GPS-Jamming und -Spoofing: Navigationssysteme ohne Orientierung

Es versprach eine entspannte Reise zu werden, über die Ostsee zurück vom polnischen Danzig nach Schweden. Doch kurz nach dem Start fiel in 150 Meter Höhe das GPS-Signal aus, berichtet der Fluglehrer. Die Maschine konnte die satellitengestützte Navigation nicht mehr nutzen. Von solchen Vorfällen berichten viele Piloten, die im Ostseeraum unterwegs sind, ebenso Schiffskapitäne sowie Landwirte in Ostfinnland, deren Maschinen mit Hilfe von GPS gesteuert werden.
Seit Beginn des Ukrainekriegs haben die Störungen erheblich zugenommen. Mutmaßlicher Verursacher ist das russische Militär. Und auch andernorts werden Signale immer häufiger gestört, vor allem in Krisenregionen wie dem östlichen Mittelmeerraum oder an der indisch-pakistanischen Grenze. Einen aktuellen Überblick liefert die Onlinekarte GPSJAM. Die Störungen dienen eigentlich militärischen Zwecken. Beispielsweise sollen sie Kampfdrohnen verwirren. Sie ziehen allerdings auch viele zivile Akteure in Mitleidenschaft. Und die Gefährdung ist nicht auf Konfliktzonen begrenzt: Staatliche und private Saboteure können Systeme mitten in Deutschland stören – mit Folgen für die Landwirtschaft, aber ebenso für Rechenzentren und für den Mobilfunk.
Gefälschte Signale lenken vom Kurs ab
Fachleute unterscheiden dabei zwei Strategien. Beim Jamming nutzen Saboteure einen Störer am Boden und überstrahlen damit das schwache Navigationssignal der Satelliten. Flugzeuge, Schiffe oder Fahrzeuge können sich dann nicht mehr genau verorten. Technisch anspruchsvoller ist Spoofing. Dabei erzeugt der Störer authentisch erscheinende, aber verfälschte Signale. So täuscht er das Navigationssystem und lenkt es bewusst auf einen anderen Kurs.
Die Aktionen beschränken sich dabei nicht auf das US-amerikanische Global Positioning System (GPS). Sämtliche satellitengestützte Navigationssysteme sind betroffen, darunter das europäische Galileo, Glonass aus Russland und Beidou aus China. Zusammengefasst bezeichnet man sie als GNSS (Global Navigation Satellite System).
Wer GNSS-Signale per Jamming stören will, braucht nicht viel. Über das Internet werden Geräte angeboten, die zum Beispiel via Autosteckdose betrieben werden und im Umkreis von mehreren Kilometern GNSS-Signale übertönen. Das ist illegal und ein Fall für die Bundesnetzagentur – was Autodiebe nicht davon abhält, sie zu nutzen. Sie blockieren mit Jammern die GPS-Sensoren ihrer Beute und verwischen so ihre Spur. Für weit reichendes Jamming hingegen sind leistungsstarke Sender erforderlich, die mutmaßlich von staatlichen Akteuren betrieben werden. Der Effekt ist der gleiche: Die Störer übersättigen die Sensoren im Flugzeug oder im Schiff, die Navigation wird auf diesem Auge gewissermaßen blind.
Mehrere tausend Flüge sind von Störungen betroffen
Im Ostseeraum dominieren Jamming-Störungen deutlich vor Spoofing. Das geht aus einer Untersuchung der deutschen Firma Hensec hervor, die Unternehmen und Behörden zu Sicherheitsfragen berät, darunter GPS-Störungen. Gemeinsam mit polnischen Partnern hat sie solche Ereignisse von Juni bis November 2024 analysiert. Höhepunkt war demnach der Oktober mit sechs Jamming-Events. Infolgedessen verringert sich die Genauigkeit der Positionsbestimmung von rund 3 auf unter 35 Meter, berichten die Autoren.
Mitunter fallen Navigationssysteme sogar komplett aus – wie bei dem schwedischen Fluglehrer auf der Rückreise von Danzig. Er ließ sich, bei guter Sicht, zusätzlich von Fluglotsen leiten. Eine halbe Stunde später war das GPS-Signal wieder verfügbar. Schätzungen zufolge waren 2024 mehrere tausend Flüge von solchen Störungen im Ostseeraum betroffen, und die Aktivitäten halten an.
»Bei sicherheitskritischen Anwendungen stützt man sich auf mehrere Systeme, um einen Ausfall zu kompensieren«Florian David, Navigationsforscher
Eine existenzielle Gefahr sei damit nicht immer verbunden, sagt Florian David vom Institut für Kommunikation und Navigation im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). »Bei sicherheitskritischen Anwendungen stützt man sich auf mehrere Systeme, um einen Ausfall zu kompensieren.« Das können Radar und Funkortung sein oder der Einsatz von Trägheitsnavigation. Trotzdem werden die Crews im Cockpit oder auf der Brücke durch die Warnungen verunsichert. Problematischer wird es beim Spoofing, wenn also Täuschungssignale eine vermeintliche Position vermitteln, an der sich das Flugzeug aber nicht befindet. »Da kann es zu widersprüchlichen Aussagen verschiedener Systeme kommen«, sagt David. »Beispielsweise wird vor einer gefährlichen Annäherung an den Boden gewarnt, die gar nicht existiert.« Gemäß den vorgeschriebenen Prozeduren muss der Pilot dann mit vollem Schub durchstarten und hochziehen. Auf Reiseflughöhe ist das unsinnig. In der Schifffahrt wiederum kann eine falsche Positionsangabe die Gefahr für Grundberührungen oder Kollisionen erhöhen.
Das DLR forscht seit Jahren zu dem Thema und verfolgt verschiedene Strategien. Zum einen arbeiten die Fachleute an robusten Empfängern, die störende Jamming- und Spoofing-Signale erkennen. Dafür ermitteln die Geräte, wie stark das Signal ist, welchen Charakter es hat und aus welcher Richtung es auf den Empfänger trifft. Besonders auffällig sind Täuschungsversuche, wenn die Signale aus einer bodennahen Quelle stammen und nicht, wie üblich, von mehreren Satelliten. Nachdem er die Herkunft der Störsignale lokalisiert hat, kann der robuste Empfänger diese gezielt ausblenden. »Die Technologie ist weit entwickelt und soll demnächst von Industriepartnern zur Marktreife gebracht werden«, kündigt David an.
Gefahr für autonomes Fahren ist gering
Der zweite Ansatz nennt sich Multisensorik. GNSS-Signale werden dabei mit weiteren Daten von Kameras oder Beschleunigungssensoren verknüpft. Das macht die Navigation zuverlässiger. Durch derartige Multisensorik sieht DLR-Forscher David übrigens auch autonomes Fahren geschützt. Entsprechende Autos nutzen GNSS, »doch für die Navigation im Nahfeld sind Kameras, Lidar und so weiter wesentlich wichtiger«.
Für die Schifffahrt hat das DLR gemeinsam mit Forschungseinrichtungen, Behörden und Industrieunternehmen zusätzlich eine Alternative zu satellitengebunden Systemen entwickelt. Das terrestrische Navigationssystem Ranging Mode, kurz R-Mode, nutzt bereits existierende Infrastrukturen für Funkdienste auf Mittel- und Ultrakurzwelle. Seit dem Jahr 2018 ist dabei ein Versuchsfeld mit acht R-Mode-Sendern entstanden. Es erstreckt sich über rund 800 Kilometer zwischen Helgoland und Stockholm und wird nun noch um die See vor Finnland und Estland erweitert.
Aber auch innerhalb des satellitengestützten GNSS-Systems lässt sich zuverlässig und störungsfrei navigieren. Neben den offenen GNSS-Signalen, die sich leicht stören lassen, gibt es nämlich verschlüsselte. Für Krisenfälle wie Krieg oder terroristische Attacken mit Jammern und Spoofern versprechen sie eine zuverlässigere Versorgung. Doch sie sind den jeweiligen Militärs vorbehalten, bei GPS etwa den US-Streitkräften. Das europäische Galileo-System weicht etwas davon ab: Hier können Staaten hoheitlich autorisierte Nutzergruppen bestimmen, die den öffentlich-regulierten Dienst Galileo PRS verwenden dürfen. Dazu gehören etwa Rettungsdienste oder die Polizei. Im Gegensatz zu nicht europäischen GNSS-Diensten, die zivile Signale künstlich auf »unscharf« stellen oder auch ganz abschalten können, garantiert Galileo PRS die Verfügbarkeit.
Sicherer Service für Rettungsdienste
Die Signale in Galileo PRS sind verschlüsselt, was sie weitgehend vor Manipulation schützt. Die Verschlüsselung technisch umzusetzen ist jedoch schwierig, wie Alexander Rügamer vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Nürnberg erläutert. »Das Empfangsgerät soll einerseits das Signal entschlüsseln, andererseits darf dieser Schlüssel keinesfalls aus dem Gerät ausgelesen werden können.« Rügamer und sein Team forschen deswegen an entsprechenden Verfahren und haben bereits einen Demonstrator präsentiert, der die strengen Sicherheitsvorschriften erfüllt.
»Die Satelliten senden auch Zeitsignale. Die sind unter anderem wichtig für Rechenzentren oder 5-G-Mobilfunkmasten, um sich untereinander zu synchronisieren«Kevin Heneka, Sicherheitsexperte
Für die meisten Anwender ist Galileo GPS allerdings tabu. Und diese können rasch mit erheblichen Folgen konfrontiert sein: Gut möglich, dass ein moderner Hightech-Mähdrescher stehen bleibt, wenn ein Lkw mit Jammer im Zigarettenanzünder vorüberfährt und die Navigation der automatischen Landmaschine sicherheitshalber auf Standby geht. In der Erntezeit wären die Verluste erheblich. Dieses Beispiel nennt Kevin Heneka von der Firma Hensec.
Gefahr für Rechenzentren und 5-G-Mobilfunkmasten
Er spart mit Details, wenn er über seine Arbeit spricht. »Es gibt Schwachstellen, die man besser nicht in die Öffentlichkeit trägt.« Zumal nicht nur die Ortsbestimmung betroffen ist. »Die Satelliten senden auch Zeitsignale; die sind wichtig unter anderem für Rechenzentren oder 5-G-Mobilfunkmasten, um sich untereinander zu synchronisieren.« Saboteure könnten versuchen, mit speziellen Sendern dort zu stören.
Henekas Firma arbeitet auch an Geräten, die GNSS-Störungen detektieren. Überprüft werden sie etwa bei einem Jammertest, der jährlich vor der norwegischen Küste stattfindet und Entwickler aus mehreren Ländern anzieht. »Es ist ein andauernder Wettbewerb«, sagt der Sicherheitsexperte. »Die Technologien der Sicherheitsfirmen werden besser, wie auch die der Störer.«
Einen absoluten Schutz sieht er daher nicht. Doch seien Fortschritte möglich. »Konventionelle GNSS-Empfänger verwenden gewöhnlich die stärksten Signale«, und damit seien sie anfällig für Spoofing. »Sinnvoller ist es, Störer zu identifizieren und bewusst auszuschließen«, erklärt Heneka. »Zudem sollten Signale von unterschiedlichen GNSS-Konstellationen genutzt werden, beispielsweise GPS und Galileo.«
»Unsere Forschungen werden stärker nachgefragt und auch gefördert – von der Industrie wie von Behörden und der Regierung«Alexander Rügamer, Experte für Satellitennavigation
Die Gefährdung wird endlich ernst genommen
Immerhin, die gehäuften Störungen tragen dazu bei, dass Firmen und Behörden sich der Gefahr bewusster werden. »In Ländern wie Polen ist diese Awareness längst vorhanden, nun wächst sie auch in Deutschland«, sagt Heneka. Bei staatlichen wie privaten Akteuren ist nicht auszuschließen, dass sie mit Jamming und Spoofing im Inland aktiver und raffinierter werden.
Fraunhofer-Wissenschaftler Rügamer bestätigt das. »Unsere Forschungen werden stärker nachgefragt und auch gefördert – von der Industrie wie von Behörden und der Regierung.«
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