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Giraffen unter Beschuss: Der Cowboy von Samburu

Er würde Giraffen schützen, sagt Julian Fennessy. Andere sagen: Der Mann ist ein Betrüger, der den Tieren mit qualvollen Methoden nachstellt und enge Beziehungen zu Jägern pflegt. Ein exklusiver Bericht.

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Als am Morgen des 31. August 2019 auf John Dohertys Telefon eine neue Textnachricht aufleuchtete, ahnte der britische Forscher nicht, dass er über jenen Tag noch monatelang diskutieren würde. Doherty leitet das Reticulated Giraffe Project (RGP), das sich im kenianischen Samburu-Nationalreservat mit Netzgiraffen beschäftigt. »In der Nachricht fragte ein Touristenführer an, ob das RGP dabei sei, im Reservat Giraffen einzufangen«, sagt Doherty.

Nein, das waren weder er noch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wer aber saß dann in dem Fahrzeugkonvoi, der um kurz nach 8.30 Uhr in das Schutzgebiet einfuhr und unter Führung eines Leichtflugzeugs Jagd auf die von Doherty betreuten Netzgiraffen machte? Weder Dohertys Team noch die Leitung des Reservats um seinen Direktor Lmakiya ›Tom‹ Lesarge wussten, was vorging. Laut Doherty hat Lesarge daraufhin seine Wildhüter ausgeschickt, die unbekannte Gruppe aufzuspüren. Doch der Spuk endete so schnell, wie er begonnen hatte. Ab zirka halb elf Uhr an jenem Morgen fehlte von dem Konvoi in Samburu jede Spur.

Eine lange Liste von Augenzeugenberichten, internen Forschungsreports, Briefen, E-Mails und offiziellen Bekanntmachungen zeichnet schließlich folgendes Bild: Eine Expedition war ohne Wissen der zuständigen Behördenleitung in das Samburu-Nationalreservat gefahren, um dort Giraffen einzufangen, Löcher in deren Hörner zu bohren und daran GPS-Sender zu befestigen. Die Initiatoren der Aktion: der australische Biologe Julian Fennessy von der in Namibia ansässigen Stiftung Giraffe Conservation Foundation (GCF) und David O'Connor, irischer und amerikanischer Staatsbürger und seinerzeit für den San Diego Zoo Global tätig.

»Fennessy und O'Connor legten Giraffen nieder, die mein Team und ich über Jahre hinweg studiert hatten, unweit von unserem Büro, ohne uns davon zu unterrichten«, sagt John Doherty. »Es war unverzeihlich.«

Beide bekräftigen auf Anfrage von »Spektrum.de«, dass bei der Aktion alles mit rechten Dingen zugegangen sei, von Missverständnissen bei der Kommunikation mit den Behörden abgesehen, man sei lediglich durch das falsche Tor in das Reservat hineingefahren. In einem internen Report, der »Spektrum.de« vorliegt, hat die Giraffenstiftung die Expedition selbst dokumentiert. An insgesamt 24 Netzgiraffen der Region haben die Biologen demnach ihre Bohrmaschinen angesetzt. Darunter drei aus Samburu. Im Dokument F6, M3 und F7 genannt.

Verstörte Giraffen mit kaputten Sendern

John Doherty kennt F6 als »Napunyu«. Neun Tage nach dem Vorfall entdeckte er das Weibchen im Süden des Reservats und fotografierte einen halb zerstörten GPS-Sender, der nutzlos vom Horn des Tieres baumelte. »Ich erkannte Stahlbolzen, die aus Löchern im Schädel hervorragten. Die Spitze ihres Ohrs war abgeschnitten.« Obwohl »Napunyu« den Wagen des RGP und seine Insassen gut kennt, zeigte das Weibchen eine bis dahin nicht gekannte Scheu vor den Menschen. »Es ist wahrscheinlich, dass der Stress der Verfolgungsjagd, der Immobilisierung und der Operation noch über Tage hinweg nachgewirkt hat«, sagt Doherty.

Das Giraffenweibchen »Napunyu« | An den Hörnern des Tiers, die eigentlich Auswüchse des Schädelknochens sind, kann man Stahlbolzen und den nicht mehr ordnungsgemäß befestigten Sender erkennen.

Die Einzelheiten des Einsatzes und alles, was darauf folgte, hat unter Giraffenforscherinnen und -forschern weltweit Empörung ausgelöst. Aber überrascht dürften nur die wenigsten gewesen sein, denn die problematischen Methoden von Julian Fennessy, seiner deutschen Ehefrau Stephanie sowie der von beiden geführten Giraffe Conservation Foundation sind seit Jahren bekannt und gefürchtet: Von »ungeheuerlichen« Verletzungen des wissenschaftlichen Anstands ist in der Community die Rede, von Missachtung der Kollegen und der örtlichen Behörden. Und von einem ineffizienten Artenschutz, der viel Wert auf das Einwerben von Spendengeldern legt, selbst wenn das auf Kosten der Giraffen geht. »Artenschutz-Cowboys« sagen manche Forscher, wenn das Gespräch auf die Fennessys und ihre Stiftung kommt. Und das ist nicht freundlich gemeint.

»Die Fennessys werden jeden zerstören, der sich ihnen in den Weg stellt«
ehemaliger Giraffenforscher

Fennessy und Vertreter der Stiftung hingegen sehen sich den Attacken einer angeblich kleinen Gruppe immer gleicher Kritiker ausgesetzt, die aus persönlichen Animositäten heraus agieren würden. Von einer »persönlichen Vendetta« offenbar gekränkter Kollegen spricht etwa der Kuratoriumsvorsitzende des US-Ablegers der Giraffenstiftung, Till Hollmann.

Um wie viele Kritiker es sich handelt, lässt sich nicht genau sagen. Fest steht aber: Im überschaubaren Feld der internationalen Giraffenforschung wollen sich viele lieber nicht öffentlich äußern, obwohl sie einen Groll gegen die Fennessys hegen. »Die Fennessys sind skrupellos und haben Geld«, sagt ein ehemaliger Giraffenforscher, der aus Furcht vor Repressalien nicht namentlich genannt werden möchte. »Sie werden jeden zerstören, der sich ihnen in den Weg stellt.« Er selbst hat wie manch anderer wegen der Atmosphäre im Fachbereich bereits das Forschungsgebiet gewechselt.

»Ich bin davon überzeugt, dass Giraffen wegen der Arbeit von Julian Fennessy übersehen werden und leiden«, sagt die Giraffenexpertin Anne Dagg, die »Königin der Giraffen«. »Es gibt vielleicht noch zehn Forscher, die hart für das Überleben der Giraffen kämpfen, während Fennessy all das Geld dafür abgreift und es dann für seine eigenen Interessen verwendet«, sagt die 87-Jährige, die vom kanadischen Staat Ende 2019 für ihre Pionierarbeit seit den 1950er Jahren die höchste zivile Auszeichnung des Landes erhalten hat.

Die Giraffen verschwanden fast unbemerkt

Dabei brauchen die grazilen Riesen dringend Schutz. Schätzungen zufolge gibt es heute weniger als 70 000 ausgewachsene Exemplare im Afrika südlich der Sahara. Auf mindestens vier Elefanten kommt gerade einmal eine Giraffe. Doch anders als bei den Dickhäutern blieb ihr stilles Verschwinden nahezu unbemerkt, lange sogar von Forscherinnen und Forschern. Erst eine Anzahl großer Projekte wie das von Doherty, das er in Kooperation mit der Queen's University Belfast und dem Kenya Wildlife Service durchführt, zeigen den Besorgnis erregenden Trend: Von Mitte der 1980er Jahre bis 2016 ist der Bestand um 36 bis 40 Prozent geschrumpft.

2016 hat die Weltnaturschutzunion IUCN reagiert und die Giraffen als »gefährdet« auf ihre Rote Liste gesetzt.

Wo Giraffen leben | Die Karte, die ein Wissenschaftlerteam um David O'Connor im Jahr 2019 publizierte, zeigt einen stark zerstückelten Lebensraum der Giraffen. Vor allem in Zentral- und Ostafrika ist er im 20. Jahrhundert massiv geschrumpft. Die hier vorgenommene Untergliederung in vier Giraffenarten wird in der Wissenschaft nicht allgemein akzeptiert.

»Die Giraffenpopulationen sind besonders drastisch in Westafrika und der Sahelzone zurückgegangen«, sagt Derek Lee, Biologe und Ökologe von der Pennsylvania State University, der im ostafrikanischen Tansania ein weiteres langjähriges Untersuchungsprojekt leitet. Das Wild Nature Institute widmet sich dort der Erforschung der Massai-Giraffen. Nur im südlichen Afrika gehe es den Populationen noch gut, sagt der Biologe. Fast immer ist es der Verlust von Lebensraum, der den Tieren zu schaffen macht. Hinzu kommen Wilderei für Bushmeat, von Nutzvieh eingeschleppte Krankheiten und nicht zuletzt die Krisen des Menschen: Bewaffnete Konflikte sowie die Covid-19-Pandemie verschärfen die Probleme, weil Forscherinnen und Forscher nicht mehr zu den Tieren gelangen und die Einnahmen aus dem Tourismus wegbrechen.

Giraffenshow statt Giraffenschutz in Namibia?

Doch unbefangen Giraffenforschung zu betreiben, ist schwer, seitdem kaum ein Weg mehr an einem Mann vorbeiführt, den Lee offen einen »Betrüger« und »Lügner« nennt: Julian Fennessy.

Der Ärger um die Methoden der Fennessys begann bald, nachdem sie sich an die Spitze der 2009 in Großbritannien gegründeten GCF gesetzt hatten. Wenige Jahre später hatten praktisch sämtliche Gründungsmitglieder der Organisation im Streit den Rücken gekehrt. Inzwischen vereinnahmt die nach Namibia umgezogene Stiftung den bei Weitem größten Anteil aller Spenden und Fördergelder, die weltweit für Giraffen ausgegeben werden; im Schnitt zehnmal so viel wie jede andere Giraffenorganisation. Dass die Zuwendungen tatsächlich dem Wohl der Tiere dienen – diesen Beweis bleiben die Mitglieder der Giraffenstiftung in den Augen ihrer Kritiker schuldig.

Man arbeite »wie keine zweite Organisation« mit den örtlichen Verantwortlichen in Afrika zusammen, hält Fennessy in einer schriftlichen Stellungnahme an »Spektrum.de« entgegen. Tatsächlich hat der Australier zahlreiche Giraffenprojekte in ganz Afrika auf den Weg gebracht. Unbestritten ist auch, dass die Stiftung und die mit ihr assoziierten Forscherinnen und Forscher zahlreiche wissenschaftliche Artikel in Fachpublikationen veröffentlicht haben. Zum Beleg führt Fennessy 40 Veröffentlichungen an.

Für 12 000 Dollar mit bei der Giraffenjagd

Von sich reden macht die Stiftung derweil mit fragwürdigen Showeinlagen. So wie bei der morgendlichen Aktion in Samburu. Das Besendern der Tiere, die Jagd aus dem Geländewagen und aus der Luft lassen sich gut verkaufen – im wahrsten Sinn des Wortes. Reiche Spender dürfen teilnehmen, sofern sie dafür hohe Summen zahlen. So kann einer Anzeige zufolge jedermann für 12 000 US-Dollar an solch einer Expedition teilnehmen. »Bei diesen teuren Events wimmelt es von unqualifizierten Geldgebern«, sagt der Artenschutzbiologe Lee.

»Lembeki« mit und ohne Sender | Bereits binnen weniger Wochen verlor diese Giraffe aus dem Samburu-Nationalreservat ihren Sender wieder. Die Befestigungsbolzen bleiben jedoch ein Leben lang erhalten.

Für viele Medien liefern die Jagden mit dem Betäubungsgewehr eine ideale Kulisse. ZDF-Zuschauer etwa konnten im Juni 2020 in der Fernsehsendung »Terra X« den Fennessys beim Besendern von Giraffen in Namibia zuschauen. »Es wäre interessant, einmal die wissenschaftliche Begründung für diese Aktion zu erfahren«, sagt Andy Tutchings, ehemaliges Kommitteemitglied der Giraffenstiftung und Experte für die Besenderung von wilden Tieren. Denn in Namibia leben die Tiere weitgehend unbehelligt. In Regionen, in denen sie ernsthaft gefährdet sind, haben Giraffen nach Angaben des Experten mit gänzlich anderen Umwelteinflüssen zu kämpfen, auch die Mensch-Tier-Konflikte unterscheiden sich von denen in Namibia deutlich. Angesichts derart verschiedener Ausgangssituationen seien die Erkenntnisse aus Namibia nicht übertragbar.

Auch bei der mehrtägigen Aktion in Kenia, die den Abstecher nach Samburu umfasst hat, waren Medienvertreter zugegen. Ihre Teilnahme mündete in einem ausführlichen Porträt der Giraffenstiftung in der renommierten US-Zeitschrift »The Atlantic«. Dem Beitrag ist unter anderem zu entnehmen, wie nah Journalisten am Geschehen waren und dass sogar Fennessy selbst Hand an die Bohrmaschine legte, obwohl dies laut kenianischem Gesetz allein ausgebildeten Tierärzten vorbehalten ist.

Laut den Initiatoren Fennessy und O'Connor könnten weder Journalisten noch die zahlenden Zuschauerinnen und Zuschauer den Ablauf solcher Expeditionen beeinflussen, alle Eingriffe würden von speziell geschultem Personal durchgeführt, wie es das Gesetz der jeweiligen Länder verlange.

Kritikern geht es allerdings nicht nur um das Wie der Aktionen, sondern auch um das Warum überhaupt.

Nur wenn es keine Alternative gebe und der wissenschaftliche Wert unbestritten sei, sollte eine Besenderung überhaupt erwogen werden, sagt etwa die US-amerikanischen Zoologin Amy Phelps. Sie war es, die den Fennessys das Label »Artenschutz-Cowboys« verpasst hat.

In dem eingangs erwähnten, vertraulichen Report der Giraffenstiftung und dem San Diego Zoo sind die wissenschaftlichen Ziele allerdings nur vage formuliert. Es gehe um »Populationzahlen und -dichten« oder den »generellen Artenschutzstatus der Netzgiraffen«. Fennessy erläutert außerdem, mit Hilfe der Daten könnten Artenschützer und örtliche Behörden entscheiden, wo sich die Einrichtung von Korridoren zwischen Schutzgebieten lohne und wo die Giraffen in Konflikt mit kenianischen Entwicklungsvorhaben geraten würden. Und David O'Connor, mit dem er die Aktion in Kenia organisiert hat, ergänzt, die Daten würden in Echtzeit in ein digitales Überwachungssystem gespeist. Darin können Ranger die Aufenthaltsorte aller aktuell getrackten großen Säugetiere im Land nachverfolgen.

Allerdings leben Giraffen nicht im Verborgenen. Dank ihrer Größe würden sie sich prinzipiell auch ohne Satellitentechnik gut beobachten lassen. Zumal die Methode, die Fennessy und seine Stiftung erproben, selbst wenig zuverlässig zu sein scheint: Mindestens zwei der drei Tiere aus Samburu hätten ihre Sender nicht »24 bis 36 Monate« getragen, wie der Bericht versprach, sondern laut Doherty, in dessen Untersuchungsgebiet die Aktion stattfand, bereits nach kurzer Zeit von ihrem verletzten Kopf abgerissen. Hinzu kommt: »Ein oder zwei nach dem Zufallsprinzip angebrachte GPS-Sender liefern so gut wie keinen wissenschaftlichen Nutzen und überhaupt nichts für den Artenschutz«, sagt Tutchings.

Erst betäuben, dann bohren, dann den Sender einsetzen

Vor allem ist die Methode qualvoll. Anders als Fennessy und O'Connor, die keinerlei Folgeschäden beobachtet haben wollen, spricht deren Kollege aus Samburu von der Gefahr eines »Traumas mit Langzeiteffekten«. »Die Giraffen werden mit Pfeilen beschossen, verfolgt, eingefangen, immobilisiert und schließlich verstümmelt«, sagt Doherty. Und bei alldem fehle »oft jegliche Empathie für die Angst und den Stress, der den Tieren dabei verursacht wird«, erklärt die Zoologin Phelps.

»Giraffen sterben sehr leicht«, sagt Andy Tutchings, der selbst Expeditionen geleitet hat, bei denen Giraffen, Nashörner, Elefanten und Löwen betäubt wurden. Die besondere Physiologie der Tiere macht den gesamten Prozess extrem riskant. Um zu verstehen, warum, gilt es, die Prozedur einmal näher zu betrachten.

Ein übersehenes Verschwinden | Dass Elefanten gefährdet sind, ist weithin bekannt, das Schicksal der Giraffen dagegen kaum: Heute gibt es viermal mehr Elefanten als Giraffen.

Laut dem internen Bericht über die Aktion haben die Anwesenden jede Giraffe zunächst mit Etorphin durch einen Pfeil betäubt. Das auch als M99 bekannte Opioid beginnt sofort das Tier zu töten. »Deswegen muss so schnell wie möglich ein Gegengift verabreicht werden, wenn das Tier am Boden ist«, erläutert Tutchings, der mit den Methoden aus eigener Erfahrung vertraut ist, jedoch betont, die Einzelheiten des Vorgehens in Samburu nicht zu kennen. Dort wurde als Gegengift Diprenorphin verabreicht. »Sobald das Gegengift wirkt, ist das Tier wieder bei vollem Bewusstsein, und die Veterinäre verdecken ihm die Augen und stopfen ihm Watte in die Ohren, um es ruhig zu halten«, sagt der Experte. Dann wird an den Hörnern die Bohrmaschine angesetzt.

Die Hörner der Giraffe sind nur bedingt mit denen einer Kuh oder Antilope vergleichbar. Es handelt sich anatomisch gesehen um Auswüchse des Schädelknochens, die von Nerven und Blutgefäßen durchzogen sind. Ob die Tiere bei der Prozedur Schmerzen empfinden, ist unklar. Bei keinem der mehr als 150 Eingriffe, die von ihm oder Mitarbeitern seiner Stiftung durchgeführt wurden, habe es beim Bohren sichtbare oder physiologische Anzeichen für Stress gegeben, sagt Fennessy. Darum werde die betroffene Stelle auch nicht lokal betäubt. Doch der kenianische Tierarzt, der den Eingriff in Samburu durchgeführt hat, beschreibt auf Anfrage seine Operation anders: »Wir benutzten Anästhetika mit analgetischen Effekten und, wenn möglich, auch ein Lokalanästhetikum an den Hörnern, in die gebohrt wurde«, erzählt Dominic Mijele, Tierarzt des Kenya Wildlife Service. Warum betäubt der zuständige Veterinär einen Körperteil, der nach Fennessys Angaben keinen Schmerz empfinden kann?

Fennessy erhält lebenslanges Hausverbot – zeitweise

Nach der Jagd auf die Netzgiraffen in Samburu reagierten die kenianischen Behörden zunächst schnell und aufgebracht. Da das Reservat kein Nationalpark ist, hat dort nicht der Kenya Wildlife Service das Sagen, sondern die Kommunalregierung des Samburu-Bezirks. Der Direktor des Nationalreservats Lesarge leitete eine Untersuchung ein und bat Fennessy und O'Connor um Stellungnahmen. Drei Monate später erhielten die beiden jeweils ähnlich lautende Schreiben, die »Spektrum.de« vorliegen: »Ich betrachte die Vergehen, die Sie an diesem Tag begangen haben, als extrem schwer wiegend«, schreibt Lesarge unter dem Siegel der Regierung Kenias. Die ungenehmigte Expedition zeuge von einer »ungeheuerlichen Missachtung der gesetzlichen Regelungen, extremem professionellem Fehlverhalten und grober Respektlosigkeit gegenüber der Bezirksregierung«.

Fennessy, O'Connor und ihre jeweiligen Organisationen, die Giraffe Conservation Foundation und San Diego Zoo Global, erhielten lebenslang Hausverbot in Samburu.

Mensch-Tier-Konflikte nehmen zu | In ganz Afrika schwindet der Lebensraum der Giraffen. Dabei geraten die Tiere unweigerlich in Konflikt mit dem Menschen.

Für sieben Monate blieb der Bann bestehen. Doch als am 19. Juni 2020 das Schreiben Lesarges in der internationalen Giraffenforscherszene zu zirkulieren begann, nahmen Fennessy und O'Connor erneut Kontakt nach Kenia auf. Drei Tage später, am 22. Juni, haben nach Angaben von John Doherty kenianische Vertreter der Giraffenstiftung Lesarge kontaktiert und um ein Treffen gebeten. Anfang Juli 2020 beendete David O'Connor sein Arbeitsverhältnis bei San Diego Zoo Global. Am 2. Juli erhielt Fennessy schließlich einen Brief aus Samburu, in dem das Betretungsverbot aufgehoben wird.

Warum, will Samburu-Direktor Lesarge auf Anfrage von »Spektrum.de« nicht im Detail mitteilen: »Wir haben die Probleme, die damit in Verbindung standen, inzwischen gelöst, und somit besteht kein Grund mehr, dies weiter zu diskutieren.« Auf die Nachfrage, wie er die Probleme gelöst habe, hat Lesarge bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht mehr reagiert. Auch beim San Diego Zoo gibt man sich größtenteils bedeckt. »Wir können bestätigen, dass David O'Connor nicht mehr beim San Diego Zoo beschäftigt ist. Unsere Projekte für den Erhalt von Giraffen in Kenia können ohne Einschränkungen weiterlaufen«, teilte eine Sprecherin des Zoos mit.

Die genauen Hintergründe für Lesarges Sinneswandel bleiben somit unklar. Julian Fennessy und David O'Connor teilen mit, ihr schwerster Verstoß in der Angelegenheit habe laut dem Direktor darin bestanden, Samburu durch das falsche Tor betreten zu haben. Mitarbeiter von Lesarges Behörde hätten mündlich grünes Licht für die laut Fennessy und O'Connor formal vom Kenya Wildlife Service geleitete Expedition gegeben, es aber versäumt, ihren Direktor darüber zu informieren. Für beides habe man sich entschuldigt. Kritiker Fennessys, die Einblick in die Angelegenheit haben, überzeugt diese Erklärung nicht. Allein zu informieren reiche nicht aus. Wäre das Team durch ein offizielles, bemanntes Tor eingefahren, wäre aufgefallen, dass keine ordentliche Genehmigung vorlag. Zudem sei es ein offenes Geheimnis, dass einige afrikanische Wildtierschutzbehörden das Besendern an den Hörnern kritisch sähen. Fraglich ist also, ob Fennessy und O'Connor für ihr Vorhaben überhaupt eine Genehmigung erhalten hätten.

»Die Stiftung hat den zwei am längsten bestehenden Giraffenprojekten in Afrika erheblichen Schaden zugefügt«
Derek Lee, Ökologe

Der Umstand, dass die Bezirksregierung von Samburu überraschend ihre Meinung änderte, ist für viele Kritiker ein weiteres Beispiel dafür, wie die Stiftung ihre Macht ausspielt, um ihre umstrittenen Methoden beibehalten zu können.

Auch in Tansania griff die Stiftung zum Betäubungsgewehr

Denn was in Samburu geschah, ist kein Einzelfall. Nur rund fünf Monate nach den Ereignissen in Kenia hat sich im benachbarten Tansania Ähnliches ereignet. Auch das von Derek Lee geleitete Massai-Giraffen-Projekt in Tarangire bekam im Januar 2020 unangemeldeten Besuch von Fennessy und seiner Giraffenstiftung. »Eine Gruppe meiner Studiengiraffen wurde von der Giraffe Conservation Foundation eingefangen und besendert, ohne dass ich zunächst davon erfuhr«, sagt Lee. Jahrelange Forschung sei innerhalb kürzester Zeit in Mitleidenschaft gezogen worden, weil der Eingriff Verhaltensstudien des Wild Nature Institute beeinflusst habe. »Schon im Februar beobachteten wir ein abnormales Verhalten der misshandelten Giraffen«, sagt Lee. »Mit John Dohertys Projekt in Kenia und meinem in Tansania hat die Giraffe Conservation Foundation so den zwei am längsten bestehenden Giraffenprojekten in Afrika erheblichen Schaden zugefügt«, sagt der Forscher.

Fennessy sieht in Lees Anschuldigungen einen »bösartigen und grundlosen Angriff auf meine Person«. Man habe frühzeitig mit Vertretern seines Wild Nature Institute gesprochen, sagt der Biologe, was Lee jedoch bestreitet. Außerdem, sagt Fennessy, habe die Giraffenstiftung von den zuständigen Behörden alle Genehmigungen eingeholt. In der Tat gehören die Giraffen in Tansania nicht den vor Ort aktiven Forschern, sondern dem Staat. Daher war die Giraffenstiftung nicht verpflichtet, bei Lee um Erlaubnis zu fragen. Auf den Vorwurf, damit – wie schon in Samburu – übliche Anstandsregeln unter Forschern verletzt zu haben, geht Fennessy nicht ein.

Die Klage, einfach übergangen worden zu sein, erheben auch Vertreter anderer Teams. Etwa die amerikanische Zoologin Sheri Horiszny, die in Uganda das Projekt Care for Karamoja betreut, das sich unter anderem für den Erhalt der hochgradig gefährdeten Unterart der Rothschild-Giraffe einsetzt. Sowohl in Uganda als auch, laut Lee, in Tansania habe die GCF vor allem ihre eigene Sicht der Dinge in die regionalen Tierschutzkonzepte einfließen lassen. Forscherinnen und Forscher, die mit Hilfe teils langjähriger Beobachtungsprojekte eine eigene Expertise vor Ort aufgebaut haben, fühlen sich abgedrängt, mag Fennessy dies »Spektrum.de« gegenüber noch so sehr bestreiten und einmal mehr den integrativen Ansatz der Giraffe Conservation Foundation betonen.

Macht und Einfluss der Stiftung reichen bis in die höchsten internationalen Gremien des Artenschutzes. Die Spezialistengruppe für Giraffen und Okapis der Weltnaturschutzunion IUCN (GOSG) bewertet, wie bedroht die Tierarten sind, und hat eine wichtige Stimme, was Empfehlungen zu ihrem Erhalt anbelangt. Julian Fennessy war an der Gründung dieser Gruppe im Jahr 2013 maßgeblich beteiligt und lange ihr Mitvorsitzender mit Zuständigkeit für Giraffen. Kaum im Amt, wurde ihm vorgeworfen, sein Engagement diene vor allem dazu, die Arbeit seiner Giraffenstiftung zu begünstigen.

Eine Art oder viele?

Wie viele Giraffenarten es gibt, ist so umstritten wie kaum ein anderes Thema in der Giraffenforschung. Als die Weltnaturschutzorganisation IUCN die Giraffen 2016 auf die Rote Liste setzte, ging sie noch von einer Art und neun Unterarten aus. In demselben Jahr veröffentlichte ein Team um Julian Fennessy eine DNA-Studie, der zufolge die Giraffen in vier getrennte Arten einzuteilen sind. Seitdem vertritt der Australier diese Sicht als einzige, die wissenschaftlich tragbar sei. Sie spiegelt sich auch in der oben gezeigten Karte wider.

Nicht alle Forscherinnen und Forscher sind von den genetischen Erkenntnissen überzeugt. So gibt es unter anderem Anhaltspunkte für ein Drei- und ein Acht-Arten-Modell. Weitere wollen die Einteilung der IUCN beibehalten, bis ein Konsens herrscht.

Die Frage nach der Arteinteilung hat hohe praktische Relevanz: In einem Vier-Arten-Modell wären drei Arten als bedroht einzustufen, die »Süd-Giraffe« jedoch nicht. Gleiches gilt für die Listung in den CITES-Anhängen.

»Ich erinnere mich, dass es schon bei Fennessys Wiederernennung 2017 erheblichen Widerstand gab«, sagt Jon Paul Rodriguez. Der Ökologieprofessor aus Venezuela leitet die Species Survival Commission der IUCN und ist damit für die Spezialistengruppen zuständig. 2021 stand eine erneute Wiederernennung Fennessys an, doch der Australier kam möglichen Streitigkeiten zuvor: Ende Februar kündigte er überraschend seinen Verzicht auf das Amt an.

Ein Votum gegen den Giraffenschutz

Wie sich Fennessys Einfluss im Gremium in den vergangenen Jahren ausgewirkt hat, zeigt die folgende Episode deutlich. Ihr Schauplatz ist das Treffen des Washingtoner Artenschutzabkommens CITES Ende August 2019 in Genf. Bei dieser bloß alle drei Jahre stattfinden Konferenz wollen die Teilnehmenden weltweit verbindlich regeln, mit welchen Tieren und Tierprodukten nur mit Genehmigung grenzüberschreitend gehandelt werden darf und welche im internationalen Handel sogar weitgehend verboten sind.

Jagd auf Giraffen | Im Süden des Kontinents sind die Giraffenbestände vielerorts so stabil, dass die Behörden Trophäenjagd erlauben.

Wird eine Art im Anhang II des Abkommens aufgeführt, bedeutet dies, dass die entsprechenden Tiere oder Teile von ihnen zumeist nur dann aus einem Land ausgeführt werden dürfen, wenn vorher eine Unbedenklichkeitsüberprüfung stattgefunden hat. Die Trophäenjagd und auch der internationale Handel sind ausschließlich dort möglich, wo beides anerkanntermaßen nachhaltig ist. Die allfällige Bürokratie liefert im Gegenzug Daten und Fakten: Woher stammen die Produkte? Wie viele werden pro Jahr woher eingeführt? Und gefährdet Trophäenjagd die Bestände wirklich nicht?

Genau das wollten 2019 sechs afrikanische Staaten für Giraffen erreichen, deren Handel bis dahin überhaupt nicht durch CITES reguliert war. Ein Gutachten von offizieller Seite argumentierte jedoch gegen den Vorschlag: Es gebe keinen Grund zur Annahme, dass der Handel mit Giraffenprodukten für die Bestandsrückgänge verantwortlich sei, darum sollten Giraffen weiterhin nicht in den Anhängen gelistet werden. Urheber des Gutachtens war die Organisation TRAFFIC, ein Gemeinschaftsprojekt der internationalen Naturschutzunion IUCN und des World Wildlife Fund (WWF). Als Mitvorsitzender der IUCN-Spezialistengruppe für Giraffen hatte Fennessy den Abschnitt über Giraffen überprüft und bestätigt.

Gleich sieben prominente Tierschutzgruppen, darunter die Born Free Foundation und die Humane Society International, widersprachen dem Gutachten deutlich. Per Brief wandten sie sich im Februar 2019 direkt an alle Mitglieder der von Fennessy geleiteten IUCN-Spezialistengruppe der Giraffenforscher, um die Einschätzung des Gutachtens zu widerlegen. Doch Fennessy ließ das Schreiben versanden, indem er es – Fennessy sagt »protokollgemäß« – lediglich an das handverlesene Advisory Committee der Gruppe weiterleitete. Damit blieb es bei der offiziellen Empfehlung an CITES, der Antrag der sechs Länder schien fast schon abgelehnt – die nächste Chance auf Wiedervorlage wäre erst 2022 in Costa Rica gekommen.

Dann die Wende: Die Zentralafrikanische Republik verschaffte dem Giraffenexperten Fred Bercovitch fünf Minuten Redezeit auf der Genfer Konferenz, die er für einen dringenden Appell zur Einhaltung des Vorsorgeprinzips nutzte. Außerdem brachte er den Zirkelschluss in der Argumentation des Gutachtens auf den Punkt: Mit Verweis auf das Fehlen wissenschaftlicher Gründe werde die Hochstufung abgelehnt, aber gleichzeitig eingeräumt, dass nur eine Auflistung im Anhang II diese Gründe liefern könnte. »Warum also dann keine Auflistung?«, fragte Bercovitch, und das Plenum folgte ihm. Letzten Endes hoben die Unterzeichnerstaaten mit 106 zu 21 Stimmen die Giraffen in Anhang II. Die Symbolkraft der Entscheidung trat in Medienberichten deutlich zu Tage: Sie wurde als »gute Nachricht« und »Erfolg« für Giraffen gefeiert.

Wie kommt es, dass sich der Vorsitzende der weltgrößten Giraffenstiftung nicht für eine derart populäre Maßnahme stark machte? Ist doch ein erklärtes Ziel der Giraffe Conservation Foundation, die Bedrohung der Giraffen in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

»Die Giraffe Conservation Foundation ist keine Lobbyorganisation und unterstützt dementsprechend auch nicht die Bemühungen anderer, die Giraffen unter CITES zu listen«, schreibt Fennessy dazu. Anders als Elefanten oder Nashörner würden Giraffen nicht gewildert, um den internationalen Markt zu bedienen. »Ein Antrag auf Auflistung sollte sich auf Wissenschaft gründen, nicht auf Emotionen. Die Giraffe Conservation Foundation empfiehlt, die Giraffen nach Arten beziehungsweise Unterarten getrennt zu listen, denn die Bedrohung variieren stark je nach Artzugehörigkeit und Verbreitungsgebiet.« Einem solchen Vorhaben wäre allerdings von vornherein wenig Aussicht auf Erfolg beschieden, weil CITES von einer getrennten Erfassung abrät.

Das Gutachten, in dem die Ablehnung formuliert ist, liefert noch eine andere Erklärung für die Haltung der Giraffenstiftung. Nur ein einziges potenzielles Risiko einer Auflistung wird darin genannt: Wenn Giraffen im Anhang II gelistet würden, heißt es dort, könnte die – nach wie vor erlaubte – Jagd ein »Stigma« erhalten. Dadurch drohe die Jagd an Attraktivität zu verlieren und das Interesse an Giraffentrophäen zu sinken.

Das träfe nach Einschätzung von TRAFFIC und der Giraffenstiftung in der Tat viele Community-Projekte an einer empfindlichen Stelle, denn der Jagdtourismus erwirtschaftet in Namibia erhebliche Summen, an denen auch die jeweiligen Dorfgemeinschaften beteiligt werden sollen. Mindestens teilweise ist das Geld mit der Auflage verbunden, den Erhalt der Wildtiere und ihrer Lebensräume zu unterstützen. In der Folge hängen nicht nur lokale Schutzinitiativen am Geldhahn der Trophäenjagdlobby, sondern offenkundig auch die größte Giraffenstiftung der Welt.

Mit dem Lkw ins Jagdgebiet

Wer den Verbindungen der Stiftung zur Jagdlobby nachgeht, stößt zum Beispiel auf ein mit viel Pathos inszeniertes Video auf Youtube. Darin sind unter anderem die Fennessys zu sehen, wie sie im Juni 2020 insgesamt 14 Giraffen einfangen und umsiedeln. »Lasst uns ein paar Giraffen schnappen!«, rufen die Akteure, klatschen sich ab. Dann steigt der Hubschrauber auf und treibt die Tiere vor sich her in eine Falle. Per Lkw, so erklären es die Fennessys anschließend im Interview, gehe es dann unter anderem nach Doro !Nawas, wo die Tiere die lokale Population auffrischen sollen. Man lasse sich nicht einmal durch die Coronakrise vom unbedingten Einsatz für die Giraffen abhalten. Denn: »Wenn wir es nicht tun, wer sonst?«

Doro !Nawas ist ein kommunal gemanagtes Projekt in Namibia, das seine Einnahmen vor allem auch aus Jagdtourismus bezieht. Namibischen Experten zufolge führt das rege Ausstellen von Abschussgenehmigungen für den Fleischverkauf dazu, dass in vielen dieser Projekte kaum noch Wild vorhanden ist. Die 14 Giraffen sind eine noch magere, aber dennoch hochwillkommene Ergänzung der Population. Julian Fennessy zufolge werden in Doro !Nawas jedoch keine Giraffen gejagt.

Was im Film außerdem unerwähnt bleibt, ist die finanzielle und logistische Beteiligung des international bekannten Trophäenjägers Ivan Carter. Er und seine Wildlife Conservation Alliance sind eng mit der Stiftung verbunden. Die Gruppe, die weltweit und besonders in Afrika die Jagd als Sport fördert, wird unter anderem von derselben Buchhaltungsfirma in den USA vertreten wie Fennessys Stiftung. Aus einem Bürokomplex in Orlando, Florida, übernehme die Jägervereinigung alle anfallenden Verwaltungsangelegenheiten für die Giraffe Conservation Foundation, um in den USA als gemeinnützig von der Steuer befreit zu werden, sagt ein ehemaliges Kuratoriumsmitglied der Stiftung.

Das gute Einvernehmen lohnt sich offenbar finanziell. Laut ihrem eigenen Jahresbericht 2018 überwies Ivan Carters Wildlife Conservation Alliance der Giraffenstiftung insgesamt 643 000 US-Dollar.

Haut und Knochen von Giraffen sind ein gutes Geschäft

Laut dem Jahresbericht der Stiftung hat sich in den Jahren 2018/2019 noch ein weiterer Geldgeber zu ihren Topspendern gesellt: die berühmt-berüchtigten Trophäenjagdlobbyisten des Dallas Safari Club.

In den USA ist der Handel mit Giraffentrophäen und -produkten ein gutes Geschäft. »Unser Land importiert alle möglichen Giraffenprodukte, von Kissenbezügen und Bibeleinbänden aus der Haut der Tiere bis hin zu den Knochen, die immer stärker als Elfenbeinersatz genutzt werden«, erläutert Tanya Sanerib, Rechtsexpertin und eine Direktorin der Artenschutzorganisation Center for Biological Diversity. Zwischen 2006 und 2015 waren es rund 40 000 Giraffenteile und -produkte, wie eine Auswertung von US-Importstatistiken der Humane Society International (HSI) ergeben hat.

Präparierte Jagdtrophäen | Ihre Erinnerung an den Jagdausflug bekommen die Großwildjäger nach Hause geliefert. Aber auch Haut und Knochen der Giraffen erfreuen sich großer Beliebtheit, vor allem in den USA.

Laut HSI gibt es eine zentrale Drehscheibe für den Handel in den USA: die Ausstellungen ebenjenes Dallas Safari Club. Dort ersteigerte beispielsweise 2018 ein Milliardär für 275 000 US-Dollar die Erlaubnis, eins der stark bedrohten Spitzmaulnashörner zu schießen. »Sie haben mehr als 3000 Ranger auf Privatland, um die Rhinos zu schützen«, ließ er einem Fernsehsender über seinen Anwalt mitteilen. »Irgendwer muss das ja bezahlen.«

In der Tat gibt es gute Argumente dafür, die Zahlungsbereitschaft der Trophäenjäger zu nutzen, um den Wildtierschutz zu finanzieren. »Giraffenbestände sind oft dort noch gut, wo es auch ausformulierte Jagdgesetze gibt«, sagt beispielsweise Andy Tutchings. Nach offizieller Einschätzung von Spitzengremien wie CITES und IUCN stellt die finanzielle Verbindung einer Organisation wie der Giraffe Conservation Foundation und der Jagdlobby für sich genommen kein Fehlverhalten dar. Zudem schlage sich die Stiftung weder auf die Seite der Trophäenjäger noch auf die der Jagdgegner, sagt Fennessy.

Ob das die zahlreichen anderen Spender der Stiftung ebenso empfinden? Zusammengenommen überweisen sie laut den letzten Jahresberichten jährlich rund 1,5 Millionen US-Dollar an die Stiftung. Die Born Free Foundation etwa ist einer der weltweit größten Gegner der Trophäenjagd und taucht in den Abschlussberichten der Giraffenstiftung nur wenige Zeilen unter den Jagdlobbyisten auf. Man wolle der Sache jetzt nachgehen, heißt es auf Anfrage bei Born Free, könne »dazu aber noch keine Details bekannt geben«. Laut Fennessy habe seine Stiftung seitdem mit der NGO ein neuerliches Abkommen zur finanziellen Unterstützung von Forschung an Giraffen in Niger unterzeichnet.

Effektiver Artenschutz sieht laut Kritikern anders aus

Born Free hat mit zahlreichen anderen Tierschutzvereinigungen seit 2017 eine Petition in den USA laufen, wonach Giraffen zu den gefährdeten Tierarten gezählt werden sollen. Die Erfassung im Endangered Species Act hätte zur Folge, dass Jäger die Einfuhr ihrer Trophäen beantragen und dabei nachweisen müssen, dass der Abschuss finanziell oder wissenschaftlich zur Erhaltung der Tierart beigetragen hat.

Unterstützung von Seiten der Giraffenstiftung bekamen sie dafür nicht. Erneut argumentiert Fennessy »Spektrum.de« gegenüber, seine Stiftung sei keine Lobbyorganisation, weshalb sie solche Initiativen nicht unterstütze. Die afrikanischen Giraffen seien in ihrer Gesamtheit nicht durch legale Jagd bedroht, und Handelsbeschränkungen würden nur für einzelne Arten beziehungsweise Unterarten Sinn machen. Dabei gilt auch hier: Wie groß die Auswirkungen von Jagd und Handel wirklich sind, lässt sich am besten ermitteln, wenn beides reguliert ist.

»Die Stiftung hat noch nie jemanden abgedrängt«
Julian Fennessy, Biologe

Die Ansicht ihrer Kritiker, dass effektiver Artenschutz anders aussähe, können Fennessy und seine Mitstreiter damit nicht ausräumen. Umso mehr, als das Ehepaar Fennessy inzwischen dazu übergegangen ist, die Geschichte der Giraffenforschung umzuschreiben. So bezeichnen sie sich und ihre Stiftung bei jeder Gelegenheit als die Ersten, die sich ernsthaft um die Rettung der Tiere bemüht hätten, und als eine der wenigen Gruppen, die sich mit echter Feldforschung vor Ort um die Tiere kümmern würden.

Kollegen, die sich an solchen Äußerungen stören, bescheinigt Fennessy in seiner Stellungnahme »beruflichen Neid«: »Unsere Übereinkommen mit hoch angesehenen Einrichtungen zeigen, wie sehr die Giraffe Conservation Foundation auf Partnerschaft und Zusammenarbeit setzt. Die Stiftung hat noch nie jemanden abgedrängt.«

Für jene Forscherinnen und Forscher, die sich bereits von dem Feld abgewendet haben, klingen solche Äußerungen wie blanker Hohn. »Die Giraffe Conservation Foundation hat viele Brücken zerstört«, sagt etwa der ehemalige Giraffenforscher, der lieber anonym bleiben möchte. Die Stiftung habe »genau den Feldforschern, Projekten und Artenschutzinitiativen, die wirklich vor Ort gearbeitet haben, sinnbildlich die Kehle durchgeschnitten«.

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