in der Antike nicht bloß in den Himmel geschaut und Horoskope gestellt haben – nein, sie konnten den Lauf der Sterne und Planeten schon berechnen und Dinge sehen, die man mit bloßem Auge nicht sehen konnte.

Für die Menschen vor 2000 Jahren war es kein Problem, Wissenschaft zu betreiben und gleichzeitig an Gott oder an eine höhere Macht zu glauben. Heute wird das eher kritisch beäugt. Sie aber sind Astrophysiker und Laienprediger in der evangelischen Kirche. Wie passt das zusammen?

Für mich passt das sehr gutzusammen. Tatsächlich ist die Astronomie ja ursprünglich genau so entstanden: Die Planeten und ihre Bewegungen waren Zeichen der Götter, erst mit der biblischen Genesis wurden sie zu reinen Lichtern. Durch die gesamte Wissenschaftsgeschichte hindurch sehen wir, dass Menschen sich mit der Frage nach Gott beschäftigt haben. Kopernikus, Galileo und Kepler – drei große Wissenschaftler, die unser heute geltendes Weltbild entscheidend geprägt haben – waren tief gläubig. Selbst Max Planck, der Begründer der Quantenphysik, war im Kirchenvorstand und hat Bücher über spirituelle Fragen geschrieben. Die Frage nach der Existenz Gottes hat sie alle beschäftigt. Es ist eine fundamentale Frage.

Heino Falcke | Der Radioastronom ist Professor an der Radboud-Universität im niederländischen Nimwegen und spielte eine maßgebliche Rolle bei der Erstellung des ersten »Fotos« von einem Schwarzen Loch. Daneben ist er auch ehrenamtlicher Laienprediger in der Evangelischen Landeskirche im Rheinland.

Wer oder was ist Gott denn?

Für mich steht zunächst einmal außer Frage, dass es Gott gibt. Denn irgendwas muss ja der Ursprung sein von allem. Die Wissenschaft stößt bei der Beantwortung der Frage allerdings an Grenzen – sie kann zwar beschreiben, wie sich etwas entwickelt. Aber wie aus dem Nichts, aus einem zeitlosen Zustand, plötzlich etwas wird, das können wir mit unseren Gleichungen nicht fassen. Und deshalb müssen wir da irgendetwas hinsetzen, einen Ursprung, einen Schöpfergott. Aber ist Gott nur irgendeine Anfangsbedingung? Wie sind die da hingekommen? Oder ist Gott mehr? Ist Gott jemand?

In Ihrem neuen Buch »Zwischen Urknall und Apokalypse« bezeichnen Sie Wissenschaftler als »moderne Propheten«, die mit Hightechinstrumenten versuchen, »die ersten Worte der Schöpfung zu ergründen, die wir Naturgesetze nennen und die heute noch nachhallen«. Sind die Naturgesetze für Sie der stärkste Hinweis auf die Existenz Gottes?

Als Christ sind für mich die Naturgesetze Worte Gottes, Schöpfungsworte. Sie haben aus irgendeinem Anfangszustand ein sehr komplexes Universum gemacht, das sogar immer komplexer geworden ist. In ihrer Verlässlichkeit sind sie ein Zeichen der Verlässlichkeit des Schöpfers. Aber waren die Naturgesetze schon immer da? Haben sie eine Existenz an sich, die über das Universum hinausgeht? Das ist eine philosophische Frage, die die Naturwissenschaften nicht wirklich beantworten können. Aber was Wissenschaft schon kann und will, ist, diese Naturgesetze zu erforschen.

Das führt uns zum sogenannten Abstimmungsproblem der Physik: Wurden die Naturgesetze von einem allmächtigen Schöpfer so fein aufeinander abgestimmt, dass sie Planeten, Leben und Bewusstsein hervorgebracht haben?

Das ist zumindest nicht undenkbar, obwohl ich denke, dass Gott nicht herumfummeln musste. Aber es ist ja schon verrückt: Die Naturkonstanten und die Naturgesetze müssen alle genauso sein, wie sie sind, damit diese Welt funktioniert, wie sie funktioniert. Warum ist die Gravitationskraft genauso stark, wie sie ist? Sie könnte auch viel stärker sein – dann würden Sterne zu SchwarzenLöchern werden und Leben auf Planeten wäre unmöglich. Soweit wir wissen, reichen einige wenige Regeln, damit Leben, wie wir es kennen, entsteht. Nur: Wenn das alles nicht funktionieren würde, wären wir ja gar nicht da und könnten nicht darüber nachdenken.

Sie bezeichnen Wissenschaftler als moderne Propheten, die uns »neue wissenschaftliche Erzählungen« vorlegen. Degradieren Sie sich und Ihre Kollegen da nicht zu bloßen Geschichtenerzählern?

Wir sind moderne Propheten, weil wir wie die alten Propheten die Vergangenheit deuten und eine Geschichte über den Anfang erzählen. Und wir schauen in die Zukunft und beschreiben, wie es weitergeht, zeigen Möglichkeiten auf. Wenn wir gute Geschichtenerzähler sind, erfüllen wir unseren Job. Dann schaffen wir es, unsere Wissenschaft auch für die Menschen zugänglich zu machen und sie nicht nur in Gleichungen festzuhalten.

Podcast-Tipp »Die großen Fragen der Wissenschaft«

Was ist Zeit? Woher kommt das Leben? Wie ist das Universum entstanden? Im Podcast »Die großen Fragen der Wissenschaft« laden die Spektrum-Redakteure Katharina Menne und Carsten Könneker ein zu faszinierenden Reisen an die Grenzen unseres Wissens – von Quantenphysik bis Neurowissenschaft, von Meeresforschung bis Kosmologie. Sie fragen, was Forscherinnen und Forscher über die Welt, die Naturgesetze und das Leben wissen, wie sie arbeiten und was sie motiviert.

Eine Geschichte, die manche Physiker erzählen, handelt vom Multiversum, einem Nebeneinander von ganz vielen Universen. Das würde ja vielleicht erklären, warum es in unserem Universum Leben gibt. Es wäre dann kein Wunder, sondern fast so etwas wie eine statistische Notwendigkeit. Was halten Sie von dieser Geschichte?

Sie ist durchaus denkbar, aber sie löst nicht die Frage nach dem Ursprung. In gewisser Weise wird das Problem nur schlimmer. Denn wenn wir ein Universum haben, müssen wir nur verstehen, wo dieses eine Universum herkommt. Wenn wir jetzt noch verstehen müssen, wie unendlich viele Universen entstehen können, sind wir weit jenseits unserer Messmöglichkeiten. Dass wir mit unserer etablierten Physik bis fast an den Urknall herankommen, ist ja für sich genommen schon fantastisch.

»Wir haben eine wunderschöne Riesensocke des Wissens entwickelt, wo schon sehr viele Löcher gestopft sind. Aber die Frage, wo die Socke herkommt, die haben wir bis heute nicht geklärt«

Füllt Gott vielleicht einfach die Lücke unserer Unwissenheit?

Wenn ich lauter kleine Wissenslücken mit Gott fülle, mache ich Gott zu klein. Gott ist die große Lücke am Anfang. Das heißt: Selbst wenn wir irgendwann wissen, was in den Sekundenbruchteilen nach dem Urknall passiert ist, dannwissen wirimmer noch nicht, woher der Urknall kommt. Diese ganz große Frage nach dem Ursprung werden wir nicht lösen, indem wir die vielen kleinen Löcher in unserem Theoriegebilde stopfen – was wir immerhin seit Jahrtausenden erfolgreich tun. Wir haben eine wunderschöne Riesensocke des Wissens entwickelt, wo schon sehr viele Löcher gestopft sind. Aber die Frage, wo die Socke herkommt, die haben wir bis heute nicht geklärt.

Welche Parallelen sehen Sie zwischen der biblischen Schöpfungsgeschichte und der physikalischen Erklärung für die Entstehung des Universums?

Die Schöpfungsgeschichte ist natürlich kein naturwissenschaftlicher Text. Sie ist aber auch kein rein geschichtlicher Text oder nur ein theologischer Text. Die Menschen damals haben schon sehr intensiv auf die Natur geschaut. Sie wurde vor dem Hintergrund des babylonischen Weltbildes geschrieben, das auch kosmologische Aspekte enthält. Aber das wirklich Geniale an der Schöpfungsgeschichte ist, dass sie den Schöpfer von der Schöpfung trennt. Und zwischen Schöpfung und Schöpfer ist das Wort. In der Genesis haben wir immer wieder diesen Rhythmus: »Gott sprach und es ward.«

Und in der Physik?

Da haben wir einen Anfangszustand und Naturgesetze, und aus beiden wird etwas. Das ist eigentlich der gleiche Dreiklang. Insofern war die Genesis in der Denkgeschichte ganz entscheidend dafür, dass wir die Naturwissenschaften entwickeln konnten – weil sie das Göttliche aus der Schöpfung herausgenommen hat. Wir können die Schöpfung anschauen und können uns überlegen, was das für Worte sind, die dahinterliegen. Und die biblische Geschichte zeigt eine Entwicklung: vom Licht über den Raum hin zum Leben und dem Menschen – aus »Staub« gemacht, wie es heißt. Als Physiker sagen wir heute: Der Mensch ist Sternenstaub und wird auch wieder zu Sternenstaub. Man kann also wunderschöne Parallelen ziehen, darf es aber nicht übertreiben. Es ist immer eine ganz schlechte Idee, zu sagen: »Ja, aber in der Bibel steht genau das, und ich erkläre euch jetzt mal, wie das funktioniert.« Nein! Wenn du verstehen willst, wie die Natur funktioniert, dann musst du die Natur fragen. Da hilft Bibellesen nicht weiter.

Aber Sie tun beides …

Es gibt in der Theologie das Bild von den zwei Offenbarungen Gottes. Die eine ist die Bibel, da stehen menschliche Erfahrungen drin. Die andere ist die Natur, die kann man auch lesen. Und das machen die Naturwissenschaften.

Und die sechs beziehungsweise sieben Tage der Schöpfung? Das Universum ist ja nach heutigem Wissensstand 13,8 Milliarden Jahre alt 

Genau. Ich kann sieben 24-Stunden-Tage nicht einmal theologisch nachvollziehen. Zeit ist relativ, auch in der Bibel: »Tausend Jahre sind wie ein Tag«, heißt es da. Und: »Gottes Jahre kann keiner zählen.« Die menschliche Zeit entsteht in der Schöpfungsgeschichte überhaupt erst am vierten Tag: Plötzlich geht es um die Sterne und den Mond und die Sonne. Ihr Lauf bestimmt unsere Zeit, nach ihnen entwickelte der Mensch den Kalender.

»Die Genesis war ganz entscheidend dafür, dass wir die Naturwissenschaften entwickeln konnten – weil sie das Göttliche aus der Schöpfung herausgenommen hat«

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es in Wirklichkeit sogar zwei Urknalle gab. Was hat es damit auf sich?

Der erste Knall ist die Inflation des Raums, ausgelöst durch ein geheimnisvolles Inflatonfeld – ein Quantenfeld, das die Neigung hat, hin und wieder cholerisch zu explodieren. Der zweite ist der heiße Urknall, in dem die Materie entstanden ist, die sich dann langsam abkühlte und sich zu den Atomen zusammenfand, aus denen heute alles besteht, was wir kennen. Man kann das grob mit einer Konfettikanone im Karneval vergleichen. Da wird erst die Luft komprimiert und dann kommt Konfetti heraus.

Glauben Physiker, die sich mit dem Urknall und den Naturgesetzen beschäftigen, eher an Gott als Biologen, die mit der Evolution des Lebens »nur« auf den Teil der Zeit schauen, seit sich die Erde und das Leben darauf entwickelt haben?

Könnte sein. Physiker bewegen sich schon immer an der Grenze der Erklärbarkeit. Viele der großen Physiker haben über Gott nachgedacht. Das ist Teil des philosophischen Denkens. So an das Fundament zu gehen, ist in der Biologie vielleicht gar nicht so nötig. Außerdem haben die Biologen noch ihr Darwin-Trauma.

Was meinen Sie damit?

Es war ja zunächst schon eine Beleidigung, zu sagen: »Du, Mensch, bist nur eine Weiterentwicklung des Affen und nicht die Krone der Schöpfung.« Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte das zu weltanschaulichen Auseinandersetzungen mit Teilen der Kirche. Biologen wollten sich zu Recht nicht vereinnahmen lassen von dogmatischen Klerikern. Und viele Menschen wollten sich lossagen von der Kirche, die ja eine Deutungshoheit über das Leben reklamierte.

… und die Macht auf Menschen ausgeübt hat, oft nicht in allzu guter Weise.

Absolut. Religion ist immer Teil der Gesellschaft und wurde immer wieder missbraucht. Aber das ist der Wissenschaft nicht anders ergangen. Wenn wir etwa gucken, was den Kolonialismus möglich gemacht hat, dann waren das unter anderem technische Entwicklungen. Die Rolle, die die Wissenschaft hier gespielt hat, wird leider oft vergessen. Auch Wissen ist Macht. Und es waren Physiker, die Atombomben gebaut haben. Es sind Physiker, die das Internet entwickelt und auf uns losgelassen haben, was uns heute neben viel Gutem auch viele Probleme bringt.

Trägt Wissenschaft Verantwortung für die Folgen, die sich aus Entdeckungen ergeben? Oder trägt nicht zumindest jeder Wissenschaftler Verantwortung dafür, sich der Öffentlichkeit gegenüber mitzuteilen und sich dafür einzusetzen, dass neues Wissen zum Wohl der Menschheit eingesetzt wird?

Da bin ich zu 100 Prozent Ihrer Meinung. Entdeckungen müssen mit der Öffentlichkeit geteilt werden, auch wenn sie potenziell gefährlich sind. Wir müssen aber auch immer wieder darüber reden, was neues Wissen bedeutet und was neue Technologien mit uns machen.

Noch einmal zurück zur Gottesfrage: Kann man als Wissenschaftler überhaupt Aussagen über Gott treffen?

Man kann etwas über die Eigenschaften Gottes sagen. Die Naturgesetze sind verlässlich, nachvollziehbar, in gewisser Art und Weise auch fair, denn sie gelten überall und für alle. Es ist nicht so, dass heute dieses gilt und morgen jenes. Und wenn ich eben einen Schöpfergott dahinter sehe, dann erzählt mir die Natur etwas von einem verlässlichen Schöpfer. Das ist eine Art der Gotteserkenntnis.

»Viele der großen Physiker haben über Gott nachgedacht. Das ist Teil des philosophischen Denkens«

Was halten Sie von logischen Gottesbeweisen wie dem vom ersten unbewegten Beweger? Also: Überall in der Welt gibt es Bewegung. Bewegung muss irgendwo herkommen. Entsprechend muss es einen ersten unbewegten Beweger gegeben haben 

Dieser Gottesbeweis ist noch der beste, den wir haben. Er zeigt die Leerstelle unseres Wissens.

Wie sieht Ihr Gottesbild aus?

Für mich ist Gott das unverfügbare Geheimnis des Lebens – ein Geheimnis, das wir nicht in unserer Kontrolle haben. Das erlebt jeder. Man kann alles durchplanen, aber irgendwie passieren dann Dinge, die ich nicht beeinflussen kann. Und so ist es auch mit dem Universum als Ganzes: Da sind Fragen, die wir mit Physik einfach nicht beantworten können. Aber Menschen füllen diese Leerstelle unterschiedlich. Ich kann sagen, ich lasse diesen Ursprung leer; dann ist da ein Fragezeichen. Oder ich bin vielleicht Agnostiker und sage, dass mich das nicht interessiert, ich kann es ja ohnehin nicht beantworten. Oder ich sage als Atheist ganz bewusst, dass da nichts ist; das ist freilich eine sehr starke Aussage.

Damit haben Sie aber noch nichts darüber gesagt, wie Gott ist …

Entweder es ist ein unpersönlicher Gott – die große Macht oder so etwas. Oder es ist ein persönlicher Gott. Und das ist tatsächlich mein Bild. Das speist sich nicht aus naturwissenschaftlicher Erkenntnis, sondern eben aus menschlicher Erfahrung. Ich glaube im tiefsten Innern, dass dieser unbewegte Beweger am Anfang auch ein Jemand ist. Und dem vertraue ich. Da komme ich her und da gehe ich auch wieder hin. Aber das ist Glaube. Da kann die Wissenschaft nicht mehr allzu viel drübersagen.

Können Gott und das Universum am Ende nicht vielleicht auch ein und dasselbe sein, so wie zum Beispiel Albert Einstein dachte?

Hier würde ich Einstein vorwerfen, dass er Gott zu klein denkt. Das Universum hat einen Anfang und wird ein Ende haben und vergehen. Mit dem Universum würde auch ein solcher Gott vergehen. Ich glaube, Gott steht jenseits von Raum und Zeit und ist nicht an dieses Universum gebunden. Gott ist nicht Teil der Physik, sondern Ursprung der Physik. Das macht einen fundamentalen Unterschied.

Als Radioastronom haben Sie selbst Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass wir seit 2019 eine Art Foto von einem Schwarzen Loch haben , nachdem sie die Möglichkeit, diese Aufnahme zu machen, knapp 20 Jahre zuvor zusammen mit zwei Kollegen theoretisch hergeleitet hatten. Würden Sie sagen, dass Sie Gott hier in Ihrer Arbeit nahegekommen sind?

Ja. Ich weiß noch, wie meine damalige Doktorandin sagte: »Guck dir das mal , Heino.« Und dann sehe ich auf einmal diese Grafik und weiß: Wow, da ist ein Loch. In diesem Bild ist wirklich ein Loch. Da bin ich erst einmal eine Stunde über dem Boden geschwebt – bildlich natürlich. Und ich habe auch ein Dankgebet nach oben geschickt: Danke, dass ich bei so etwas Großartigem mitmachen darf! Das war ein ganz besonderer Moment.

Heino Falcke und sein »Foto« vom Schwarzen Loch | Das spektakuläre Bild gibt den Blick frei in das Herz der Galaxie Messier 87 in 55 Millionen Lichtjahren Entfernung. Dort sitzt eines der größten bekannten Schwarzen Löcher. Heino Falcke hat maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Aufnahme im Jahr 2019 möglich wurde.

Was war wissenschaftlich bis dahin geschehen?

Das fing in den 1990er-Jahren am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn an. Ich habe mich damals intensiv mit dem Schwarzen Loch im Zentrum unserer Milchstraße beschäftigt. Wir stellten in unserer theoretischen Modellierung fest, dass vom Rand des Schwarzen Lochs Radiostrahlung ausgesandt werden muss. Ich habe mich dann gefragt, ob man diese Strahlung nicht sehen können müsste mit einer schon damals bekannten Technik, bei der man mehrere Radioteleskope auf der Erde zusammenschaltet – gewissermaßen zu einem Superteleskop, das die allerhöchsten Frequenzen im elektromagnetischen Spektrum messen kann. Aber irgendwie war das damals noch nicht gut genug.

Was passierte dann?

Ein paar Jahre später bin ich zufällig über ein Buch aus den 1970er-Jahren gestolpert, in dem jemand ausgerechnet hatte, wie Licht am Rand eines Schwarzen Lochs abgelenkt wird. Da erkannte ich auf einmal, dass der Ereignishorizont in Wirklichkeit größer aussehen müsste, als ich angenommen hatte. Mir wurde klar, dass ich etwas vergessen hatte. Ein Schwarzes Loch funktioniert wie eine optische Linse: Es scheint größer, als es ist, wenn man darauf schaut. Und man sieht auch nicht den Ereignishorizont, sondern den Schatten des Ereignishorizonts, da, wo das Licht verschwindet. Schwarze Löcher haben eine virtuelle Grenze, hinter der alles nur noch hineingeht und nichts mehr herauskommen kann – auch Licht wird verschluckt. Deswegen sieht man überhaupt ein Schwarzes Loch in einem solchen Bild.

Und weiter?

Dann haben wir das für das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße ausgerechnet und konnten zeigen, dass dieser Schatten groß genug sein müsste, um ihn zu sehen, wenn wir mit unserer Technik noch ein Stück besser werden: ein bisschen schärfer, ein bisschen höhere Frequenzen. Und dann haben wir von verschiedenen Stellen auf der Erde aus zu messen begonnen. Das war gar nicht so einfach, weil die verschiedenen Forschungsgruppen manchmal auch im Wettstreit miteinander liegen. Im Laufe der Jahre drängelte sich dann aber eine andere Galaxie nach vorn: M87.

»Wir sind nicht nur rationale, sondern auch emotionale und spirituelle Wesen. Einen Sonnenuntergang verstehe ich physikalisch sehr genau. Trotzdem ist es etwas Erhabenes, ihn zu betrachten«

Das heißt?

Die Masse des Schwarzen Lochs im Zentrum von M87 wurde durch neue Messungen immer größer und größer. Also haben wir auch darauf geschaut. Und dann, wie so oft in der Wissenschaft, wird man überrascht. Das Schwarze Loch im Zentrum von M87 war tatsächlich riesig und groß genug, dass wir seinen Schatten sehen konnten. Das war dieser besondere Moment. Zwar sagt das jetzt vielleicht nicht jeder Wissenschaftler laut – aber es ist wahrlich ein Stück weit ein spirituelles Erlebnis. Man muss sich bloß der Gefahr bewusst sein, dass es keine Wissenschaft mehr ist, wenn es nur spirituell ist. Der Aha-Moment muss dann unterfüttert werden mit harter Arbeit: hinterfragen, überprüfen und so weiter.

Warum, denken Sie, sehnen sich viele Menschen trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte auch heute noch nach einer höheren Macht?

Weil sie hinter die Dinge schauen wollen. Wir Physiker sprechen ja oft von der Schönheit der Naturgesetze. Ich bin sicher, ein Großteil der Physiker empfindet diese Schönheit wirklich. Wir sind nicht nur rationale, sondern auch emotionale und spirituelle Wesen. Einen Sonnenuntergang verstehe ich physikalisch sehr genau. Trotzdem ist es etwas Erhabenes, ihn zu betrachten. Wir haben auch dafür Antennen. Das ist Teil unseres Menschseins.

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