Extreme Überhitzung: Gold widersetzt sich der Entropiekatastrophe

Gold kann auf mehr als das 14-Fache seines Schmelzpunkts erhitzt werden, ohne dass es schmilzt. Damit widerlegt es eine vermeintlich fundamentale Grenze für das Überhitzen, bei dem man extrem reine feste Stoffe unter bestimmten Umständen heißer machen kann, als ihre Schmelzpunkte erlauben. Diese liegt laut theoretischen Rechnungen etwa beim Dreifachen des Schmelzpunkts. Ab da erzwingen Naturgesetze, dass das überhitzte Material zerrinnt. Doch die in der Fachzeitschrift »Nature« erschienene Arbeit eines Teams um Thomas White von der University of Nevada in Reno zeigt, dass dieses als Entropiekatastrophe bezeichnete Zwangsschmelzen nicht eintritt. Dadurch stellen sich grundlegende Fragen über die Physik von Stoffen bei hohen Temperaturen und extrem schnellen Temperaturanstiegen.
Dass Schmelz- und Siedepunkte nicht absolut sind, kann man schon mit einfachen Experimenten mit Wasser zeigen. Im Gefrierfach bleibt es in einer Flasche oft erst flüssig und erstarrt dann bei der kleinsten Störung schlagartig. In einer Mikrowelle kann man Wasser deutlich heißer machen als 100 Grad Celsius. Man bezeichnet das als Unterkühlen und Überhitzen - und mit besonderen Verfahren kann man das sehr weit treiben. Im Jahr 1988 berichteten Fachleute jedoch, dass es für das Überhitzen von festen Körpern eine fundamentale Grenze gebe. Sie hängt mit der Entropie zusammen - einer physikalischen Größe, die beschreibt, wie viele unterschiedliche Zustände ein System aus sich selbst heraus erreichen kann, und die man oft salopp als Unordnung zusammenfasst. Demnach muss ein überhitzter Stoff zwangläufig sofort schmelzen, wenn die Entropie des Feststoffs gleich jener der Flüssigkeit bei dieser Temperatur ist. Diese Entropiekatastrophe passiert etwa beim Dreifachen des Schmelzpunkts.
Um diesen Prozess zu untersuchen, erhitzte die Arbeitsgruppe um White eine dünne Goldfolie mithilfe ultrakurzer Laserblitze. In Metallen wie Gold bilden die Atomkerne ein Kristallgitter, während sich die Elektronen im ganzen Metall frei bewegen können. Der Laserblitz regt die Elektronen an, die ihre Energie dann schnell über das gesamte System verteilen und es so aufheizen. Die Temperatur ermittelte das Team per Röntgenlaser. Dieser maß den Dopplereffekt durch die thermische Bewegung der Atomkerne und ließ gleichzeitig anhand der Kristallstruktur Rückschlüsse darauf zu, ob die Probe fest oder flüssig war.
Dabei ließ sich das Gold für wenige billionstel Sekunden auf ein Vielfaches seiner Schmelztemperatur aufheizen, weit über die Entropiekatastrophe hinaus. »Dieses bemerkenswerte Ergebnis stellt die bisherige Theorie des Überhitzens infrage«, bewertet Artur Tamm von der estnischen Universität Tartu in einem Kommentar in »Nature« die Arbeit. Es werfe allerdings auch die Frage auf, ob man die Temperatur überhaupt korrekt über die Bewegung der Teilchen messen könne - diese sei nämlich womöglich noch nicht im Gleichgewicht. Außerdem könnten die Laseranregungen den Schmelzpunkt des Golds selbst verändern. »Das ist trotzdem ein wichtiges Experiment. Es wäre interessant zu sehen, ob sich dieses Verhalten auch mit anderen Materialien reproduzieren lässt.«
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