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Archäologie: Grausige Grundsteinlegung

Azteken und Maya stehen symbolisch für Mexikos frühe Hochkulturen. Doch schon zuvor entwickelten sich dort Zivilisationen mit Sinn für Architektur und Wissenschaften. Menschenrechte kannten sie allerdings nicht.
Die Pyramide des Mondes
Es war eine Grundsteinlegung der etwas anderen Art, die sich vor 2000 Jahren im mexikanischen Teotihuacan abspielte: Eingemauert wurden von den Bauherren weder aktuelle Stelen oder Tontafeln noch Konstruktionspläne. Stattdessen packten die Architekten menschliche und tierische Opfer ins Fundament der Pyramide des Mondes.

Raue Sitten in der ältesten Stadt der westlichen Hemisphäre: Dabei gehörte sie zu einer Kultur auf hohem Niveau mit ausgeklügelten Pyramidenbauten, einer Kanalisation, einem wahrscheinlich weit verzweigten Handelsnetz und komplizierten religiösen Zeremonien. Selbst den Azteken, die Teotihuacan den heutigen Namen gaben, blieben Entstehung und Gründerväter der Metropole rätselhaft. Sie nannten die Ruinen "Die Stadt, in der Menschen zu Göttern werden".

Rituelles Opfer | In einer neu geöffneten Grabkammer der Pyramide des Mondes fanden Archäologen jetzt 12 menschliche Skelette, die zur Grundsteinlegung geopfert wurden. In einer blutigen Zeremonie schlug man ihnen den Kopf ab. Zu ihrer Begleitung wurden zahlreiche Artefakte und Tieropfer beigefügt.
Saburo Sugiyama von der Aichi Prefectural University in Japan und Ruben Cabrera vom mexikanischen Nationalinstitut für Anthropologie und Geschichte sind jetzt bei Grabungen in den Ruinen der Pyramide des Mondes auf den grausigen Fund gestoßen: In ihrem Inneren entdeckten die Forscher eine Grabkammer mit den Skeletten von zwölf geopferten Menschen. Neben den humanen Überresten fanden sich eine Vielzahl von Grabbeigaben sowie die Überreste von getöteten Tieren, die hohe Symbolwerte hatten.

Grabbeigaben | Unter den Grabbeigaben befanden sich eine Obsidianfigur und eine Meeresmuschel.
Zehn der Opfer wurden in einem wohl grausigen und blutigen Ritual mit gefesselten Händen geköpft und dann anscheinend achtlos in die Kammer gestoßen, die beiden anderen dagegen standen selbst im Tode noch höher im Kurs: Sie waren reich geschmückt und verziert, trugen Jadeohrringe und Kolliers, die menschliche Gebisse imitierten. Begleitet wurden sie auf ihrer Reise ins Jenseits von gleichfalls enthaupteten Wölfen und Pumas oder Jaguaren sowie 13 vollständigen Adlern – alle zusammen Symbole der Kriegerkaste Teotihuacans. Eine weitere Mitgift war das Mosaik einer menschlichen Figur, das in seiner Gestalt vielleicht einzigartig in der mittelamerikanischen Kunst ist und dessen kulturelle Bezüge noch unklar sind.

Jadefigur im Maya-Stil | Jadefigur im Maya-Stil. Eine weitere, in der Grabkammer gefundene Figur gibt Hinweise auf ein weit verzweigtes Handelsnetz, denn der Jadestein kommt aus Guatemala und stammt wohl aus der Maya-Kultur. Stücke dieser Art waren wahrscheinlich der Aristokratie Teotihuacans vorbehalten.
Die Lynchzeremonien waren nach Saburo Sugiyama wahrscheinlich der öffentliche Höhepunkt des Einweihungsfestes zur Erweiterung der Pyramide, die mit etwa 2000 Jahren zu den ältesten Teilen des Stadtkomplexes zählt. Die damalige Regierung wollte mit dem Zeremoniell ihre ausgeweitete gottgleiche Macht symbolisieren und den Primat des mit dem Tempel verknüpften Militärischen hervorheben, denn entgegen früherer Annahmen stand Soldatentum vermutlich im Mittelpunkt dieser frühen Stadtkultur.

Sonnentempel in Teotihuacan | Sonnentempel in Teotihuacan. Die Stadt ist die wahrscheinlich älteste auf den beiden amerikanischen Kontinenten. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht wurde sie von 200 000 Menschen bewohnt.
Aber die Bewohner Teotihuacans waren bei weitem nicht nur jener blutrünstige Mob, wie es diese Ausgrabungen vielleicht erscheinen lassen mögen. Die Stadt selbst war sorgfältig geplant und in ihrer Art die erste Großstadt der beiden amerikanischen Kontinente. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht und Schaffenskraft 500 nach Christus wurde sie von 200 000 Menschen bevölkert. Zum Vergleich: London erreichte diese Größe erst ein Jahrtausend später!

Es bestanden eventuell sogar Handelsverbindungen mit den aufstrebenden Maya-Städten im Süden Mexikos und in Guatemala. Denn in weiteren Grabkammern fanden die Wissenschaftler Jadefiguren im Mayastil, die aus Guatemala gekommen sein müssen. Vorbehalten waren diese Schmuckstücke jedoch wohl nur Adeligen.

Knapp 200 Jahre nach ihrer Blütezeit kollabierte das Stadtwesen ebenso rätselhaft, wie es begonnen hatte. Die Azteken fanden nur mehr verlassene Ruinen vor. Wer oder was den Untergang auslöste, liegt im Dunkeln. Vielleicht spielten ökologische Gründe für den Fall der Stadt eine Rolle, wie es auch für Maya-Städte in Chiapas und Yucatan vermutet wird. Möglich wären zudem beständige und ruinöse Kriege gegen konkurrierende Städte oder Völker. Die spanischen Konquistadoren waren in diesem Falle ausnahmsweise unschuldig: Sie waren noch gar nicht im Lande.

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