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Theoretische Chemie: Giftschild

Blei gilt nicht gerade als gesundheitsfördernd - das mattgraue Schwermetall zählt zu den giftigsten Elementen des Periodensystems. Doch warum genau wirkt es so fatal?
Blei-Vergiftung
Spekulationen zufolge soll sie beim Untergang des römischen Imperiums eine Rolle gespielt haben: die Blei-Vergiftung. Verursacht hat sie mit Gift angereicherter, weil in Blei-Gefäßen verarbeiteter Traubensaft. Und auch heute noch steigt die jährliche Blei-Produktion weltweit weiterhin an, da das Schwermetall weiter für Batterien, Gläser, Keramik und elektronische Bauteile eingesetzt wird.

Blei schädigt vor allem Nervensystem, Nieren, Leber, Hirn und die Blutbildung – besonders schwer leiden Kinder, da die Schäden irreversibel sein können. Für eine Entgiftung stehen Komplexbildner zur Verfügung, die Metallkationen in die Zange nehmen und ausschwemmen. Diese Mittel sind jedoch nicht bleispezifisch, sondern entziehen dem Körper zusätzlich andere wichtige Metallkationen.

Wie die toxischen Wirkungen von Blei auf der molekularen Ebene zustande kommen, ist bisher recht wenig erforscht. Christophe Gourlaouen und Olivier Parisel von der Universität Paris 6 sahen sich daher zwei Proteine genauer an, bei denen Blei sich fatal auswirkt.

Das erste, das Kalzium bindende Enzym Calmodulin, spielt eine wichtige Rolle beim Transport von Kalzium-Kationen im menschlichen Körper: Insgesamt vier Kalzium-Ionen binden an jeweils sieben Liganden in den aktiven Zentren des Enzyms.

Calmodulin | Das Enzym Calmodulin bindet insgesamt vier Kalzium-Ionen über jeweils sieben Liganden (links). An der gleichen Stelle kann sich auch ein Blei-Kation einschleichen, das damit das aktive Zentrum des Enzyms verzerrt (rechts). Dadurch werden auch die drei übrigen aktiven Zentren gestört.
Wie die Forscher aus quantenchemischen Berechnungen abgeleitet haben, könnte ein "Elektronenschild" des Bleis die Wirksamkeit des Enzyms beeinträchtigen. Denn wenn eines der möglichen vier Kalzium-Ionen in Calmodulin durch Blei ersetzt wird, dann verzerrt ein freies Elektronenpaar des Schwermetalls das aktive Zentrum des Enzyms, sodass es nicht mehr richtig arbeiten kann. Die drei übrigen Zentren werden dadurch in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt.

Das zweite Enzym, 5-Aminolävulinsäure-Dehydratase, sorgt für die Biosynthese des roten Blutfarbstoffs. Seine Hemmung durch Blei stört die Blutbildung bis hin zur Blutarmut. In seinem aktiven Zentrum bindet ein Zink-Ion an vier Liganden, drei davon enthalten Schwefel.

Modell der Blei-Vergiftung | Blei kann sich an die Stelle von Kalzium beim Enzym Calmodulin (oben) oder von Zink beim Enzym 5-Aminolävulinsäure-Dehydratase (unten) setzen. Ein freies Elektronenpaar des Schwermetalls (gelb) wirkt als Schild, das die Struktur – und damit die Funktion – des Enzyms beeinträchtigt.
Wenn Blei Zink ersetzt, bindet dieses nur noch an die drei Schwefel-Atome. Grund ist wiederum ein freies Elektronenpaar des Blei-Kations, das sich wie ein elektronischer Schild auf die eine Seite des Bleis legt und den vierten Liganden abstößt. Diese massive geometrische Verzerrung am aktiven Zentrum könnte erklären, warum Blei das Enzym inhibiert.

Das unterschiedliche Verhalten von Blei in diesen Proteinen belegt, dass Blei Komplexe eingehen kann, bei denen die Metall-Ligand-Bindungen die Funktion von aktiven Zentren bei Enzymen beeinträchtigt. Diese Beobachtung könnte beim Design zukünftiger bleiselektiver Entgiftungsmittel helfen.

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