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News: Gleich danach

Was ganz zu Anfang war, weiß niemand. Doch dank der Rechenleistungen moderner Supercomputer und ausgeklügelter Theorien vermögen Physiker zu sagen, was 0,00000000000000000000000000000000001 Sekunden nach dem Urknall geschah. Sogenannte 'semilocal strings' kondensierten aus miteinander wechselwirkenden Quantenfeldern und formten sich windende Röhren aus Energie. Und weil selbst theoretische Physiker sich das nicht mehr so ganz einfach vorzustellen vermögen, haben sie die Vorgänge in kleinen Videosequenzen verdeutlicht.
Julian Borill vom Lawrence Berkeley National Laboratory hat mit seinem Modell einen möglichen Zustand des Universums 10-35 Sekunden nach dem Urknall detailliert beschrieben. In den 3-D-Computer-Animationen ist zu sehen, wie die semilocal strings genannten Objekte entstehen, sich winden, zusammen mit anderen Röhren raumfüllende Strukturen bilden oder sich scheinbar selbst "in den Schwanz beißen" und schließlich verschwinden. Auch wenn die Bilder unwillkürlich an Alchemie erinnern mögen, stehen sie doch fest verankert in den Theorien der Physik und können uns vielleicht sogar Auskunft über die Vergangenheit und Zukunft des Universums geben.

Borill wollte mit seiner Arbeit an den Supercomputern des National Energy Research Scientific Computing Center zusammen mit Wissenschaftlern des Center for Particle Astrophysics der University of California in Berkeley Antworten auf grundlegende kosmologische Fragen finden: Warum gibt es so viel mehr Materie als Antimaterie im Universum? Und wieso ist der Kosmos so klumpig, sowohl auf Ebene der Galaxien als auch der Galaxien-Superhaufen? "Wenn genug Zeit da ist, kann die Gravitation dafür sorgen, daß sich Sterne, Galaxien und noch größere Strukturen bilden", erzählt er. "Aber dafür muß es das richtige Maß an anfänglichen Störungen in der Dichte des frühen Universums gegeben haben. Ein Kandidat, der diese Störungen verursacht haben könnte, sind die semilocal strings."

Borill betont, daß die semilocal strings nicht mit den fundamentalen Gebilden der Stringtheorie zu verwechseln seien, aus welchen sich die Teilchen der subatomaren Welt aufbauen könnten. Eher sind sie schon mit anderen potentiellen Bewohnern des sehr frühen Universums verwandt – den kosmischen Strings. Während aber kosmische Strings ein reines Produkt der Topologie des Vakuums sind, setzen die semilocal strings ein kompliziertes Wechselspiel von Quantenmaterie und Kraftfeldern voraus. "Semilocal strings sind viel komplizierter", erläutert Borill. "Sie sind wie magnetische Röhren mit einem Nord- und einem Südpol. Acht Quantenfelder sind nötig, um sie zu erzeugen – vier Materiefelder und vier Kraftfelder.

Eine Sache, die kosmische Strings und semilocal strings gemeinsam haben, ist ihre Verbindung zu Phasenübergängen im frühen Universum. Als die heute getrennten Kräfte – elektromagnetische, schwache und starke Kraft sowie Gravitation – aus der einzelnen einheitlichen Kraft hervorgingen, die seit dem Urknall existierte, könnten sich auch die Strings gebildet haben und mit ihnen die winzigen Dichteschwankungen, die Samen der großräumigen Strukturen im Kosmos.

Das Konzept der semilocal strings hat gegenüber der Idee von den kosmischen Strings einige Vorteile. So kann es nach Borrills Aussage "die Frage beantworten, warum es mehr Materie als Antimaterie im Universum gibt. Ein Punkt, den man sich bei der Entstehung dieser Asymmetrie ansehen sollte, sind die Wechselwirkungen an den Oberflächen dieser magnetischen Röhren."

Aber die Theorie der semilocal strings war zu kompliziert und zu wenig verstanden, um Modelle zu errichten. Dies gelang erst, als er seine neuen Berechnungen auf einer Cray T3E laufen lassen konnte. Frühere Arbeiten mit Arbeitsplatzrechnern konnten nur eine Million Anfangswerte für Quantenfelder bewältigen. Damit wurde jedoch nur ein winziges Volumen des Universums simuliert – viel zu wenig, um die Eigenschaften der Strings zu untersuchen. "Manche Leute behaupteten, semilocal strings könnten sich nicht bilden, oder falls doch, würde es auch keinen Unterschied [in der Entwicklung des Universums] ausmachen", sagt Borrill. "Wenn nur wenige entstünden – ihre Dichte also zu niedrig wäre – könnten sie sich auf sich selbst beziehen, schrumpfen und schnell wieder verschwinden." Mit dem Superrechner war es aber möglich, deutlich über drei Milliarden Startwerte für das Quantenfeld einzugeben und die Cray die weitere Entwicklung des Systems berechnen zu lassen.

Die Simulation interpretierte Borrill zusammen mit Kevin Campbell. Sie erstellten dreidimensionale Bilder und Filme, um das Verhalten der Strings qualitativ zu verstehen. "Wir hatten vorher nicht wissen können, was wir sehen würden", erzählt Borrill. "In der Tat haben wir gezeigt, daß semilocal strings sehr wohl existieren können – genug Strings, so daß sie eher Kontakt zu ihren Nachbarn als zu sich selbst suchen. Daher wachsen viele von ihnen recht schnell an, und das Netz der Strings als ganzes ist recht ausdauernd. Aber ich war überrascht, daß es keinen Austausch gab, in dem zwei Strings einander kreuzen und die Partner tauschen. Bei kosmischen Strings wird dies als wesentlicher Prozess angesehen."

Nachdem die ersten Berechnungen das Prinzip der semilocal strings bstätigt haben, wollen sich die Forscher nun den komplizierteren Fragen zuwenden. Unter anderem möchten sie die Unregelmäßigkeiten in der kosmischen Hintergrundstrahlung erklären – dem ältesten Überrest des Urknalls, den wir direkt beobachten können. "Es ist eine Herausforderung, Theorien zum frühen Universum zu testen, wenn wir nur Milliarden Jahre nach dem Ereignis Beobachtungen anstellen können."

Borill und seine Mitarbeiter haben bereits am 15. März 1998 in Physical Review D (Abstract) Ergebnisse zur Bildung der semilocal strings veröffentlicht. Die neuesten Resultate sind bei Physical Review Letters eingereicht.

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