Vogelevolution: Gluck, gluck, da war er

Zu Unrecht: In der Zwischenzeit gruben Kollegen der damaligen Forscher an der gleichen Fundstelle die Überreste von fünfzig weiteren Exemplaren aus – darunter Skelette, denen bis auf den Kopf nichts fehlte und deren Knochen meist nicht zusammengedrückt waren. Diese Fossilien könnten nun den Stammbaum der Vögel wenn nicht revolutionieren, dann doch zumindest beträchtlich erweitern und beleuchten.
Denn das Leben der modernen Vertreter der Klasse Aves könnte auf dem Wasser begonnen haben, so der Paläontologe Jerald Harris vom Dixie State College in Utah und seine Kollegen. Neben den Abdrücken und Versteinerungen von Federn bewahrte das feinkörnige Sediment auch noch ein ganz spezielles Merkmal von Wasservögeln: Gansus yumenensis – so der vollständige Name der Art – paddelte mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen durch seinen aquatischen Lebensraum.
Auch Becken, Knie und Beine der Tiere unterstreichen diesen Lebensweise, ihr Bau ähnelt jenem der heutigen See- und Lappentaucher, die mit kräftigen Beinbewegungen geschickt und schnell unter Wasser auf Jagd gehen. Sie alle besitzen einen ausgeprägten knöchernen Kamm am Laufknochen unterhalb des Knies, an dem kräftige Muskeln sitzen, die den Vogel antreiben – auch beim Laufstart übers Wasser zum Fliegen. Die Höcker aber, an denen einst die Beugemuskeln ihrer Zehen ansetzten, sind bei Gansus ziemlich groß, was wiederum eher auf eine Verwandtschaft mit Reihern, Watvögeln oder Tauchenten hindeutet.
Die Unterwasserschwimmfähigkeiten von Gansus yumenensis lagen damit wohl eher zwischen jenen von Tauchern und den etwas weniger wendigen Enten. Der Ur-Taucher ernährte sich je nachdem wahrscheinlich von Fischen, Wasserinsekten und ähnlichem Getier oder Wasserpflanzen. Doch bleiben seine genauen Fressgewohnheiten noch so lange im Dunkeln, bis die Wissenschaft nicht auch den Kopf der Vögel findet.
Der chinesische Taucher teilte seine Vorliebe für Wasser mit späteren Ornithurae der Kreidezeit, während ihre Enantiornithes-Konkurrenz das Land dominierte und dort die Rolle von Singvögeln, Greifen oder Spechten einnahm. Womöglich blieben den modernen Vögeln anfänglich also nur See- und Uferökosysteme als Nischen, in denen sie sich entwickeln konnten, wenngleich ein paar Arten – Vorfahren von Straußen und Hühnern – schon wenig später in der Kreide zu einem rein terrestrischen Lebensstil übergingen.
Die richtig große Zeit von Gansus und Konsorten folgte allerdings erst nach dem Kreide-Tertiär-Massenaussterben vor 65 Millionen Jahren, bei dem nicht nur die Dinosaurier von der Bildfläche verschwanden, sondern auch die ungewöhnlichen Enantiornithes. Nun war Platz für eine regelrechte Explosion der Artenvielfalt der Vögel, die mit heute knapp 10 000 Arten die Erde bevölkern.
Das Schicksal einer zumindest anfänglichen wissenschaftlichen Missachtung hat Gansus yumenensis übrigens mit Vegavis iaai gemein, mit immerhin 68 Millionen Jahren eine ebenfalls relativ alte Ente aus der Spätzeit der Dinos. Auch ihr Fossil gammelte lange Jahre in wissenschaftlichen Sammlungen vor sich hin, bis ein Forscher ihren wahren Wert entdeckte – gegen Dinosaurier konkurriert es sich also ziemlich schlecht um Aufmerksamkeit. Aus Sicht der Enten und Taucher dürfte der evolutionäre Sieg jedoch wohl deutlich höher stehen.
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