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Natürliche Erbgutmanipulation: Gras bastelt fremde Gene ins eigene Erbgut

Den Import von DNA eines Nachbarn ist für Bakterien und kleine Einzeller nicht ungewöhnlich. Aber wie anfällig sind Pflanzen für modifizierte Fremdgene?
Grasökosystem

Ein unscheinbares Wildgras macht sich durch gezielte Manipulation des eigenen Erbguts fit zum Überleben – und klaut sich zu diesem Zweck offenbar routinemäßig geeignete Gene von den Nachbarlebewesen im Ökosystem, berichten Forscher der University of Sheffield in »PNAS«. Damit nehmen die Gewächse eine bisher wenig untersuchte Abkürzung im Evolutionswettlauf, fasst das Team um Luke Dunning zusammen.

Die Forscher führten vergleichende Erbgutuntersuchungen an verschiedenen Arten von Wildgräsern durch, um in Zukunft vielleicht die theoretische Ausbreitungsgeschwindigkeit von unterschiedlichen Genen in natürlichen Ökosystemen abschätzen zu können. Einen solchen horizontalen Gentransfer kennt man von Bakterien, Pilzen und anderen Organismen, er kann in der Theorie durchaus zwischen verschiedenen größeren Arten von Vielzellern wie den höheren Pflanzen erfolgen. Das Phänomen muss hier unbedingt im Auge behalten werden, weil sich ohne geeignete Gegenmaßnahmen auch die künstlich eingebrachten Gene von zu kommerziellen Zwecken gentechnisch veränderten Pflanzen im Ökosystem verbreiten könnten. Auf diesem Weg könnte sich etwa eine genetisch herbeimanipulierte Herbizidresistenz oder andere genetisch fixierte Eigenschaften verbreiten und das natürliche Ökosystem verändern.

Die Untersuchungen von Dunning und Co zeigen nun, dass das von ihnen untersuchte Wildgras Alloteropsis semialata prinzipiell aufnahmebereit für Fremdgene ist. Dies ergaben Genvergleiche von Pflanzen aus einem Ökosystem sowie von verschiedenen Kontinenten: Das Gras wächst in den tropischen und subtropischen Regionen von Afrika, Australien und Asien. Tatsächlich zeigen die Sequenzvergleiche einen munteren lateralen Austausch von Erbgut zwischen den Arten, der sich bereits in den ältesten gemeinsamen Vorfahren der weltweit verstreuten Pflanzen abgespielt haben muss. Zudem finden die Forscher durch Genanalysen von 150 weiteren Grasspezies Hinweise auf horizontalen Gentransfer in und zwischen verschiedenen anderen Arten: In unterschiedlichen Ökosystemen scheinen sich hier bestimmte Genvarianten auf Grund unbekannter Vorteile in der Grasgemeinde stärker verbreitet zu haben.

Insgesamt ist eindeutig ein durch den horizontalen Gentransfer schneller ablaufender Evolutionsprozess zu erkennen, so Dunning, bei dem die Gräser sich durch die Übernahme von fremden Genen Vorteile verschaffen: Die Pflanzen »saugen wie ein Schwamm nützliche Gene aus der Nachbarschaft auf, um sich und ihre Nachkommen auf ungünstige Umweltbedingungen besser vorzubereiten«. Unklar ist bisher allerdings völlig, ob die Gräser bestimmte Mechanismen für einen beschleunigten horizontalen Gentransfer entwickelt haben – und wie sie die Nachteile und möglichen Gefahren der Fremdgenaufnahme kompensieren. Die Suche nach einem biologischen Mechanismus der Grasgenmanipulatoren steht, so Dunning, nun erst bevor.

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