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News: Gleiche Kraft für alle

Physiker haben die Schwerkraft einer neuen Probe unterworfen. Wie in einer modernen Version von Galileis legendären Fallexperimenten vom schiefen Turm von Pisa testeten sie diesmal direkt, ob die Gravitation in gleicher Weise auf einzelne Atome wie makroskopische Objekte, die unzählige Atome enthalten, wirkt. Ihre Schlußfolgerung scheint nicht überraschend: Die Schwerkraft ist identisch in atomaren wie in alltäglichen, makroskopischen Bereichen. Die mit Hilfe der Atominterferometrie gewonnenen Ergebnisse widersprechen jedoch solchen, die aus Versuchen zur Interferenz von Neutronen gewonnen wurden.
Die Gravitation ist eine widerspenstige Kraft. Zwar ist sie nur 10hoch-43 mal so stark wie die elektromagnetische Kraft und sorgt dafür, daß wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben, andererseits sperrt sie sich jedoch hartnäckig dagegen, mit den anderen fundamentale Wechselwirkungen – also der die elektromagnetische, starke und schwache Kraft – in einen Topf werfen zu lassen. Auch die Vereinigung von Gravitationstheorie und Quantenmechanik ist nach wie vor nicht gelungen. Was liegt da näher als nachzuprüfen, ob die Schwerkraft im ganz Kleinen nicht doch ein klein wenig anders wirkt als im Falle von Äpfeln und Planeten.

Um diese alles andere als einfache Aufgabe zu bewerkstelligen, bedienten sich Steven Chu, Physiknobelpreisträger des Jahres 1997, und Keng Yeow Chung von der University of Stanford zusammen mit Achim Peters von der Universität Konstanz einer Technik, die Atominterferometrie genannt wird. Wie sie in Nature vom 26. August 1999 berichteten, konnten sie die bislang genausten Messungen der Beschleunigung einzelner Atome durchführen – nach ihren Schätzungen sind die Ergebnisse bis auf ein drei Milliardstel genau.

Optische Interferometrie

Die Atominterferometrie basiert auf ähnlichen Prinzipien wie optische Interferometer, die bereits seit mehr als hundert Jahre für hochpräzise Messungen von Längen und anderen physikalischen Größen verwendet werden. In einem optischen Interferometer wird ein Lichtstrahl in zwei Teile aufgespalten und nachdem diese zwei verschiedene Wege durchlaufen haben, werden sie wieder zu einem einzigen Strahl vereinigt. Dabei addieren oder subtrahieren sich die Wellenzüge, so daß ein charakteristisches Lichtmuster entsteht, das von dunklen Bändern durchzogen ist – den sogenannten Interferenzstreifen. Anhand von Lage und Abstand dieser Streifen können Unterschiede im Weg der beiden Lichtstrahlen mit großer Genauigkeit gemessen werden.

Atominterferometrie

Ein Atominterferometer arbeitet im Prinzip auf gleiche Weise, nur werden hier Atome statt Lichtstrahlen verwendet. Auch Atomen kann eine Wellenlänge zugeordnet werden, ihre quantenmechanische Wellennatur läßt sich jedoch nur unter sehr speziellen Bedingungen nachweisen, die hohe Anforderungen an die Experimentatoren stellen, etwa in Bezug auf die Kühlung der Versuchsanlage. Die Atome werden ähnlich wie das Licht im optischen Interferometer in zwei räumlich getrennte Wellen aufgeteilt und bilden bei ihrer Vereinigung ebenfalls Muster vergleichbar den optischen Interferenzmuster aus. Um die Schwerkraft, die auf die Atome wirkt, mit derjenigen für größere Objekte, vergleichen zu können, verwendeten Chu und seine Kollegen parallel dazu ein modernes Gravimeter der National Oceanic und Atmospheric Administration. Bei diesem handelt es sich um ein optisches Interferometer, dessen Lichtstrahl in einem Teilarm von einem freifallenden Glaswürfel reflektiert wird. Durch Messung der Geschwindigkeit, mit der sich das Interferenzmuster während des Falls des Würfels bewegt, können die Wissenschaftler die Kraft der Gravitation, die auf diesen wirkt, mit einer Genauigkeit von zwei Milliardstel messen.

Nachdem 1991 die ersten Atominterferometer an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig, beim Massachusetts Institute of Technology und an der Universität Konstanz in Betrieb genommen wurden, entwickelten Chu und sein Kollege Mark Kasevich, der jetzt eine Arbeitsgruppe an der Yale University leitet, einen neuen Typus, bei dem die Beugungsgitter durch lasergekühlte Atome und optische Pulse ersetzt wurden. Sie kühlten einen Ansammlung von Cäsiumatomen bis auf wenige millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt ab. Während sich Atome bei Zimmertemperatur mit Überschallgeschwindigkeit "zittern", kriechen sie bei den extrem niedrigen Temperaturen mit nur wenigen Zentimetern pro Sekunde dahin. Damit wird es wesentlich einfacher, ihren Ort und ihre Geschwindigkeit zu messen. Wie ein Wasserstrahl in einem Springbrunnen bewegen sich die langsamen Atome in einem Bogen. Laserpulse teilen diesen auf und vereinigen ihn anschließend wieder. Aus den Interferenzstreifen, die dabei entstehen, können die Physiker genaue Messungen der Atomgeschwindigkeiten im freien Fall vornehmen.

Wirkt die Schwerkraft auf alles gleich?

Das Ergebnis ihrer Versuche lautet, daß die Schwerkraft auf einzelne Atome wie auf größere Objekte mit einer Genauigkeit von sieben Milliardstel genau gleich wirkt. Auch wenn dieses Ergebnis für andere Wissenschaftler keine große Überraschung darstellt, unterscheidet es sich doch deutlich von Resultaten aus ähnlichen Experimenten, die unter anderem an der University of Missouri-Columbia durchgeführt wurden. Dort wurde die Schwerkraft, die auf Neutronen wirkt, mit Hilfe der Neutroneninterferometrie untersucht. Dabei fanden die Forscher einen Unterschied von einigen Prozent zwischen der Schwerkraft, die auf Neutronen, und derjenigen, die auf makroskopische Körper wirkt. Die Ergebnisse von Chu und seinen Mitarbeitern erhöhen die Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Folgerung einer unterschiedlichen Wirkung der Gravitation bei verschiedenen Größenskalen aus den Neutronenmessungen inkorrekt sein könnte. "Da die grundlegenden physikalischen Prinzipien in der Atom- wie in der Neutroneninterferometrie die gleichen sind, zeigt unser Experiment, daß einige Aspekte der Neutroneninterferometrie noch nicht richtig verstanden sind", meint Chu.

Vom Nutzen der Atominterferometer

Chu betont die Wichtigkeit der Atominterferometrie als neue Methode für extrem genaue Messungen, da sie gergleichbar exakt wie die meisten empfindlichen Meßgeräten in der Physik. Das derzeitige Experiment stellt eine millionenfache Steigerung der Genauigkeit im Vergleich zu früheren Atominterferometern dar, teilen die Wissenschaftler in ihrer Nature-Veröffentlichung mit. So konnten Forscher bereits vor einiger Zeit zeigen, daß Atominterferometer als präzise Gyroskope und Beschleunigungsmesser verwendet werden können. Chu, Chung und Peters wiesen auch die Verwendung als ultra-empfindliche Gravimeter nach. Ähnliche Instrumente herkömmlicher Bauart, Schwerkraft-Gradiometer genannt, werden zum Beispiel für das Auffinden von Erdölvorkommen verwendet.

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