Wissenschaft im Alltag: Glückliche Landung
Wer läuft, kann auch fliegen. Spezielles Schuhwerk federt die Kollision mit dem Boden ab.
Sport ist gesund, Bewegungsmangel hingegen fördert Übergewicht
und Haltungsschäden. Wie gut, dass gerade Ausdauersportarten
wie Joggen oder Walken derzeit "in" sind. Doch der
Trend hat auch seine Schattenseiten. Als die Natur uns im Lauf
der Jahrmillionen fit für den Dauerlauf machte, war noch keine Rede von Asphalt und Beton. Verletzungen,
Gelenkbeschwerden und Entzündungen von Sehnen und Bändern
gehören heutzutage deshalb oft zum Läuferalltag.
Laufschuhe bieten einen Ersatz für die Sand- und Grasböden, die unsere Vorfahren in den Savannenlandschaften Afrikas vorfanden. Darüber hinaus sind sie Sportgeräte, die den Fuß in seiner Bewegung führen, um Belastungen der Knochen, Sehnen, Bänder und Knorpel zu minimieren und Muskelarbeit optimal in Vortrieb umzusetzen.
Biomechanisch lassen sich drei Phasen der Laufbewegung
unterscheiden: Aufsetzen, Abrollen und Abstoßen. Während
Geher und Walker immer einen Fuß auf dem Boden haben, gehört
zum Joggen eine kurze Flugphase. Das macht zwar schnell,
doch etwa zehn bis dreißig Millisekunden nach der Landung
wirken zwei- bis viermal so große Gewichtskräfte auf die Gelenke
wie im Stand. Die Muskulatur benötigt aber etwa vierzig
Millisekunden, um darauf zu reagieren und Stoßkräfte durch
Kontraktion zu absorbieren. Dem tragen Laufschuhe durch
gute Stabilität im Fersenbereich ebenso Rechnung wie durch
eine Dämpfung mittels Schaumstoffen, Gel- oder Gaskissen.
Dabei darf es nicht das Ziel sein, die gesamte Energie des Aufpralls
abzupuff ern – der Körper braucht Belastungsreize. Ein zu
weicher Schuh kann den Abbau von Muskeln und Fasern des
Bandapparats, sogar die Entmineralisierung von Knochen zur
Folge haben.
Unmittelbar nach dem Bodenkontakt kippt der Fuß leicht nach innen (fachlich: Pronation). Diese Bewegung erfolgt im unteren Sprunggelenk, das Rück- und Vorfuß voneinander entkoppelt. Letzterer kann sich dadurch leichter auf den Untergrund einstellen, außerdem vernichtet dieses leichte Kippen kinetische Energie, dämpft also Stoßkräfte. Ende der 1980er Jahre begann Adidas deshalb, die Sohle in Vor- und Rückfuß zu teilen und beide Bereiche gegeneinander verdrehbar durch so genannte Torsionselemente zu verbinden. Die anderen Hersteller zogen nach, doch bald klagten Läufer über Beschwerden. Weil die Ferse im Schuh einige Zentimeter über dem Boden steht, wirken bei der Pronation starke Hebelkräfte, die völlige Entkopplung von Vor- und Rückfuß überforderte die nicht mehr an das Barfußlaufen gewöhnten Füße. Heute wird ein Schuh deshalb häufig im Übergangsbereich stärker tailliert, sodass er sich dort auch verdrehen kann.
Problematisch sind heutzutage vor allem die Fußfehlstellungen, allen voran die "Überpronation". Dieses ausgeprägte Nachinnen-Kippen mit Anheben des Fußaußenrands und des Fersenbeins belastet Sehnen und Bänder. Typische Symptome sind Entzündungen und Reizungen der Achillessehne oberhalb des Schuhs; der Bänder, die das Fußgewölbe spannen; der Knochenhaut an der Innenkante des Schienbeins und eines Muskelansatzes am unteren Rand der Kniescheibe. Dass die Folgen der Überpronation so vielfältig sein können, hat seinen Grund wieder in der Biomechanik: Im oberen Sprunggelenk wird aus dem Kippen des Fußes eine Einwärtsbewegung des Schienbeins Richtung Knie und Hüfte. Etwa 75 Prozent aller Läufer überpronieren, oft ohne dies zu wissen.
Die Schuhhersteller setzen dem ein Stabilitätskonzept entgegen, bestehend aus einer weiter vorgezogenen Fersenkappe und einer härteren Mittelsohle auf der Schuhinnenseite. Beides soll die übermäßige Bewegung bremsen. Doch Stefan Grau, Leiter des Biomechanik-Labors an der Medizinischen Universitätsklinik in Tübingen hat nach der Untersuchung von mehreren hundert Läufern mit Pronationsbeschwerden seine Zweifel: "Etwa achtzig Prozent von ihnen zeigen die Symptome, obwohl sie bereits Stabilitätsschuhe tragen." Im Auftrag des Herstellers Nike entwickelte seine Gruppe deshalb ein neues Konzept, vergleichbare Arbeiten erfolgten auch im japanischen Forschungszentrum von Asics.
"Ein Läufer setzt meist auf der Fersenaußenseite auf. Wir machen den Schuh dort weicher und teilen diesen Bereich zudem durch eine Kerbe in der Mittelsohle ab, die wie ein Gelenk wirkt. Der Fuß kann nun tiefer zum Boden sinken. Wenn er jetzt überproniert, sind die Hebelkräfte sehr viel schwächer und die Geschwindigkeit der Pronationsbewegung kleiner."
Nur ein bis fünf Prozent der Läufer haben nach Firmenangaben
ganz andere Sorgen. Sie kippen nach dem Aufsetzen nach
außen. Diese "Supination" kann Beschwerden im Bereich des
Innenmeniskus, an der Knieaußenseite, an der Hüfte und am
Achillessehnenansatz hervorrufen. Härtere Bereiche auf der
Schuhaußenseite erwiesen sich als wirkungslos, heute bietet
kaum eine der großen Marken spezielles Schuhwerk für diese
Klientel an – die vielleicht doch nicht so klein ist: "Etwa ein
Drittel unserer Patienten, die auf Grund des Joggens Beschwerden
haben, supinieren", berichtet Stefan Grau. Warum der herkömmliche
Ansatz ihnen keine Hilfe war, erkannte sein Team
nach eingehenden Tests: "Supination entsteht nicht nach dem
Aufsetzen, sondern ist Teil der Abstoßbewegung." Somit genüge
ein richtig platzierter "Detorsionskeil" in der Zwischensohle.
Eine weitere Maßnahme, die einige Hersteller ohnehin bereits
einsetzen: Durch den Leisten des Schuhs und durch gelenkige
Kerben in der Sohle wird eine Biegelinie vorgegeben, sodass das
Abrollen von der Ferse über die Außenkante bis zum Abstoß
mit dem Großzeh optimal verlaufen kann.
Je mehr solcher Sicherheitsfunktionen integriert werden, desto höher werden Gewicht und Preis. Ohne leichte Kunststoffe wären moderne Laufschuhe nicht möglich, trotzdem wiegt ein Pronationsschuh 300 bis 400 Gramm. Einer Faustregel zufolge erfordern 100 Gramm Schuhgewicht aber ein Prozent mehr Leistung. Minimalistisch ausgestattete Wettkampfschuhe kommen auf weniger als 200 Gramm. Allerdings benötigt nicht jeder eine Pronationsstütze. Wer bereits orthopädische Einlagen trägt, ist ohnehin mit einem Neutralschuh besser bedient.
Wussten Sie schon?
Pferde und Antilopen können einige Minuten lang bis zwanzig
Meter pro Sekunde schnell galoppieren – selbst gute Sprinter
erreichen kurzzeitig nur etwa die halbe Geschwindigkeit
und verbrauchen dabei noch doppelt so viel Energie. Laut den
amerikanischen Biologen Dennis M. Bramblin und Daniel E. Liebermann hat der Mensch aber stattdessen das ausdauernde
Laufen über lange Strecken entwickelt. Wie eine Feder
nimmt der Sehnen- und Bandapparat Energie auf und gibt sie
wieder ab, die Rumpfmuskulatur stabilisiert den Körper. Dies
sei für reines Gehen nicht erforderlich, müsse also in der
menschlichen Evolution eine wichtige Rolle gespielt haben.
Nach durchschnittlich 150 Kilometern hat eine Pronationsstütze
laut Untersuchungen am Sportinstitut der Universität
Duisburg etwa zwanzig Prozent ihrer Funktionsfähigkeit eingebüßt.
Auch Dämpfungselemente halten nicht ewig, Gel und
Gaskissen immerhin länger als die in preiswerten Schuhen
verwendeten EVA-Schaumstoffe.
Walking und Nordic Walking sind Varianten des Gehens. Da
immer ein Fuß Bodenkontakt hält, ist die Gelenkbelastung
geringer. Der Fuß setzt in steilerem Winkel als beim Laufen
auf und rollt weniger über die Fußaußenkante ab. Der Abstoßimpuls
ist zwar geringer, dafür treten aber höhere Biegemomente
auf und die Zehen werden stärker gespreizt.
Im Jahr 490 v. Chr. besiegte ein athenisches Heer nahe der
Stadt Marathon die Perser. Der Legende nach rannte der Siegesbote
Pheidippides in das etwa 39 Kilometer entfernte
Athen und brach dort tot zusammen. Beim ersten olympischen
Marathonlauf 1896 siegte Spyridon Louis, von Beruf Wasserträger,
in 2:58:50 Stunden. Als die Spiele 1908 nach London kamen,
startete das Rennen am Schloss Windsor und endete vor
der königlichen Loge im Stadion. Die Strecke betrug damit
42,195 Kilometer, diese Länge wurde 1921 offiziell ins Reglement
aufgenommen. Den derzeitigen Weltrekord von 2:04:55 Stunden lief der Kenianer Paul Tergat 2003 in Berlin.
Laufschuhe bieten einen Ersatz für die Sand- und Grasböden, die unsere Vorfahren in den Savannenlandschaften Afrikas vorfanden. Darüber hinaus sind sie Sportgeräte, die den Fuß in seiner Bewegung führen, um Belastungen der Knochen, Sehnen, Bänder und Knorpel zu minimieren und Muskelarbeit optimal in Vortrieb umzusetzen.
Unmittelbar nach dem Bodenkontakt kippt der Fuß leicht nach innen (fachlich: Pronation). Diese Bewegung erfolgt im unteren Sprunggelenk, das Rück- und Vorfuß voneinander entkoppelt. Letzterer kann sich dadurch leichter auf den Untergrund einstellen, außerdem vernichtet dieses leichte Kippen kinetische Energie, dämpft also Stoßkräfte. Ende der 1980er Jahre begann Adidas deshalb, die Sohle in Vor- und Rückfuß zu teilen und beide Bereiche gegeneinander verdrehbar durch so genannte Torsionselemente zu verbinden. Die anderen Hersteller zogen nach, doch bald klagten Läufer über Beschwerden. Weil die Ferse im Schuh einige Zentimeter über dem Boden steht, wirken bei der Pronation starke Hebelkräfte, die völlige Entkopplung von Vor- und Rückfuß überforderte die nicht mehr an das Barfußlaufen gewöhnten Füße. Heute wird ein Schuh deshalb häufig im Übergangsbereich stärker tailliert, sodass er sich dort auch verdrehen kann.
Problematisch sind heutzutage vor allem die Fußfehlstellungen, allen voran die "Überpronation". Dieses ausgeprägte Nachinnen-Kippen mit Anheben des Fußaußenrands und des Fersenbeins belastet Sehnen und Bänder. Typische Symptome sind Entzündungen und Reizungen der Achillessehne oberhalb des Schuhs; der Bänder, die das Fußgewölbe spannen; der Knochenhaut an der Innenkante des Schienbeins und eines Muskelansatzes am unteren Rand der Kniescheibe. Dass die Folgen der Überpronation so vielfältig sein können, hat seinen Grund wieder in der Biomechanik: Im oberen Sprunggelenk wird aus dem Kippen des Fußes eine Einwärtsbewegung des Schienbeins Richtung Knie und Hüfte. Etwa 75 Prozent aller Läufer überpronieren, oft ohne dies zu wissen.
Die Schuhhersteller setzen dem ein Stabilitätskonzept entgegen, bestehend aus einer weiter vorgezogenen Fersenkappe und einer härteren Mittelsohle auf der Schuhinnenseite. Beides soll die übermäßige Bewegung bremsen. Doch Stefan Grau, Leiter des Biomechanik-Labors an der Medizinischen Universitätsklinik in Tübingen hat nach der Untersuchung von mehreren hundert Läufern mit Pronationsbeschwerden seine Zweifel: "Etwa achtzig Prozent von ihnen zeigen die Symptome, obwohl sie bereits Stabilitätsschuhe tragen." Im Auftrag des Herstellers Nike entwickelte seine Gruppe deshalb ein neues Konzept, vergleichbare Arbeiten erfolgten auch im japanischen Forschungszentrum von Asics.
"Ein Läufer setzt meist auf der Fersenaußenseite auf. Wir machen den Schuh dort weicher und teilen diesen Bereich zudem durch eine Kerbe in der Mittelsohle ab, die wie ein Gelenk wirkt. Der Fuß kann nun tiefer zum Boden sinken. Wenn er jetzt überproniert, sind die Hebelkräfte sehr viel schwächer und die Geschwindigkeit der Pronationsbewegung kleiner."
Je mehr solcher Sicherheitsfunktionen integriert werden, desto höher werden Gewicht und Preis. Ohne leichte Kunststoffe wären moderne Laufschuhe nicht möglich, trotzdem wiegt ein Pronationsschuh 300 bis 400 Gramm. Einer Faustregel zufolge erfordern 100 Gramm Schuhgewicht aber ein Prozent mehr Leistung. Minimalistisch ausgestattete Wettkampfschuhe kommen auf weniger als 200 Gramm. Allerdings benötigt nicht jeder eine Pronationsstütze. Wer bereits orthopädische Einlagen trägt, ist ohnehin mit einem Neutralschuh besser bedient.
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Spektrum der Wissenschaft
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