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Ökologie: Polnische Behörden haben giftige Alge im Oderwasser gefunden

Möglicherweise hat die Alge Prymnesium parvum etwas mit dem massenhaften Fischsterben in der Oder zu tun. Sie konnte sich wohl durch einen erhöhten Salzgehalt stark vermehren.
Ein toter Fisch schwimmt in der Oder
Ein verendeter Döbel und andere tote Fische schwimmen in der Oder bei Brieskow-Finkenheerd.

Dieser Artikel wurde am 19. August 2022 aktualisiert.

Erst langsam setzen sich die Puzzleteile zusammen, wie es möglicherweise zu dem massiven Fischsterben in der Oder gekommen sein könnte: Sowohl deutsche, als auch polnische Behörden haben sogenannte Goldalgen im Oderwasser identifiziert. Konkret handelt es sich laut Forscherinnen und Forschern um die Mikroalge mit dem Namen Prymnesium parvum, die dafür bekannt ist, unter bestimmten Umständen Giftstoffe zu produzieren, die Fischen gefährlich werden. Doch es sind noch immer viele Fragen offen. Darunter die, warum sich die Alge plötzlich so stark vermehren konnte. Nun gibt es Hinweise darauf, dass ein polnisches Erzbergwerk große Mengen stark salzhaltigen Wassers in den Fluss eingeleitet hat – es hatte dafür allerdings auch die Genehmigung der Wasserbehörde.

»Prymnesium parvum ist bekannt dafür, dass sie gelegentlich zu Fischsterben führt«, sagte der Gewässerökologe Christian Wolter der Deutschen Presseagentur am Mittwoch. Ob die Alge in diesem Fall aber tatsächlich Toxine produziert hat, müsse noch nachgewiesen werden, betonte der Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Er sprach von einer massiven Algenblüte mit 200 Mikrogramm pro Liter und mehr als 100 000 Zellen pro Milliliter Wasser. Für den Menschen sei das Toxin der Alge aber ungefährlich.

Mehrere auffällige Veränderungen im Wasser der Oder

Als Algenblüte bezeichnet man eine plötzliche, massenhafte Vermehrung von Algen oder Zyanobakterien in einem Gewässer. Die Wasseroberfläche färbt sich in der Folge grün, manchmal auch blau oder rot, das Wasser wird trüb und »wolkig«. Ursache ist meist eine Überdüngung mit Phosphat oder anderen Nährstoffen. All das passt zu den Daten der Messstation für Gewässergüte Frankfurt an der Oder. Wie das Science Media Center (SMC) schreibt, habe man dort am 7. August 2022 gleich mehrere auffällige Veränderungen registriert: Der Sauerstoffgehalt und die Trübung des Wassers seien deutlich erhöht, der pH-Wert und die Menge des Gesamtchlorophylls deutlich angestiegen, die Absorption von UV-Licht höher als normal. Zeitgleich sei der Nitrat-Stickstoff-Gehalt enorm abgesackt und die elektrische Leitfähigkeit des Wassers in die Höhe geschossen.

»Eine plausible Erklärung für diese gleichzeitig auftretenden Veränderungen der genannten Parameter ist ein massives Algenwachstum – entweder als natürliches Phänomen, begünstigt durch die hohen Temperaturen und starke Sonneneinstrahlung, oder infolge der Einleitung oder des Eintrags großer Phosphor- beziehungsweise Phosphatmengen, zum Beispiel aus Mineraldüngern«, sagte Jörg Oehlmann, Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie an der Goethe-Universität Frankfurt dem SMC. Er tippt darauf, dass die Algen unter Stress standen und deshalb Toxine freisetzten.

Prymnesium parvum lebe eigentlich im Brackwasser, sagte Gewässerökologe Christian Wolter. Das entsteht typischerweise an Flussmündungen, wo sich Süß- und Salzwasser vermischen. Doch in einem salzhaltigen Milieu könne sie gut wachsen. Zudem brauche die Alge hohe pH-Werte. »Als Brackwasserart würde sie sonst in der Oder keine Massenentwicklung bilden.« All das hat sie offenbar nun auch weit entfernt von der Ostsee vorgefunden.

Die giftige Wirkung von Prymnesium parvum wird auf eine Gruppe organochemischer Verbindungen zurückgeführt, die Prymnesine genannt werden. Bei Stress sondert die Alge diese Polyether ins Wasser ab. Kommen die Moleküle mit den im Wasser befindlichen Kationen wie etwa Magnesium- oder Kalziumionen in Kontakt, bilden sich giftige Komplexe. Diese Toxine ermöglichen es den Algen normalerweise, andere einzellige Organismen zu fangen und zu fressen, vermutlich weil sie die Beute lähmen. Werden die Toxine aber in großen Mengen ins Wasser abgegeben, wirken sie auch auf höhere tierische Organismen wie Fische tödlich. Es gibt etliche Beispiele für solche Ereignisse, vor allem in den USA. So kam es in den vergangenen Jahren in den Bundesstaaten Florida und Texas immer wieder zu großen Fischsterben ausgelöst durch Prymnesium parvum.

Alge vermehrt sich in salzhaltigen Gewässern besonders gut

Für die Algen-Theorie sprechen auch Erkenntnisse, die die polnische Umweltministerin Anna Moskwa kürzlich über Twitter publik machte: »Die Analysen auf beiden Seiten der Grenze zeigen einen hohen Salzgehalt. In Polen werden derzeit umfassende toxikologische Studien durchgeführt«, schrieb sie am 13. August.

Doch wie kam das Salz in den Fluss? Die polnische Tageszeitung »Wyborcza« berichtet jetzt, dass zwischen dem 29. Juli und dem 10. August riesige Mengen Salzwasser von einem Bergwerk bei Głogów in die Oder eingeleitet worden seien. Der polnische Politiker und ehemalige Abgeordnete des Europaparlaments, Piotr Borys, habe die hydrotechnische Anlage des Betreibers KGHM besucht und die Salzwassereinleitung bestätigt. Allerdings habe das Unternehmen dafür wohl eine offizielle Genehmigung der staatlichen Wasserbehörde gehabt. »Niemand von der polnischen Wasserbehörde, der Woiwodschaftsinspektion für Umweltschutz in Wrocław oder dem Gouverneur der Woiwodschaft forderte einen vorübergehenden Stopp der Einleitungen«, heißt es in der Zeitung.

Der Fall werde nun von der polnischen Staatsanwaltschaft untersucht. Es ist allerdings womöglich nur ein Teil des Rätsels. Bereits am 26. Juli hatten Angler bei Oława die Behörden auf die Vorgänge im Fluss aufmerksam gemacht – das liegt jedoch rund 170 Kilometer flussaufwärts von Głogów. Ohnehin sind sich viele Experten einig, dass es nicht die eine Ursache gibt. Die Spurensuche geht also weiter.

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