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Astronomie: Gigantische Sternenstaubschlucker

Kräftig Staub und Gas futtern, um groß zu werden, ist das Motto aller jungen Sterne - rein theoretisch sollte allerdings gerade großen Gestirnen dabei schnell der Nachschub ausgehen. Jetzt widerlegt die Praxis alle Theorie.
Omega-Nebel
Am Anfang sind nur Gas- und Staubwolken. Sie ziehen durchs All, bis sich irgendwann in ihrem Inneren Materie zu ballen beginnt. So entsteht ein Massezentrum, wohin alles drängt: Wachsende Anziehungskräfte sorgen dafür, dass immer mehr Material nachströmt – und irgendwann zündet der zunehmend komprimierte Kern seine Fusionsreaktion; ein Stern ist geboren. Und beginnt sogleich zuzunehmen: Angezogen vom rotierenden Zentrum ordnen sich nachströmende Gas- und Staubreste in einer flachen Akkretionsscheibe um den Äquator des neuen Sterns, prasseln nach und nach schließlich auf dessen Oberfläche herab und verursachen eine andauernde Massezugabe.

Infrarotaufnahme des Omega-Nebels | Südwestlich eines jungen Stern-Clusters im 7000 Lichtjahre entfernten Omega-Nebel erkennt man in der ISAAC-Aufnahme eine scheibenförmige Silhouette. Genauere Analysen identifizierten sie als gigantische, zirkumstellare Akkretionsscheibe von etwa 20 000 AE Durchmesser
Soweit die gängige Schöpfungsgeschichte zu Geburt und frühem Wachstum jugendlicher Sterne. Der masseärmeren Sterne, sollte man genauer sagen, denn die Genesis hat einen Haken: Für die schwereren Jungs unter den Gestirnen kann diese Erklärung des frühen Sternwachstums so nicht ganz stimmen, meinen die Theoretiker unter den Astronomen. Mit zunehmender Masse des jungen Objekts, so ihre Begründung, steige eben auch sein Druck und seine Temperatur – was sehr früh zu einem ungeheuren Strahlungsorkan führen muss, der Staub und Gas der Akkretionsscheibe um den massereichen Jungstern in die unerreichbaren Weiten des Alls verbläst. So beraube sich der jugendliche Sternriese also der zum Wachstum eigentlich notwendigen Babynahrung: Grob überschlagen, sollten Sterne mit mehr als rund zehn Sonnenmassen demnach gar nicht heranwachsen können.

Diese schöne Theorie aber hat nun auch irgendwie einen Haken: Sterne mit mehr als zehnfacher Sonnenmasse gibt es schließlich durchaus zu bewundern, und das nicht zu knapp. Vielleicht entstehen diese massereichen Riesen durch Verschmelzungen von Sternen geringerer Masse? Eine Hypothese nur, so gut und unbewiesen wie noch einige andere Vorschläge zur Lösung des offensichtlichen Erklärungsnotstands.

Da kommen handfeste Beweise gerade recht, und diese liefern nun Rolf Chini und seine Kollegen von der Ruhr-Universität in Bochum. Sie waren an der Europäischen Südsternwarte (ESO) einer 7000 Lichtjahre entfernten Sternen-Kinderstube des Südhimmels, dem Omega-Nebel M17 mit der Very-Large-Telescope-(VLT)-Einheit ISAAC (Infrared Spectrometer And Array Camera) auf den Leib gerückt. Die Infrarotaufnahmen enthüllten dort vor dem Nebel-Hintergrund eine verdächtige Scheibensilhouette. Diese war es wert, mit dem versammelten Hightech-Arsenal der ESO näher unter die Lupe genommen zu werden: Das Infrarotinstrument CONICA – zusätzlich mit adaptiver Optik versehen, die während der Aufnahme laufend die durch die Luftunruhe verursachte Bildunschärfe korrigiert – sowie radioastronomische und spektroskopische Observationsinstrumente wurden zur detaillierten Analyse in Stellung gebracht.

Details des Zentrums | Hochauflösende CONICA-Aufnahmen im nahen Infrarot zeigen die Schmalseite der scheibenförmige Silhouette. Nicht sichtbar ist hier der massereiche Protostern im Zentrum des zirkumstellaren Wolke
Mit Aufsehen erregendem Ergebnis. Inmitten der Silhouette erkannten die Instrumente schließlich eine Leuchtquelle, die nur von einem einzelnen jungen Stern herrühren konnte: Einem massereichen Hauptreihe-Stern von rund zwanzig Sonnenmassen. Die Scheiben-Silhouette selbst entpuppte sich als riesige zirkumstellare, rotierende Akkretionsscheibe – das erste Mal, dass derartiges entdeckt und beobachtet wurde.

Keine Spur also davon, dass der Strahlungsdruck massereicher Sterne eine Akkretionsscheibe völlig verbläst, wie theoretisch gefordert. Dies liege vor allem an der speziellen Geometrie der Scheibe, erklärt Chini: Sie verjünge sich trichterförmig von außen in Stern-Äquatorrichtung nach innen – von der schmalen Scheibenseite aus falle weiterhin Materie auf den Stern und lasse ihn anwachsen. Nur 70 Prozent des Staubs, schätzt der Forscher, werden vom Strahlungsdruck ins All geschleudert.

Mit einem Durchmesser von rund 20 000 Astronomischen Einheiten entpuppt sich die Omega-Nebel-Silhouette als die weitaus größte aller jemals beobachteten zirkumstellaren Scheiben – rund zwanzigmal ausgedehnter als der bisherige Rekordhalter im Orion, in dessen Zentrum zudem wohl nur ein mickriger massearmer Zentralstern leuchtet. Der neu entdeckte jugendliche Stern im Omega-Nebel jedenfalls wird, wenn seine Masseanreicherung weiterläuft wie zu erwarten, am Ende seines Sternenwachstums etwa 30- bis 40fach massereicher werden als unsere Sonne. Und bislang deutet nichts darauf hin, dass der Sternriese seinen Appetit, mangels Nachschub, allzubald wird zügeln müssen.

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