Mikrobiologie: Globale Giftmischer
Steinchen für Steinchen puzzelten Wissenschaftler in den vergangenen Jahren die Geschichte einer rätselhaften Südsee-Erkrankung zusammen. Und wie schon befürchtet, bestätigt sich jetzt: Die Giftmischer von Guam sind überall.
Guam-ALS-PD-Demenz-Komplex klingt wohl kaum nach Krimi, und doch liest sich die Geschichte dahinter wie ein solcher. Denn in einer spannenden Täterjagd haben Forscher um Paul Alan Cox vom National Tropical Botanical Garden Indiz um Indiz zusammengefügt, warum die Chamorro-Insulaner auf Guam so auffallend häufig an einer Mischung von amyotropher Lateralsklerose, Parkinson-Krankheit und Alzheimer-Demenz (ALS/PDC) leiden.
Als Auslöser der Krankheit mit dem sperrigen Namen gilt schon seit Ende der 1960er Jahre die Aminosäure beta-Methylamino-Alanin (BMAA), die in Tierversuchen ihre neurotoxische Wirkung bewies – dabei gehört sie gar nicht zum pflanzlichen, tierischen und damit auch menschlichen Repertoire der Protein-Bausteine. Trotzdem zählten als Hort und damit erste Verdächtige die in Guam zu Mehl vermahlenen Palmfarnsamen. In denen allerdings liegen nach traditioneller Zubereitungsweise die BMAA-Mengen im unbedenklichen Bereich – wie also kam das Gift in die Chamorro? Im August 2003 spürten Cox und seine Kollegen das nächste Indiz auf: Auch Flughunde lassen sich die Samen schmecken – und wurden ihrerseits von den Insulanern als Festessen verspeist. Und da sich das Gift im Körper der Tiere anreichert, gelangt damit eine nicht unerhebliche Dosis in den Menschen.
Das Rätsel darum, wie sich ihrerseits die Palmfarnsamen vergiften, löste sich im November 2003: Cyanobakterien in oberflächlichlichen Wurzeln der Pflanzen entpuppten sich als Toxin-Produzenten. Damit wurde aus der lokalen plötzliche eine globale Geschichte, denn die entlarvte Gattung Nostoc ist weit verbreitet und lebt auch eng mit anderen Pflanzen zusammen. Passend dazu entdeckten die Forscher BMAA auch in Gewebeproben verstorbener Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen aus Kanada, die nachweislich nie Flughundhäppchen gekostet hatten. Und die Befürchtungen einer bislang versteckten Gefahr mehrten sich, als das Wissenschaftlerteam im August 2004 feststellte, dass BMAA tatsächlich in menschliche Proteine eingebaut und erst nach und nach beim Abbau der Eiweiße wieder freigesetzt wird – eine tickende Zeitbombe, die weltweit auftreten könnte, warnten die Wissenschaftler damals.
Alle Cyanobakterien, so scheint, besitzen demnach zumindest die Fähigkeit, BMAA zu synthetisieren. Aber was bringt den Cyanobakterien diese spezielle Aminosäure? Da sie quer durch deren Angehörige verbreitet ist, muss ihr Syntheseweg sehr alt sein. Damit aber entstand er wohl vor der Zeit, in der BMAA als Abwehrmittel gegen Organismen mit Nervensystem wirken könnte, die den Mikroorganismen hungrig zu nahe treten. Da die Aminosäure aber in eingebauter Variante in Proteinen deren dreidimensionale Gestalt beeinflusst, könnte sie für einige typische Stoffwechselprozesse von Cyanobakterien eine Rolle spielen, spekulieren die Forscher.
Einen ersten Hinweis für eine ausgedehntere Täterschaft gibt es jedenfalls schon: Als Mäuse nach dem Genuss von Meerwasser, in dem gerade das Cyanobakterium Trichodesmium erythraeum kräftig blühte, schwerste neurologische Schäden zeigten, blieb der Verantwortliche ein Rätsel: Die üblichen Verdächtigen mit entsprechend geringem Molekulargewicht ließen sich in den Proben nicht nachweisen. Vielleicht sollte in einem solchen Fall zukünftig auf BMAA getestet werden, empfehlen Cox und seine Kollegen. Da dürfen wir doch gespannt sein, in welcher Region das nächste Kapitel des alles andere als lokalen Guam-ALS-PD-Demenz-Komplex-Krimis spielt.
Als Auslöser der Krankheit mit dem sperrigen Namen gilt schon seit Ende der 1960er Jahre die Aminosäure beta-Methylamino-Alanin (BMAA), die in Tierversuchen ihre neurotoxische Wirkung bewies – dabei gehört sie gar nicht zum pflanzlichen, tierischen und damit auch menschlichen Repertoire der Protein-Bausteine. Trotzdem zählten als Hort und damit erste Verdächtige die in Guam zu Mehl vermahlenen Palmfarnsamen. In denen allerdings liegen nach traditioneller Zubereitungsweise die BMAA-Mengen im unbedenklichen Bereich – wie also kam das Gift in die Chamorro? Im August 2003 spürten Cox und seine Kollegen das nächste Indiz auf: Auch Flughunde lassen sich die Samen schmecken – und wurden ihrerseits von den Insulanern als Festessen verspeist. Und da sich das Gift im Körper der Tiere anreichert, gelangt damit eine nicht unerhebliche Dosis in den Menschen.
Das Rätsel darum, wie sich ihrerseits die Palmfarnsamen vergiften, löste sich im November 2003: Cyanobakterien in oberflächlichlichen Wurzeln der Pflanzen entpuppten sich als Toxin-Produzenten. Damit wurde aus der lokalen plötzliche eine globale Geschichte, denn die entlarvte Gattung Nostoc ist weit verbreitet und lebt auch eng mit anderen Pflanzen zusammen. Passend dazu entdeckten die Forscher BMAA auch in Gewebeproben verstorbener Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen aus Kanada, die nachweislich nie Flughundhäppchen gekostet hatten. Und die Befürchtungen einer bislang versteckten Gefahr mehrten sich, als das Wissenschaftlerteam im August 2004 feststellte, dass BMAA tatsächlich in menschliche Proteine eingebaut und erst nach und nach beim Abbau der Eiweiße wieder freigesetzt wird – eine tickende Zeitbombe, die weltweit auftreten könnte, warnten die Wissenschaftler damals.
Das nächste Kapitel untermauert nun diese Warnung: Cox und seine Mitarbeiter nahmen sich Proben von Cyanobakterien aus aller Welt vor – aus natürlichen wie aus Laborquellen –, und suchten nach BMAA-Produzenten. Und siehe da: Nahezu alle Vertreter, von frei lebenden Arten bis Symbionten von Flechten, Moosen und höheren Pflanzen, stellten die ungewöhnliche Aminosäure in mehr oder weniger großen Mengen her. In der Trefferliste steht beispielsweise auch Nodularia, die in der Ostsee regelmäßig für "Algenblüten" sorgt.
Alle Cyanobakterien, so scheint, besitzen demnach zumindest die Fähigkeit, BMAA zu synthetisieren. Aber was bringt den Cyanobakterien diese spezielle Aminosäure? Da sie quer durch deren Angehörige verbreitet ist, muss ihr Syntheseweg sehr alt sein. Damit aber entstand er wohl vor der Zeit, in der BMAA als Abwehrmittel gegen Organismen mit Nervensystem wirken könnte, die den Mikroorganismen hungrig zu nahe treten. Da die Aminosäure aber in eingebauter Variante in Proteinen deren dreidimensionale Gestalt beeinflusst, könnte sie für einige typische Stoffwechselprozesse von Cyanobakterien eine Rolle spielen, spekulieren die Forscher.
Allerdings produzieren die Mikroorganismen BMAA nicht am laufenden Band: In zeitlich aufeinander folgenden Proben wiesen die Wissenschaftler das Toxin nur einmal nach. Doch damit eröffnen sich womöglich ganz neue, ungeahnte Wege des schleichend wirkenden Giftes in den Menschen, spekulieren die Forscher: Wer weiß schon, was damit in Rindern oder anderen Weidetieren passiert, die in bestimmten Jahreszeiten entsprechende Flechten fressen und damit BMAA aufnehmen. Auch verseuchtes Wasser könnte zur ungesunden Quelle werden oder weitere Nahrungsketten, in denen sich das Gift anreichert – Cyanobakterienblüten können riesige Ausmaßen annehmen, die sich auch auf die marine Tierwelt auswirken. Und dass der Vergiftungsprozess so langsam abläuft und die Symptome erst Jahre später auftreten, erschwert es nun einmal sehr, den Schuldigen dingfest zu machen.
Einen ersten Hinweis für eine ausgedehntere Täterschaft gibt es jedenfalls schon: Als Mäuse nach dem Genuss von Meerwasser, in dem gerade das Cyanobakterium Trichodesmium erythraeum kräftig blühte, schwerste neurologische Schäden zeigten, blieb der Verantwortliche ein Rätsel: Die üblichen Verdächtigen mit entsprechend geringem Molekulargewicht ließen sich in den Proben nicht nachweisen. Vielleicht sollte in einem solchen Fall zukünftig auf BMAA getestet werden, empfehlen Cox und seine Kollegen. Da dürfen wir doch gespannt sein, in welcher Region das nächste Kapitel des alles andere als lokalen Guam-ALS-PD-Demenz-Komplex-Krimis spielt.
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