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Goldschakale in Deutschland: Gekommen, um zu bleiben

Der Goldschakal hat weite Teile Osteuropas erschlossen und wird immer häufiger auch in Deutschland gesichtet. Was sind die Gründe für diese Entwicklung, und welche Folgen kann sie haben?
Goldschakal

Als sie das Knacken im Schilf hörte, ließ die Wildtierökologin Jennifer Hatlauf das Megafon sinken. Mehrmals hatte sie Aufnahmen eines Heulens in die Dunkelheit schallen lassen – eine höhere und schnellere Tonfolge als die des Wolfs. Nun lauschte sie in die Nacht. Am ungarischen Balaton ist die Chance auf eine Antwort niedriger als im Süden des Landes. Hatlauf suchte mit dem Nachtsichtgerät in Richtung des Geräuschs: »Plötzlich schaute ein Goldschakal aus dem Schilf«, erzählt die Forscherin. Erst die Nase, dann der Vorderkörper: »Als das Tier uns wahrgenommen hat, ist es sofort wieder verschwunden.«

Einen wild lebenden Goldschakal zu Gesicht zu bekommen, bedeutet in vielen Regionen Europas, die Nadel im gesamten Heuschober zu finden. »Er ist ein sehr heimlich lebendes Tier«, erklärt die Wissenschaftlerin: »Bevor wir ihn bemerken, ist er schon über alle Berge.« An der Universität für Bodenkultur Wien leitet Hatlauf ein Forschungsprojekt über den kleinen Räuber, der sich fast unbemerkt weite Teile Osteuropas erschlossen hat. Auf seinen Wanderungen in neue Territorien wird er zunehmend auch in Deutschland gesichtet.

Als Wölfe die ersten Schritte über die Grenze taten, wurde jedes Tier peinlich genau registriert. Ähnlich gut überwacht sind die Luchse, deren Mindestanzahl in Deutschland das Bundesamt für Naturschutz derzeit auf 137 Individuen beziffert. Der Goldschakal jedoch durchwandert das Land, ohne dass die meisten Menschen ihn überhaupt kennen – ein etwas mehr als fuchsgroßes Tier aus der Familie der Hunde, das aussieht wie ein gelb-grauer Wolf. Über das Abspielen seines Heulens mit dem Megafon könne man ihn besonders gut nachweisen, schildert Hatlauf: »Doch es antworten zumeist Tiere, die gemeinsam ein Territorium verteidigen. Einzelgänger sind sehr schwer zu finden.«

Der Goldschakal |

Der dämmerungs- und nachtaktive Canis aureus kommt auf eine Schulterhöhe von 44 bis 50 Zentimetern, wiegt etwa 8 bis 13 Kilogramm und erreicht ein Höchstalter von etwa neun Jahren. Erkennbar ist er am gelb-grauen Fell, das am Rücken ins Bräunliche verläuft, an der kurzen Rute mit dunkler Spitze sowie an der weißen Zeichnung um Maul und Hals. Sein aktuelles Verbreitungsgebiet zieht sich von Südostasien über den Nahen Osten bis zur Balkanhalbinsel; in den letzten Jahren ist eine verstärkte Wanderung in mitteleuropäische Länder zu beobachten.

Ein Paar bleibt ein Leben lang zusammen und zieht pro Jahr meist drei bis fünf Welpen groß. Mit einzelnen verbleibenden Jungtieren bildet es ein flexibles Sozialsystem. Der Schakal beherrscht den so genannten Mäusesprung und frisst Aas, Kleintiere jeglicher Art sowie Früchte und Beeren. Er kann jedoch auch Frischlinge, Rehe oder Schafe erlegen. Zumeist geht er allein auf Nahrungssuche; die Jagd als Paar oder im Gruppenverband wird ebenfalls als möglich erachtet.

Wird irgendwo in Deutschland ein Goldschakal oder seine Spur gesichtet, landet diese Information auf dem Schreibtisch von Felix Böcker. An der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg betreibt er auch das Wolfs- und Luchsmonitoring. Dass ein Wildtier von Osteuropa gen Westen zieht, ist nichts Neues. Doch den Goldschakal hat es weder dort noch hier je gegeben, unterstreicht der Wildtierökologe: »Er ist kein Rückkehrer, sondern eine völlig neue Tierart.« Und er ist es auch wieder nicht – denn anders als Waschbär oder Marderhund hat er sich die Lebensräume eigenständig erschlossen: »Er lebt außerhalb seines bekannten Verbreitungsgebiets, aber er ist keine gebietsfremde Art.«

Ursprünglich war der Goldschakal im südasiatischen Raum und im Nahen Osten beheimatet – möglicherweise mit Ausläufern bis nach Griechenland. Im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts wanderte er in die Balkanländer ein und ist dort nun fester Bestandteil der Fauna. Mittlerweile haben auch Österreich, Polen, Italien und Estland in einigen Regionen Nachwuchs zu verzeichnen, während die Forscher in Deutschland, Dänemark, Finnland und den Niederlanden von Einzeltieren ausgehen. Hier zu Lande erschoss im Jahr 1998 ein brandenburgischer Jäger einen der Wildhunde. Doch erst im vergangenen Jahrzehnt nahmen die Meldungen langsam zu.

»Er ist kein Rückkehrer, sondern eine völlig neue Tierart«
Felix Böcker

Wenn Böcker einen Hinweis auf einen Goldschakal erhält, durchsucht er die Gegend mit seiner Mischlingshündin Riga: »Es ist wie Detektivarbeit, ihr abseits der Wege zu folgen«, sagt Böcker. Wenn Riga Kot oder Haare aufzeigt, kann er die Probe genetisch untersuchen lassen und so ein Individuum von anderen unterscheiden. In Jahr 2020 gab es Nachweise in Hessen, Thüringen, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Da das Tier weitgehend unbekannt ist, geht der Ökologe von einer gewissen Dunkelziffer aus: »Doch wir haben bisher keinen Raum, wo es sich häuft und man damit rechnen kann, dass sich ein Paar niedergelassen hat.«

Goldschakale leben sehr versteckt

Für Mitteleuropa schätzt die Weltnaturschutzorganisation IUCN den Bestand an Goldschakalen auf bis zu 117 000 Tiere – im Gegensatz zu 17 000 Wölfen. Eine Differenz, die Böcker erklären kann: »Ein Wolfsrevier misst 200 bis 400 Quadratkilometer, jenes des Schakals fünf bis zehn Quadratkilometer. Auf der gleichen Fläche muss es viel mehr Schakale geben.« Fast alle der kleinen Raubsäuger leben in Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Serbien. Dennoch ist anzunehmen, dass Böckers Hündin künftig mehr zu tun haben wird.

Warum zieht es die Tiere gen Westen? »Wir wissen es nicht wirklich«, sagt Jennifer Hatlauf: »Doch ich gehe von einer Kombination mehrerer Faktoren aus.« Sowohl das Klima als auch die Natur Mitteleuropas haben sich verändert: Ursprünglich waren die Winter klirrend kalt, die Flächen zumeist bewaldet und flächendeckend durch den Wolf besiedelt. Dieser wurde im Verlauf der letzten Jahrhunderte intensiv bejagt. Und bis Mitte des 1950er Jahre verfolgte der Mensch viele Raubsäuger durch Giftköder, was den Schakal in Griechenland an den Rand der Ausrottung trieb. Seit einigen Jahrzehnten nun sind die Karten neu gemischt.

»Ein Wolf ist dreimal so schwer wie ein Goldschakal, und bei einer Begegnung kann er ihn töten«
Jennifer Hatlauf

Der Wolf – hier zu Lande der einzige natürliche Feind des Schakals – ist bei Weitem nicht so präsent wie früher. »Das wirkt sicher mit hinein«, sagt Hatlauf: »Ein Wolf ist dreimal so schwer wie ein Goldschakal, und bei einer Begegnung kann er ihn töten.« Dennoch überlappen sich die Verbreitungsgebiete der Arten, und sie breiten sich zeitgleich aus. Als weitere Faktoren werden oft der Klimawandel und die über weite Flächen gerodeten Wälder genannt – tendenziell bevorzugt der Schakal das Flachland und warme Regionen. Auch das sind aber allenfalls Puzzleteile des Gesamtbildes, denn aktuell zieht der Goldschakal in Estland Nachwuchs groß und kommt ebenso in Waldgebieten vor.

Zudem gilt der kleine Räuber als Kulturfolger. Die Intensivierung der Landwirtschaft in Osteuropa setzt zwar auch ihm zu. Doch durch das Schwinden der Kleinbauern verwaisen Dörfer, und es liegen Flächen brach: »Das kommt dem Goldschakal gewiss entgegen«, sagt Hatlauf. Und die höchsten Bestandszahlen erreicht der Vierbeiner in Regionen, in denen Müll und Schlachtabfälle offen gelagert werden und überfahrenes Großwild nicht von den Straßen entfernt wird: »Diese ganzjährig verfügbaren Futterquellen unterstützen höchstwahrscheinlich die Ausbreitung der Population.«

Goldwolf und Goldschakal galten lange als eine Art

Auch in Deutschland findet der Schakal einen gedeckten Tisch vor – laut Hatlauf zum Beispiel durch die Wildfütterung: »Wir haben schon Schakale obduziert, deren gesamter Mageninhalt aus Mais bestand.« Zudem lassen viele Jäger die Innereien ausgeweideter Tiere am Jagdort liegen. Andernorts profitieren die Schakale bereits von dieser Praxis: »In Ungarn berichten mir Jäger, dass sie kurz nach dem Schuss schon ein Heulen hören oder einen suchenden Schakal bemerken«, schildert die Ökologin. Und möglicherweise spielen noch andere Faktoren mit hinein. Denn in den meisten Bereichen steckt die Forschung am Goldschakal in den Kinderschuhen. »Der Afrikanische Goldwolf und der Goldschakal galten bis vor wenigen Jahren als eine Art«, berichtet Hatlauf. Zahlreiche Studienergebnisse betreffen das afrikanische Tier: »Sie sind nun für uns hinfällig geworden. In vielen Bereichen müssen wir wieder bei null anfangen.«

Das betrifft auch die Wechselwirkungen im Ökosystem: Der Schakal frisst wie der Fuchs zumeist Kleintiere, Aas und Früchte, ist aber stärker und kann – wahrscheinlich meist als Paar oder in der Gruppe – kleine Huftiere erlegen. In vielen Regionen kommen die Arten nebeneinander vor. Doch wenn die Bestände des Goldschakals besonders hoch sind, sinken die des Fuchses: »Das kann dazu führen, dass er ihn lokal verdrängt«, sagt Hatlauf. Die Folgen für am Boden lebende oder brütende Vögel müssen die Forscher ebenfalls beobachten – allerdings haben die Tiere noch andere natürliche Feinde.

Um den Menschen macht der Vierbeiner einen großen Bogen: »Wo Schlachtabfälle ausliegen, sieht man den Schakal vielleicht häufiger. Aber er ist insgesamt extrem scheu«, sagt Hatlauf. Im schleswig-holsteinischen Dithmarschen versuchte ein Durchzügler sein Jagdglück an ein paar Schafen: Eines starb später an seinen Verletzungen. »Auch in einigen Nachbarländern gibt es gelegentlich Schafsrisse«, sagt die Forscherin. Im Hinblick auf die hohe Dichte an Schakalen ist die Fallzahl jedoch eher gering, und Stromzäune halten den ungebetenen Gast auf Distanz.

Sollte man den Goldschakal bekämpfen oder ihn ziehen lassen? Ist seine Zuwanderung ein natürlicher Prozess, oder hat der Mensch ihm den Weg geebnet? »Es ist fast schon eine philosophische Frage«, sagt Böcker. Derzeit ist der Goldschakal in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union als Art von gemeinschaftlichem Interesse gelistet: Die Mitgliedsstaaten müssen einen günstigen Erhaltungszustand der Art gewährleisten, bevor sie Tiere entnehmen. In Deutschland zählt der Schakal nicht zum jagdbaren Wild – der Fuchs hingegen schon.

Ohnehin lässt sich die Zahl der Schakale schwer beeinflussen, zumindest nicht über den Gewehrlauf: »In vielen osteuropäischen Ländern wird der Schakal stark bejagt, und es scheint keine entscheidende Auswirkung zu haben«, sagt Hatlauf. Beide Wissenschaftler plädieren dafür, Futterstellen zu schließen und Überreste toter Tiere nicht liegen zu lassen: »Die offene Verfügbarkeit von Nahrung ist das Erste, das wir einstellen können, wenn wir auf den Bestand Einfluss nehmen möchten«, sagt Hatlauf. Ob der Schakal sich so fest etabliert wie in den Balkanregionen, bleibt abzuwarten. Doch vielleicht hören wir auch in Dithmarschen künftig nachts das helle Heulen der Schakale.

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