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Meeresökologie: Gleichgewicht der Schrecken

Umweltverschmutzung, Fischerei und Erderwärmung machen Korallen zu schaffen: Riffe sterben ab und werden von schleimigen Algen überzogen. Vulkanausbrüche bringen den Blumentieren dagegen mitunter Segen - sie verschaffen ihnen Kühle in heißen Zeiten.
Abgestorbene Korallenstöcke
Der Jahreswechsel von 1997 zu 1998 markierte keine gute Zeitenwende für die Korallen der Erde. Etwa 16 Prozent aller Riffe weltweit wurden damals schwer geschädigt oder starben sogar ab. Der Grund: Ein extremes El-Niño-Ereignis heizte ihnen in vielen Regionen zu sehr ein. Denn Korallen fühlen sich bei Wassertemperaturen um 26 Grad Celsius am wohlsten, übersteigen diese für längere Zeit die 28- oder gar 30-Grad-Celsius-Marke, setzt dagegen die Korallenbleiche ein – ein von Meeresökologen gefürchteter Prozess, während dem die skelettbildenden Hohltiere ihre Algenuntermieter abstoßen.

Relativ gesundes Korallenriff bei Bonaire | Relativ gesundes Korallenriff bei Bonaire mit hoher Artenvielfalt: Womöglich haben Vulkanausbrüche sein Ausbleichen verhindert.
Diese so genannten Zooxanthellen versorgen ihre Gastgeber jedoch mit Nährstoffen und erhalten dafür Phosphate sowie ein relativ sicheres Zuhause. Warum sich Korallen so plötzlich von ihren nützlichen Dienstleistern trennen, ist nicht geklärt: Womöglich streikt die Fotosynthese der Algen bei zu hohen Temperaturen oder aber sie produzieren auf einmal Gifte, vor denen sich die Korallen schützen müssen.

Für eine gewisse Zeit können sich die Riffbaumeister danach noch selbst ernähren; und pendeln sich die Temperaturen bald wieder auf ein normales Maß ein, so nehmen die Korallen die Algen auch wieder auf, und das Ökosystem überlebt. Bleibt es aber über Wochen oder gar Monate zu warm, reichen die beschränkten Fang- und Filterkünste der Korallen nicht mehr aus und sie sterben. Noch vor dem Tod zeigt sich dieser Notstand optisch sehr deutlich, denn die Algen verleihen den Korallen auch die bunten Farben: Nach der Verbannung bleibt eine gespenstische Blässe am Riff zurück.

Gefährlich wird es für die Hohltiere alle drei bis sieben Jahre, wenn die Klimaanomalie El Niño wiederkehrt. Dann schlafen die Passatwinde an Südamerikas Westküste ein, statt kaltem Auftriebswasser dominiert hier nun ein warmer Gegenstrom aus den Tropen. In der Folge verlagern sich weltweit Niederschlags- und Trockengebiete entlang des Äquators: In Wüsten regnet es, Regenwälder brennen, und viele Meere erwärmen sich, weil veränderte Windsysteme die Verdunstung und damit deren kühlenden Effekt reduzieren. El Niño bedeutet also eher schlechte Zeiten für die temperaturempfindlichen Korallen, und daher verwundert es kaum, dass während der letzten 25 Jahre mehrere globale Korallenbleichen in direkten Zusammenhang mit gleichzeitig oder kurz zuvor ablaufenden El Niños gebracht werden können.

Die Jahre 1982/83 und 1991 bis 1994 machen davon jedoch eine Ausnahme: Trotz außergewöhnlich starker El-Niño-Bedingungen blieben außerhalb des Pazifiks größere Schäden an den Riffen aus – in der Karibik beispielsweise, wo ansonsten beides immer nahezu parallel einher ging, wie Meeresbiologen um Jennifer Gill von der University of East Anglia in Norwich notierten. Was bewahrte die bunten Gebilde vor dem sonst anscheinend gängigen Hitzeschock?

Ausgebleichte Koralle | Ausgebleichte Koralle bei den Virgin Islands in der Karibik: Zu warmes Wasser ist potenziell tödlich für Korallen.
Verantwortlich für die Erwärmung des Wassers ist – neben veränderten Meeresströmungen und Windsystemen – hauptsächlich die Sonneneinstrahlung: Dringt sie ungehindert durch die Atmosphäre, heizt sie dem Ozean ein; wird sie dagegen durch starke Wolkenbildung oder viele Aerosole geblockt, wirken diese wie ein Schutzschirm, und das Wasser bleibt relativ kühler.

Genau diesem Zusammenhang gingen nun auch die Forscher nach, denn kurz vor beziehungsweise während der El Niños von 1982/83 und 1991 brachen die beiden Vulkane El Chichón in Mexiko (1982) und Pinatubo auf den Philippinen (1991) aus. Sie schleuderten beachtliche Mengen Aschen und Schwefeldioxid in die Atmosphäre, wobei Letzteres mit Wasser zu Schwefelsäuretröpfchen reagierte, die als entsprechende Wolken teils über Jahre die Erde verschleierten. Als Sonnenblocker senkten sie die Temperaturen regional um ein bis zwei Grad ab, je nachdem wohin die atmosphärischen Strömungen sie verdrifteten.

Für die Korallen entschieden bereits diese moderaten Abkühlungen über Wohl und Wehe, wie Modellrechnungen bestätigten: El-Niño-Perioden mit sauberer Luft verursachten in der Karibik fast das Zwanzigfache an Schäden im Vergleich zu den beiden Ereignissen mit den Vulkanausbrüchen. Bereits eine zehnprozentige Reduzierung der Aerosolmenge in der Luft lässt demnach das Ausmaß der Bleiche um ein Drittel anschwellen.

Dass gerade das amerikanische Nebenmeer von den Eruptionen profitierte, hängt womöglich auch noch mit der ohnehin hier meist höheren Staubkonzentration in der Atmosphäre zusammen, denn Passatwinde tragen regelmäßig Partikel aus der Sahara und der Sahelzone ein. Mehrere Millionen Tonnen jährlich schweben über den Atlantik gen Westen. Zusammen mit den Vulkanaschen können sie offensichtlich die Korallen durch kritische Warmphasen bringen – bisweilen aber mit unangenehmen Spätfolgen: Denn mit dem Saharaschmutz reisen manchmal auch tödliche Keime. Statt an Überhitzung verenden die Riffe dann an eingeschleppten Krankheiten.

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