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News: Gottgewollt dick trotz harter Feldarbeit

Jeder zweite Bundesbürger wiegt zuviel. Jeder fünfte liegt sogar mehr als 20 Prozent über seinem Normalgewicht; Mediziner sprechen dann von krankhafter Fettsucht oder Adipositas. Fettsucht ist die Ursache für zahlreiche Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Krebs. Unklar ist bislang, welche Faktoren Übergewicht begünstigen. Sind es genetische Defekte, die die rasche Verbrennung von Nährstoffen hemmen, oder leidet lediglich der an Fettsucht, der zuviel und zu fettig ißt und sich zudem zuwenig bewegt?
Die Gene allein sind es jedenfalls nicht, hat die Trierer Wissenschaftlerin Dr. Petra Platte nun in einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützten Studie herausgefunden. Sie beobachtete, daß eine genetische Veranlagung für das Auftreten von Adipositas zwar eine wesentliche Rolle spielt. Ebenso bedeutend seien aber Umwelt-faktoren wie Ernährungsgewohnheiten und der Umfang und die Häufigkeit körperlicher Aktivität.

Forscher hatten bereits nachgewiesen, daß einzelne Veränderungen am Genom von Mäusen Fettsucht verursachen können. Diese Entdeckung legte nahe, daß solche Mutationen möglicherweise auch beim Menschen für die Krankheit verantwortlich sind. Bislang blieb die Suche nach einem Auslöser-Gen allerdings ohne Erfolg. Mittlerweile gehen die Wissenschaftler davon aus, daß beim Menschen mehr als ein Gendefekt vorliegen muß, um Adipositas auszulösen. Unterschiedliche Fettverteilungsmuster ("Apfel"- vs. "Birnen"-Form) beim Menschen müssen unterschiedliche genetische Ursachen haben.

Petra Platte machte sich im Rahmen ihrer Habilitationsarbeit an der Universität Trier nun auf die Suche nach geeigneten Studienobjekten und wurde schließlich an der Ostküste der USA fündig. Hier leben die Old Order Amish People, eine streng konservative Glaubensgemeinschaft, deren Vorfahren im 18. Jahrhundert aus Deutschland und der Schweiz vor allem in die US-Bundesstaaten Pennsylvania und Ohio übersiedelten. Noch heute führen die Amish einen religiös geprägten, asketischen Lebensstil und lehnen moderne Technik strikt ab.

Für Petra Platte steht fest: "Die Old Order Amish People stellen die weltweit wohl homogenste Gruppe für genetische Untersuchungen der Fettsucht dar." Die Amish People leben nämlich seit ihrer Übersiedlung aus der Schweiz und aus Deutschland genetisch isoliert. Ehen werden nur innerhalb der Amish-Gemeinschaft geschlossen. Die Familien mit durchschnittlich sieben Kindern haben alle den gleichen sozioökonomischen Status und bestreiten ihren Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft. Harte körperliche Arbeit prägt ihren Alltag, denn anstelle von Traktoren nutzen sie Mulis, fahren Kutschen statt Autos und lehnen elektrischen Strom ab.

Fettleibigkeit sehen die Amish als gottgegeben an, und nur kräftig gebaute Männer gelten als geeignet für die harte Feldarbeit – dünne Frauen werden für unfruchtbar gehalten. Das sonst in der westlichen Welt vorherrschende Schlankheitsideal ist den Amish fremd. Daß sie sich darum auch keinen Schlankheitskuren unterziehen, kommt den Genetikern zusätzlich zugute. Petra Platte schaute den Amish in die Kochtöpfe und beobachtete, daß sie einem traditionellen Speiseplan folgen, der täglich Eier, Fleisch, Nudeln, fettreiche Soßen und Kuchen umfaßt. Angesichts der harten Arbeit auf dem Feld sollte diese Ernährung nicht notwendigerweise zu Fettleibigkeit führen. Dennoch werden Amish ebenso häufig fettleibig wie die körperlich im Durchschnitt wesentlich weniger aktiven Deutschen.

Drei Jahre lang hielt sich die Trierer Wissenschaftlerin im Lancaster County in Pennsylvania auf. Gut ein Jahr dauerte es, bis sie das Vertrauen der zurückgezogen lebenden Amish gewonnen hatte. Sie erfaßte den Gewichtsstatus von rund 3000 Mitgliedern von 17 Großfamilien. Die gewonnenen Daten wurden auf die Frage hin analysiert, ob sich die Fettsucht in bestimmten Familien häuft und ob dafür ein Erblichkeitsmodell aufgestellt werden kann. Zuerst wurden Ähnlichkeiten des Körpertyps innerhalb einer Familie betrachtet. Tatsächlich haben dicke Amish-People meist dicke Kinder und auch dicke Geschwister. Die Fettsucht könnte also genetische Ursachen haben.

Dann wurden die gefundenen Daten mit verschiedenen genetischen Modellen, die auf der Mendelschen Vererbungslehre beruhen, und mit nicht-genetischen Modellen, die ein zufälliges Auftreten der Fettsucht bei erhöhter Nahrungszufuhr annehmen, verglichen. Die Forscherin fand, daß im Fall der untersuchten Amish People ein genetisches Modell am ehesten zutrifft. Dennoch ist das Erbgut nicht allein für das Auftreten der Adipositas verantwortlich; Überernährung und fettreiche Kost müssen noch hinzukommen. Ist dagegen keine genetische Vorprägung vorhanden, führt auch die überhöhte Nahrungsaufnahme wesentlich seltener zum Auftreten der Krankheit.

Petra Platte forscht nun weiter. Sie konnte den geeignetsten Probanden auch Blutproben entnehmen, die sie nun für Genom-Analysen benutzt. Aus den Ergebnissen erhofft sie sich Aufschluß über die Genorte, die an der genetischen Entstehung der Fettsucht beteiligt sind. Ihre Habilitationsarbeit wird die Psychologin in Kürze zum Abschluß bringen.

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